Ein Neuenfels ohne große Provokationen
Salzburger Festspiele. Der Regietheater-Ahnvater kehrte zurück, um Tschaikowskys „Pique Dame“recht harmlos zu bebildern. Das Publikum feierte an dem stimmlich wenig glanzvollen Opernabend die Philharmoniker und Mariss Jansons.
Das hat manchen Besucher im Vorfeld irritiert: Regietheater-Pionier Hans Neuenfels kehrte zurück und inszenierte bei den Salzburger Festspielen „Pique Dame“. Erinnerungen an den Ausklang der Ära Mortier wurden wach. Ganz bewusst hat man damals das Publikum mit einer argen Entstellung der „Fledermaus“vor den Kopf gestoßen.
Nun also ein Comeback, dessen Provokationspotenzial sich freilich in Grenzen hält. Im Falle von Tschaikowskys Oper, die am Sonntag im Großen Festspielhaus Premiere hatte, lässt sich nämlich der Handlungsfaden, wie im Textbuch nachzulesen, halbwegs klar verfolgen. Gestört wird er nur durch allzu viel Bewegung und einige geradezu kindische Illustrationen: etwa die Vision vom bürgerlichen Glück am Familienmittagstisch zur herrlichen Liebeserklärung des Fürsten Jelezki.
Vom tiefen Ernst von Tschaikowskys Puschkin-Exegese, wie ihn Mariss Jansons mit den dunkel-leuchtend und klangschön aufspielenden Wiener Philharmonikern beschwört, sind Neuenfels’ oberflächliche Bilderwelten in Christian Schmidts zweckmäßig kargem Wohnzimmerdekor jedenfalls meilenweit entfernt.
Doch können auch die Sänger der Salzburger Produktion mit der Intensität des Orchesterklangs kaum mithalten. Lediglich der Staatsopernchor bietet kraftvoll Paroli. Er kann das umso mehr, als Neuenfels ihn kaum aktiv ins Spiel einbezieht, sondern die Massenszenen wie Karikaturen militärischer Exerzierübungen arrangiert, oder – wie im letzten Bild – den Chor wie im Oratorium hinter der Szene gruppiert.
Kinderchor an der Leine
Dass der exzellente Kinderchor der Festspiele in Käfigen vorgeführt wird und dann nur an der Leine der Gouvernanten ins Freie darf, ist eines von den Holzhammerbildern, ohne die Neuenfels natürlich auch diesmal nicht ganz auskommt. Dafür erzählt er die Geschichte der handelnden Personen halbwegs gradlinig und unspektakulär – etwas zu unspektakulär sogar: Über weite Strecken wirkt manches geradezu linkisch.
Die Solisten lassen überdies mehrheitlich recht unattraktive Durchschnittsstimmen hören. Der Hermann von Brandon Jovanovich ausgenommen, der nach anfängli- chen kleinen Blessuren – vor allem im heiklen „Gewittermonolog“am Ende des ersten Bilds – spätestens in seiner Albtraumszene zu tenoraler Hochform aufläuft. Dabei findet er, endlich ohne abgelenkt zu werden, auch darstellerisch zu intensiver Gestaltung.
Neben diesem Besessenen wirkt die Lisa von Evgenia Muraveva allzu scheu. Ihr hätten helfende, anspornende Regisseurshände gutgetan. Stimmlich hat sie vor allem mit ihrer großen Szene vor dem Suizid hörbar Mühe. Hier fehlt es dem Sopran an souveräner Führung und auch an Intonationssicherheit.
Enttäuschend auch die beiden Baritone: Vladislav Sulimsky gebricht es für die Balladen des Grafen Tomski bei aller imposanten Höhensicherheit am nötigen Quäntchen Dämonie, und Igor Golovatenkos Jelezki vor allem an profunder Klanglichkeit und eleganter Phrasierungskunst für die lyrischen Bögen der großen – durch das szenische Brimborium empfindlich gestörten – Arie.
Insgesamt wird in dieser Aufführung ordentlich gesungen, aber ganz und gar nicht auf dem zu erwartenden, also außerordentlichen Festspielniveau.
Selbst die mit satter Tiefe begabte Polina von Oksana Volkova hat mit manchen Passagen im höheren Register ihre liebe Not. Während Hanna Schwarz über die Frage nach Stimmschönheit und tonlicher Rundung längst hinaus ist: Sie gibt die Paraderolle verdienter Mezzosopranistinnen, die „Pique Dame“, sie träumt als Greisin von verlorener Jugend, von der guten alten Zeit und zieht dank ihrer beklemmend ausgespielten Todesszene die Ovationen des Publikums auf sich. Reinhard von der Thannen hat sie im historisierenden Umfeld seiner leicht verfremdeten zaristischen Kostüme als Einzige wie im Wahn ewiger Mädchenhaftigkeit grellbunt gewandet.
Zwischen Ekel und Neugier
Die Konfrontation der Gräfin mit dem besessenen Hermann ist der stärkste Moment in Neuenfels’ Inszenierung. Hier packt er endlich schonungslos zu, demonstriert die Sehnsucht der „alten Hexe“, wie es im Li- bretto heißt, nach körperlicher Zuwendung. Bei ihren Umarmungen scheint Hermann hin- und hergerissen zwischen unverhohlenem Ekel und der Gier, um jeden Preis das Geheimnis der „drei Karten“zu erfahren.
Solche Intensität der Bebilderung entspräche der von Mariss Jansons am Dirigentenpult beschworenen Erzählwut von Tschaikowskys Musik. Sie bleibt aber über weite Strecken aus. Stattdessen staunt das Publikum über Regieflitter wie die lächerliche Erscheinung der Zarin im Finale des dritten Bilds: Katharina die Große wird in Gestalt eines Skeletts in großer Robe hereingeführt. Darüber bricht der Chor in Gelächter aus – und mancher Besucher ärgert sich.
Dass dieser Streich unmittelbar vor der Pause gespielt wird, ist gewiss kein Zufall. Er sorgt für Diskussionsstoff während der Viertelstunde am Buffet. Den muss es ja auch in der zahmsten Neuenfels-Inszenierung geben. Mehr als ein paar verhaltene Buhrufe gab es zuletzt nicht. Als Stars des Abends feierte man die Philharmoniker und ihren Maestro.