Italiens sturer „Minister für Realität“
Italien. Finanzminister Tria erweist sich als wirksames Bollwerk gegen budgetäre Exzesse. Die Populisten würden ihn gern rasch loswerden. Aber dann wäre auf den Märkten der Teufel los.
Es war ein lauter Schuss vor den Bug. Am Freitag schnalzten die Risikoaufschläge für italienische Staatsanleihen auf den höchsten Stand seit Anfang Juni. Damals ging, kurz vor der Machtübernahme der neuen Regierung, die Angst vor einem Euroaustritt Italiens um. Was ist diesmal passiert? An Fakten nicht viel: Das Kabinett traf sich, um das Budget zu planen, das man Ende September zur Prüfung nach Brüssel schicken muss. Davor hatten die ultrarechte Lega und die linke Fünf-Sterne-Bewegung einmal mehr betont, an ihren gefährlich teuren Wahlversprechen festhalten zu wollen. Aber da ging noch ein Gerücht um: Finanz- und Wirtschaftsminister Giovanni Tria stehe vor dem Rauswurf. Und das genügte, um eine präventive Panik loszutreten.
Niemand hätte vor zwei Monaten vermutet, dass sich der farblos wirkende Ökonom mit biederer Brille und bescheidener Rhetorik rasch zum entscheidenden Widerhaken der römischen Politik entwickelt. Als Ersatz für den greisen Eurogegner Savona, den Staatsprä- sident Matarella abgelehnt hatte, zauberten die ungleichen Bündnispartner den parteilosen und politikunerfahrenen Professore aus dem Hut. Ihn wollten sich die egomanischen Parteichefs Luigi di Maio und Matteo Salvini gefügig machen. Wie es den beiden Vizepremiers ja auch mit ihrem formalen Chef gelungen ist: Giuseppe Conte wirkt wie ein Strohmann, der für nichts steht und wenig zu bestimmen hat. Nicht so Tria: Der „Minister für Realität“, wie ihn italienische Medien nennen, erweist sich als wirksames Bollwerk der fiskalischen Vernunft gegen die geplanten budgetären Exzesse.
Auch Beobachter und Kommentatoren haben sich geirrt. Viele hatten erwartet, das Bündnis aus Lega und Cinque Stelle würde bald auseinanderbrechen. Aber die disparaten Partner kommen erstaunlich gut miteinander aus. Nach außen streiten ihre Politiker publikumswirksam um gesellschaftspolitische Symbolthemen, nach innen teilen sich die neuen Machthaber die Posten in ruhiger Eintracht auf. Bei den budgetwirksamen Programmpunkten kann man sich im Prinzip leicht treffen: Beide Partner bekommen, was sie ihren Wählern versprochen haben. Ein Grundeinkommen für Arbeitslose, eine Flat Tax für alle und die Rückabwicklung der Pensionsreform von 2011: Das summiert sich auf üppige 120 Mrd. Euro an jährlichen Mehrausgaben und Mindereinnahmen. Es würde das Defizit auf sieben, acht Prozent explodieren lassen. Freilich bekäme man so Probleme in der EU, aber mit Brüssel legen sich die Populisten ja gerne an. „Die Drei-ProzentSchwelle ist nicht die Bibel“, verkündete Salvini am Montag trotzig.
Damoklesschwert Rezession
Aber da macht er die Rechnung ohne seinen störrischen Schatzmeister, den Feind im eigenen Bett. Mit freundlichem Lächeln erklärt der 69-Jährige, was nicht möglich ist. Am heurigen Haushaltsrahmen ändert sich kein Strich. Von dem mit Brüssel vereinbarten Budgetpfad, mit einem Defizit von nur 1,6 Prozent, will Tria auch künftig nicht abweichen. Flat Tax? Gute Idee, aber zum Ausgleich muss man die Mehrwertsteuer erhöhen (was die beiden Parteichefs natürlich vehement ablehnen). Bürgereinkommen? Von mir aus, wenn es andere Sozialtransfers im gleichen Umfang ersetzt. Mit einem Wort: keine zusätzlichen Ausgaben. Nicht so sehr wegen der sonst stark steigenden Zinsen (es braucht Jahre, bis ein Gros der alten Anleihen ausläuft und die Staatsschuld unfinanzierbar wird). Sondern weil dann schon eine leichte Rezession die Finanzen völlig aus dem Ruder laufen ließe. Auch auf die übertrieben optimistischen Prognosen, die den Regierungsplänen zugrunde liegen, lässt sich Tria nicht ein.
Kein Wunder, dass die Parteien an der Macht ihn gerne schnell los wären. „Entweder steht Tria zu unserer Regierung, oder er ist gegen Italien“, drohen die Grillini. Die Lega hält sich nach außen noch zurück, auf ihrem Ticket ist der Störenfried in die Regierung gelangt. Aber Tria zeigt diplomatisches Geschick, er hat eine dicke Haut, und er hält fast im Alleingang den Kontakt mit der EUKommission aufrecht. Vor allem aber hat er einen mächtigen Verbündeten: die Finanzmärkte, die in ihm die einzige Hoffnung für Italiens Staatsfinanzen sehen.