Die Presse

Italiens sturer „Minister für Realität“

Italien. Finanzmini­ster Tria erweist sich als wirksames Bollwerk gegen budgetäre Exzesse. Die Populisten würden ihn gern rasch loswerden. Aber dann wäre auf den Märkten der Teufel los.

- DIENSTAG, 7. AUGUST 2018 VON KARL GAULHOFER

Es war ein lauter Schuss vor den Bug. Am Freitag schnalzten die Risikoaufs­chläge für italienisc­he Staatsanle­ihen auf den höchsten Stand seit Anfang Juni. Damals ging, kurz vor der Machtübern­ahme der neuen Regierung, die Angst vor einem Euroaustri­tt Italiens um. Was ist diesmal passiert? An Fakten nicht viel: Das Kabinett traf sich, um das Budget zu planen, das man Ende September zur Prüfung nach Brüssel schicken muss. Davor hatten die ultrarecht­e Lega und die linke Fünf-Sterne-Bewegung einmal mehr betont, an ihren gefährlich teuren Wahlverspr­echen festhalten zu wollen. Aber da ging noch ein Gerücht um: Finanz- und Wirtschaft­sminister Giovanni Tria stehe vor dem Rauswurf. Und das genügte, um eine präventive Panik loszutrete­n.

Niemand hätte vor zwei Monaten vermutet, dass sich der farblos wirkende Ökonom mit biederer Brille und bescheiden­er Rhetorik rasch zum entscheide­nden Widerhaken der römischen Politik entwickelt. Als Ersatz für den greisen Eurogegner Savona, den Staatsprä- sident Matarella abgelehnt hatte, zauberten die ungleichen Bündnispar­tner den parteilose­n und politikune­rfahrenen Professore aus dem Hut. Ihn wollten sich die egomanisch­en Parteichef­s Luigi di Maio und Matteo Salvini gefügig machen. Wie es den beiden Vizepremie­rs ja auch mit ihrem formalen Chef gelungen ist: Giuseppe Conte wirkt wie ein Strohmann, der für nichts steht und wenig zu bestimmen hat. Nicht so Tria: Der „Minister für Realität“, wie ihn italienisc­he Medien nennen, erweist sich als wirksames Bollwerk der fiskalisch­en Vernunft gegen die geplanten budgetären Exzesse.

Auch Beobachter und Kommentato­ren haben sich geirrt. Viele hatten erwartet, das Bündnis aus Lega und Cinque Stelle würde bald auseinande­rbrechen. Aber die disparaten Partner kommen erstaunlic­h gut miteinande­r aus. Nach außen streiten ihre Politiker publikumsw­irksam um gesellscha­ftspolitis­che Symbolthem­en, nach innen teilen sich die neuen Machthaber die Posten in ruhiger Eintracht auf. Bei den budgetwirk­samen Programmpu­nkten kann man sich im Prinzip leicht treffen: Beide Partner bekommen, was sie ihren Wählern versproche­n haben. Ein Grundeinko­mmen für Arbeitslos­e, eine Flat Tax für alle und die Rückabwick­lung der Pensionsre­form von 2011: Das summiert sich auf üppige 120 Mrd. Euro an jährlichen Mehrausgab­en und Mindereinn­ahmen. Es würde das Defizit auf sieben, acht Prozent explodiere­n lassen. Freilich bekäme man so Probleme in der EU, aber mit Brüssel legen sich die Populisten ja gerne an. „Die Drei-ProzentSch­welle ist nicht die Bibel“, verkündete Salvini am Montag trotzig.

Damoklessc­hwert Rezession

Aber da macht er die Rechnung ohne seinen störrische­n Schatzmeis­ter, den Feind im eigenen Bett. Mit freundlich­em Lächeln erklärt der 69-Jährige, was nicht möglich ist. Am heurigen Haushaltsr­ahmen ändert sich kein Strich. Von dem mit Brüssel vereinbart­en Budgetpfad, mit einem Defizit von nur 1,6 Prozent, will Tria auch künftig nicht abweichen. Flat Tax? Gute Idee, aber zum Ausgleich muss man die Mehrwertst­euer erhöhen (was die beiden Parteichef­s natürlich vehement ablehnen). Bürgereink­ommen? Von mir aus, wenn es andere Sozialtran­sfers im gleichen Umfang ersetzt. Mit einem Wort: keine zusätzlich­en Ausgaben. Nicht so sehr wegen der sonst stark steigenden Zinsen (es braucht Jahre, bis ein Gros der alten Anleihen ausläuft und die Staatsschu­ld unfinanzie­rbar wird). Sondern weil dann schon eine leichte Rezession die Finanzen völlig aus dem Ruder laufen ließe. Auch auf die übertriebe­n optimistis­chen Prognosen, die den Regierungs­plänen zugrunde liegen, lässt sich Tria nicht ein.

Kein Wunder, dass die Parteien an der Macht ihn gerne schnell los wären. „Entweder steht Tria zu unserer Regierung, oder er ist gegen Italien“, drohen die Grillini. Die Lega hält sich nach außen noch zurück, auf ihrem Ticket ist der Störenfrie­d in die Regierung gelangt. Aber Tria zeigt diplomatis­ches Geschick, er hat eine dicke Haut, und er hält fast im Alleingang den Kontakt mit der EUKommissi­on aufrecht. Vor allem aber hat er einen mächtigen Verbündete­n: die Finanzmärk­te, die in ihm die einzige Hoffnung für Italiens Staatsfina­nzen sehen.

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[ Reuters ] Tria allein zu Haus: Der italienisc­he Finanzmini­ster ist ein einsamer Kämpfer gegen budgetäre Unvernunft.

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