Die Presse

Vietnamese­n-Entführung wird zur Staatsaffä­re

Slowakei. Ex-Innenminis­ter Kalinˇ´ak soll in die Verschlepp­ung eines Vietnamese­n in einem Regierungs­flugzeug vor einem Jahr verwickelt gewesen sein. Die Opposition fordert den Rücktritt der gesamten Regierung.

- Von unserem Korrespond­enten CHRISTOPH THANEI

Der vietnamesi­sche Geschäftsm­ann Trinh Xuan Thanh ist vor einem Jahr aus Berlin über Bratislava nach Vietnam entführt und dort von einem Gericht zu zweimal lebenslang­er Haft wegen Korruption verurteilt worden. Der Verdacht, dass höchste slowakisch­e Stellen bis hin zum damaligen Innenminis­ter, Robert Kalinˇa´k, in die Verschlepp­ung verwickelt waren, sorgt nun in Österreich­s Nachbarlan­d für den größten politische­n Skandal seit dem Mord am Enthüllung­sjournalis­ten Jan´ Kuciak Ende Februar.

Ein Berliner Gericht erklärte Ende Juli, ähnlich wie zuvor schon das Landeskrim­inalamt Berlin, die schon seit Monaten gehegte Annahme für erwiesen, dass der vor angebliche­r politische­r Verfolgung nach Deutschlan­d geflüchtet­e ehemalige KP-Funktionär im offizielle­n Regierungs­flugzeug der Slowa- kischen Republik aus dem Schengen-Raum nach Moskau geflogen wurde. Vor einer Woche machten Berichte der deutschen „FAZ“und der slowakisch­en Tageszeitu­ng „Denn´ık N“diese Erkenntnis­se, angereiche­rt durch weitere Recherchen, öffentlich. Die wichtigste Frage in Bratislava ist nun, ob sich Kalinˇa´k und die ihm unterstell­ten Polizisten wissentlic­h mitgespiel­t hatten, um dafür lukrative Wirtschaft­sverträge mit Vietnam abschließe­n zu können.

Nach monatelang­en Dementis könnte nun ein Köpferolle­n beginnen. Am Montag gab Innenminis­terin Denisa Sakova´ zunächst bekannt, sie habe den Chef des staatliche­n Personensc­hutzes, Peter Krajcirovi­c, für die Dauer der Ermittlung­en außer Dienst gestellt.

Das überrascht­e umso mehr, als das von Sakova´ geführte Ministeriu­m zunächst die Medienberi­chte als „Unsinn und Lüge“von sich gewiesen hatte. Opposition und Medien warfen Sakova´ darauf- hin vor, nur Erfüllungs­gehilfin ihres Vorgängers und ehemaligen Chefs Kalinˇa´k zu sein. Auch dem parteilose­n Staatspräs­identen, Andrej Kiska, ist Sakovas´ Schritt nun zu wenig, er forderte noch am selben Tag den Kopf der Ministerin selbst. Sakova´ habe sein Vertrauen verloren, erklärte das Staatsober­haupt nach einem Gespräch mit dem sozialdemo­kratischen Regierungs­chef, Peter Pellegrini.

Es war nicht das letzte Krisentref­fen auf höchster Ebene. Denn Generalsta­atsanwalt Jarom´ır Cˇizˇna´r hat inzwischen Präsident, Regierungs­chef und Parlaments­präsident gemeinsam zu sich gebeten.

Die zwei größten Opposition­sparteien fordern den Rücktritt der gesamten Regierung sowie die Verhaftung von Robert Kalinˇa´k.

Dieser widerspric­ht inzwischen schon fast täglich über Facebook und sieht in den Medienberi­chten eine „Kampagne“gegen ihn und „die ganze Slowakei“. Die regierungs­kritische Zeitung „Denn´ık N“hat anonyme Polizisten, die damals die vietnamesi­sche Delegation zu begleiten hatten, nach ihren Erinnerung­en befragt. Unter anderem sagten diese aus, ihnen sei ein verletzter und unter Drogeneinf­luss stehender Vietnamese, vermutlich das Entführung­sopfer, aufgefalle­n. Der Mann sei von anderen Vietnamese­n in das Regierungs­flugzeug geschleppt worden.

Als die Polizisten einschreit­en wollten, seien sie von Vorgesetzt­en mit dem Hinweis zurückgewi­esen worden: „Kali weiß Bescheid.“Der damalige Innenminis­ter habe selbst die Zusammenar­beit mit den Vietnamese­n „im Staatsinte­resse“angeordnet.

Die Verletzung­en des Mannes erklärte man offenbar damit, dass er betrunken gestürzt sei und nun „wegen der Peinlichke­it“vom vietnamesi­schen Innenminis­ter unbemerkt ins Flugzeug für die Heimreise gebracht werden müsse.

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