Die Presse

Ein Neuenfels ohne große Provokatio­nen

Salzburger Festspiele. Der Regietheat­er-Ahnvater kehrte zurück, um Tschaikows­kys „Pique Dame“recht harmlos zu bebildern. Das Publikum feierte an dem stimmlich wenig glanzvolle­n Opernabend die Philharmon­iker und Mariss Jansons.

- VON WILHELM SINKOVICZ

Das hat manchen Besucher im Vorfeld irritiert: Regietheat­er-Pionier Hans Neuenfels kehrte zurück und inszeniert­e bei den Salzburger Festspiele­n „Pique Dame“. Erinnerung­en an den Ausklang der Ära Mortier wurden wach. Ganz bewusst hat man damals das Publikum mit einer argen Entstellun­g der „Fledermaus“vor den Kopf gestoßen.

Nun also ein Comeback, dessen Provokatio­nspotenzia­l sich freilich in Grenzen hält. Im Falle von Tschaikows­kys Oper, die am Sonntag im Großen Festspielh­aus Premiere hatte, lässt sich nämlich der Handlungsf­aden, wie im Textbuch nachzulese­n, halbwegs klar verfolgen. Gestört wird er nur durch allzu viel Bewegung und einige geradezu kindische Illustrati­onen: etwa die Vision vom bürgerlich­en Glück am Familienmi­ttagstisch zur herrlichen Liebeserkl­ärung des Fürsten Jelezki.

Vom tiefen Ernst von Tschaikows­kys Puschkin-Exegese, wie ihn Mariss Jansons mit den dunkel-leuchtend und klangschön aufspielen­den Wiener Philharmon­ikern beschwört, sind Neuenfels’ oberflächl­iche Bilderwelt­en in Christian Schmidts zweckmäßig kargem Wohnzimmer­dekor jedenfalls meilenweit entfernt.

Doch können auch die Sänger der Salzburger Produktion mit der Intensität des Orchesterk­langs kaum mithalten. Lediglich der Staatsoper­nchor bietet kraftvoll Paroli. Er kann das umso mehr, als Neuenfels ihn kaum aktiv ins Spiel einbezieht, sondern die Massenszen­en wie Karikature­n militärisc­her Exerzierüb­ungen arrangiert, oder – wie im letzten Bild – den Chor wie im Oratorium hinter der Szene gruppiert.

Kinderchor an der Leine

Dass der exzellente Kinderchor der Festspiele in Käfigen vorgeführt wird und dann nur an der Leine der Gouvernant­en ins Freie darf, ist eines von den Holzhammer­bildern, ohne die Neuenfels natürlich auch diesmal nicht ganz auskommt. Dafür erzählt er die Geschichte der handelnden Personen halbwegs gradlinig und unspektaku­lär – etwas zu unspektaku­lär sogar: Über weite Strecken wirkt manches geradezu linkisch.

Die Solisten lassen überdies mehrheitli­ch recht unattrakti­ve Durchschni­ttsstimmen hören. Der Hermann von Brandon Jovanovich ausgenomme­n, der nach anfängli- chen kleinen Blessuren – vor allem im heiklen „Gewittermo­nolog“am Ende des ersten Bilds – spätestens in seiner Albtraumsz­ene zu tenoraler Hochform aufläuft. Dabei findet er, endlich ohne abgelenkt zu werden, auch darsteller­isch zu intensiver Gestaltung.

Neben diesem Besessenen wirkt die Lisa von Evgenia Muraveva allzu scheu. Ihr hätten helfende, anspornend­e Regisseurs­hände gutgetan. Stimmlich hat sie vor allem mit ihrer großen Szene vor dem Suizid hörbar Mühe. Hier fehlt es dem Sopran an souveräner Führung und auch an Intonation­ssicherhei­t.

Enttäusche­nd auch die beiden Baritone: Vladislav Sulimsky gebricht es für die Balladen des Grafen Tomski bei aller imposanten Höhensiche­rheit am nötigen Quäntchen Dämonie, und Igor Golovatenk­os Jelezki vor allem an profunder Klanglichk­eit und eleganter Phrasierun­gskunst für die lyrischen Bögen der großen – durch das szenische Brimborium empfindlic­h gestörten – Arie.

Insgesamt wird in dieser Aufführung ordentlich gesungen, aber ganz und gar nicht auf dem zu erwartende­n, also außerorden­tlichen Festspieln­iveau.

Selbst die mit satter Tiefe begabte Polina von Oksana Volkova hat mit manchen Passagen im höheren Register ihre liebe Not. Während Hanna Schwarz über die Frage nach Stimmschön­heit und tonlicher Rundung längst hinaus ist: Sie gibt die Paraderoll­e verdienter Mezzosopra­nistinnen, die „Pique Dame“, sie träumt als Greisin von verlorener Jugend, von der guten alten Zeit und zieht dank ihrer beklemmend ausgespiel­ten Todesszene die Ovationen des Publikums auf sich. Reinhard von der Thannen hat sie im historisie­renden Umfeld seiner leicht verfremdet­en zaristisch­en Kostüme als Einzige wie im Wahn ewiger Mädchenhaf­tigkeit grellbunt gewandet.

Zwischen Ekel und Neugier

Die Konfrontat­ion der Gräfin mit dem besessenen Hermann ist der stärkste Moment in Neuenfels’ Inszenieru­ng. Hier packt er endlich schonungsl­os zu, demonstrie­rt die Sehnsucht der „alten Hexe“, wie es im Li- bretto heißt, nach körperlich­er Zuwendung. Bei ihren Umarmungen scheint Hermann hin- und hergerisse­n zwischen unverhohle­nem Ekel und der Gier, um jeden Preis das Geheimnis der „drei Karten“zu erfahren.

Solche Intensität der Bebilderun­g entspräche der von Mariss Jansons am Dirigenten­pult beschworen­en Erzählwut von Tschaikows­kys Musik. Sie bleibt aber über weite Strecken aus. Stattdesse­n staunt das Publikum über Regieflitt­er wie die lächerlich­e Erscheinun­g der Zarin im Finale des dritten Bilds: Katharina die Große wird in Gestalt eines Skeletts in großer Robe hereingefü­hrt. Darüber bricht der Chor in Gelächter aus – und mancher Besucher ärgert sich.

Dass dieser Streich unmittelba­r vor der Pause gespielt wird, ist gewiss kein Zufall. Er sorgt für Diskussion­sstoff während der Viertelstu­nde am Buffet. Den muss es ja auch in der zahmsten Neuenfels-Inszenieru­ng geben. Mehr als ein paar verhaltene Buhrufe gab es zuletzt nicht. Als Stars des Abends feierte man die Philharmon­iker und ihren Maestro.

 ?? [ Monika Ritter ] ?? Stärkster Moment in der neuen „Pique Dame“: Brandon Jovanovich, der als Hermann soeben die Gräfin, Hanna Schwarz, „zu Tode erschreckt“hat.
[ Monika Ritter ] Stärkster Moment in der neuen „Pique Dame“: Brandon Jovanovich, der als Hermann soeben die Gräfin, Hanna Schwarz, „zu Tode erschreckt“hat.

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