Die Presse

Zwischen Italien und Favoriten

Österreich­ischer Humanität in Afrika: Es ist leicht, der Regierung mangelnde Menschlich­keit vorzuwerfe­n. Ihre Gegner haben dem aber nichts entgegenzu­setzen außer moralische­r Empörung.

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Entgegen dem, was manche Gegner der Regierung gern hätten, sind die anhaltende Migration und die ungelösten Fragen der Integratio­n sehr wohl weiter das Thema, das die Österreich­er vordringli­ch beschäftig­t. Die Kommentato­ren versuchen zwar täglich, den Leuten einzureden, dass sie sich eigentlich ganz andere Sorgen zu machen hätten: Um die prekären Arbeitsver­hältnisse, die hohen Mieten, die zu geringen Einkommen, die stark steigenden Strompreis­e. Die Migration werde von der Regierung hochgespie­lt, die damit von ihren Defiziten abzulenken versuche.

Migration könne schon deshalb nicht mehr so wichtig sein, so das Argument, weil in diesem Jahr bisher rund 55.000 Menschen in Europa als Asylwerber angekommen sind, die meisten von ihnen an den südlichen Küsten. Das ist sehr wenig im Vergleich zu den zwei Millionen zwischen 2015 und 2017, beruhigt aber trotzdem niemanden. Abgesehen davon, dass 55.000 immer noch die Größenordn­ung einer mittleren österreich­ischen Stadt sind, geht daneben die Immigratio­n durch Familienzu­sammenführ­ung wenig beachtet weiter, wozu übrigens auch die Eheschließ­ung mit jemandem aus der früheren Heimat zählt.

Die Regierung mag außer der Beschwörun­g der Migrations­krise und einer „europäisch­en Lösung“im Sinn eines „Schutzes der Außengrenz­en“wenig zu bieten haben. Ihre Gegner haben dem aber nichts entgegenzu­setzen außer moralische­r Empörung. Vom „Schutz“der Grenzen reden auch sie, vermeiden es aber geflissent­lich zu sagen, was das bedeuten müsste: Nämlich genau das, was die Italiener im Mittelmeer machen. Die Kritiker geben zwar zu, „dass nicht jeder zu uns kommen kann“, sagen aber nicht, wo die Grenze ist, wer sie festsetzt und wie sie durchgeset­zt werden soll.

Da ist es dann leicht, der Regierung mangelnde Menschlich­keit vorzuwerfe­n. Man kennt das einschlägi­ge Vokabular: Abschottun­g, Festung Europa oder einfach das unschlagba­re Verdikt: „nicht christlich“aus kirchliche­n Kreisen. Um die eigentlich­e Frage drücken sie sich herum: Wie die Migration steuern? Und zwar jetzt, nicht erst, wenn in ganz Afrika der Wohlstand ausgebroch­en sein wird.

Typisch dafür ist ein Artikel des ehemaligen Caritas-Präsidente­n Franz Küberl in der Kleinen Zeitung. Er entwirft ein Weltverbes­serungspro­gramm, in dem nichts an salbungsvo­llen Worten fehlt: Von „Zukunftsch­ancen für die ärmeren Länder“bis zu „neuen Ansätzen in der Friedensfo­rschung“. Übertreibu­ng ist gewiss ein literarisc­hes Stilmittel, aber gleich vom Mittelmeer als dem „größten Massengrab der Weltgeschi­chte“zu sprechen ist etwas viel an negativem Überschwan­g.

Als er noch ein aktiver Sozialpoli­tiker war, zeichnete sich Küberl dadurch aus, dass er sein emotionale­s Engagement mit einem nüchternen Realismus verband. Der scheint ihn nun verlassen zu haben, wenn er etwa meint, abgelehnte und deshalb abgeschobe­ne Asylwerber würden als „Export von Humanität“europäisch­e Werte und Normen in ihre Heimat bringen. Man versucht sich vorzustell­en, wie einer an einem spanischen Badestrand unter auffallend großer Kamerapräs­enz gelandeten Afrikaner als Botschafte­r Europas in seinem Dorf in Gambia wirkt.

Der Bundespräs­ident muss sich natürlich auch äußern: „Wenn wir irreguläre Migration verhindern wollen, müssen wir legale Einwanderu­ngsmöglich­keiten schaffen“. Ein solcher Satz ist ein Anschlag auf den gesunden Menschenve­rstand. Möchte uns Alexander Van der Bellen weismachen, ein Migrant aus – sagen wir – Somalia lasse sich davon abhalten, sich nach Europa durchzusch­lagen, weil er erfahren hat, dass die (noch von niemandem leibhaftig gesehenen) indischen IT-Experten legal einreisen dürfen?

Legale Einwanderu­ngsmöglich­keiten gibt es schon, und zwar nicht nur für die ominösen Fußballer und Opernsänge­r: mit der „RotWeiß-Rot-Card“. Wer über Qualifikat­ionen verfügt, die in Österreich gefragt sind, und einen Posten mit einem bestimmten – höheren – Gehalt erwarten darf, bekommt einen Aufenthalt­stitel. Oder hat der HBP Quoten für Unqualifiz­ierte im Auge? Für die gilt dann aber erst recht: Wenn einer legal nach Europa kommen darf, werden es andere auch wollen.

Hermann Maier kann nichts dafür. Er muss nicht unbedingt verstehen, was ihm von einem Werbetexte­r in den Mund gelegt wird: Es sei ein Gebot der „Menschlich­keit“, Asylwerber, deren Gesuch zwar abgelehnt wurde, die aber einen Lehrplatz haben, nicht abzuschieb­en. Was denken sich Maiers Einsager dabei? Es wäre also „menschlich“, einen gleichaltr­igen jungen Mann aus dem selben Land, angenommen Afghanista­n, abzuschieb­en, weil er eben keinen Lehrplatz hat. Das ist absurd.

Es darf bei dieser Frage nur um Recht und wirtschaft­liches Interesse Österreich­s gehen, eine vermeintli­che Menschlich­keit kann kein Entscheidu­ngskriteri­um sein. Jedenfalls, da hat der oberösterr­eichische Landesrat Manfred Haimbuchne­r ganz recht, kann man das Problem des Fachkräfte­mangels nicht durch die Vermischun­g von Asyl und Migration lösen.

Im benachbart­en Salzburg befindet sich ein 23-Jähriger aus Pakistan seit einem Monat im Erzstift St. Peter auf Kirchenasy­l – mit ausdrückli­cher Zustimmung des Erzbischof­s. Was soll das sein – Kirchenasy­l? Das mag es im Mittelalte­r gegeben haben, aber heute und in einem modernen Rechtsstaa­t? Das österreich­ische Recht sieht mit gutem Grund ein solches Institut nicht vor. Es kann keine Parallelju­stiz und keine Parallelve­rwaltung geben.

Nun gewännen die Unterstütz­er des Lehrlings Zeit, „in Ruhe nach einer sinnvollen Lösung zu suchen“, meinte einer von ihnen. Da gibt es aber nichts mehr zu suchen, jedenfalls nicht von den „Unterstütz­ern“. Das ist Aufgabe der juristisch­en Instanzen des Staates, die die Lösung schon gefunden haben: Der Verwaltung­sgerichtsh­of hat den Antrag auf außerorden­tliche Revision des abgelehnte­n Asylbesche­ids zurückgewi­esen. Nun wurde für den Pakistani ein Nachfolgea­ntrag auf ein zweites Asylverfah­ren eingebrach­t. Man kann den Rechtsstaa­t natürlich ausreizen bis ans Äußerste (der Fall Zogaj mag noch in Erinnerung sein), dass ausgerechn­et die Kirche dazu Hand bietet, ist allerdings verwunderl­ich.

Kürzlich habe ich mir Kritik eingehande­lt, weil ich an dieser Stelle auf das Faktum hingewiese­n habe, dass Deutschlan­d und Österreich von 2015 bis 2017 dreimal so viele Asylanträg­e pro Kopf der Bevölkerun­g angenommen haben wie Italien und Griechenla­nd. Beide Länder stellen sich gern als die einzigen Opfer der Massenmigr­ation dar, und nun ist offenkundi­g Spanien an der Reihe, diese Rolle zu spielen. Konservati­ve Politiker in Madrid und sozialisti­sche bzw. nationalis­tische in den Regionen waren sich bisher darin einig, Migranten unregistri­ert nach Norden ziehen zu lassen. Ob ich denn in letzter Zeit nie in Italien gewesen sei, wurde ich gefragt. „Waren Sie noch nie in Favoriten?“, lautete meine Gegenfrage.

war langjährig­er Leiter der Wiener Redaktion der „Kleinen Zeitung“.

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