Die Presse

War früher wirklich alles besser? Ein Film über die Nostalgie

Kino. Ritesh Batras hat den Roman „Vom Ende einer Geschichte“von Julian Barnes verfilmt. Eine vertane Chance.

- VON MARTIN THOMSON

Ein alter Mann schwelgt in Erinnerung­en an jene Zeit, als er sich erstmals restlos verliebt hat. Immer, wenn ihm die Routine der täglichen Besorgunge­n zu trist wird, wenn er die Geschwätzi­gkeit der Kunden in seinem Laden nicht aushält, flieht er in seine Tagträume. Überhaupt reagiert er meistens gereizt auf fremde Menschen. Ein verbittert­er Grantler durch und durch ist Tony Webster (bravourös gespielt von Jim Broadbent) allerdings nicht. Dafür strahlt er zu viel britische Noblesse aus. Er ist eher ein vergrübelt­er Gentleman – immer ein bisschen außerhalb seiner selbst stehend, aber trotzdem ein guter Vater, der seine Tochter aufopferun­gsvoll unterstütz­t und sogar seiner ExFrau ein treuer Freund geblieben ist.

Doch seine Früher-war-alles-besserMent­alität gerät ins Schwanken. Er beginnt sich zu fragen, woher die Risse in seinen inneren Rückblende­n kommen. Wieso sie an bestimmten Stellen immer wieder abreißen. War die Affäre, die nie verblassen wollte, nicht krachend gescheiter­t? Hatte sich der beste Freund nicht das Leben genommen? Als er vom Tagebuch erfährt, das sein Freund damals hinterlass­en hatte, hofft er auf Aufklärung. Allerdings liegen die Sachen komplizier­ter, als er dachte: Denn die Frau, die dieses Buch aufbewahrt hat, ist jene einstige Geliebte, von der er nie aufhören konnte zu träumen – und sie will die Aufzeichnu­ngen ihres Gatten, für den sie Tony damals verließ, nicht herausrück­en. Nachdem seine Bemühungen scheitern, die Sache auf legalem Wege zu klären, beißt er die Zähne zusam- men und trifft sich mit der von Charlotte Rampling dargestell­ten Verflossen­en. Nachtragen­d, unterkühlt, undurchsic­htig wirkt sie in der Rolle. Wie ein Gespenst, das Tony endlich auch in Fleisch und Blut heimsucht. Und das ihn zum Stalker werden lässt.

Kitsch in den Flashbacks

Dass die Inszenieru­ng etwas Romantisch­es in sein Verhalten hinein imaginiert, statt dessen gewaltsame, krankhafte Züge zu betonen, gehört zu den unangenehm­en Sonderbark­eiten des Films. Irgendwie wird einem mulmig, wenn man Tony dabei zuschaut, wie er seiner alten Flamme nachstellt – und so getan wird, als wäre er nur ein etwas schrullige­r Alter. Hinzu kommt der Kitsch in den Flashbacks, ihre etwas zu betuliche, biedere Aufmachung. An die Pointe aus der Roman-Vorlage von Julian Barnes, dass man jeglicher Nostalgie mit Vorsicht begegnen und ehrlich zu sich selbst sein sollte, dürften die Filmemache­r nicht geglaubt haben. Eine vertane Chance.

 ?? [ Wild Bunch Germany ] ?? Tony Webster (Jim Broadbent) mag anderen gegenüber ruppig auftreten, seine Tochter (Michelle Dockery) unterstütz­t er aufopferun­gsvoll.
[ Wild Bunch Germany ] Tony Webster (Jim Broadbent) mag anderen gegenüber ruppig auftreten, seine Tochter (Michelle Dockery) unterstütz­t er aufopferun­gsvoll.

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