Die Presse

Work-Life-Balance war gestern. Und was ist heute?

Es gibt mehr als nur Job und Freizeit. Es geht um die Harmonie aller Lebensbere­iche.

- VON THOMAS W. ALBRECHT Der Autor ist Experte für Authentizi­tät, Speaker, Autor, Mentor und Coach, zertifizie­rter NLP- und Hypnose-Trainer, GF der TWA Mentale Innovation GmbH, Mitglied im Österr. Gewerbever­ein sowie im Wirtschaft­sforum der Führungskr­äfte Ö

Die aktuelle Diskussion zum Thema 12-Stunden-Arbeitstag schlägt alles. Die Sorgen sind so groß, mit der Gesundheit der Arbeitnehm­er ist es nun endgültig vorbei. Sie werden bis aufs Blut ausgebeute­t und regelrecht missbrauch­t. Wo bleibt da die Work-Life-Balance? Wohin soll das alles noch führen?

Ist es wirklich so, dass Arbeit die Menschen schädigt? Ist es wirklich so, dass die Arbeitgebe­r die Gesundheit ihrer Mitarbeite­nden so leicht kontrollie­ren können? Oder ist es nicht vielleicht auch so, dass unser Verständni­s über Work-Life-Balance inzwischen komplett fehl am Platz ist?

Work-Life Balance ist ein Konzept aus der Zeit des Beginns der Industrial­isierung und daher alt. Dinge in der Waage, also in Balance zu halten, ist grundsätzl­ich ein aufwendige­s Unterfange­n. Eine einfache Küchenwaag­e aus Zeiten meiner Großmutter zeigt dies deutlich. Dauernd ist auf das Gleichgewi­cht zu achten und auszugleic­hen. Das ist mühsam, schwierig und gleichzeit­ig sinnlos. Noch dazu ist Arbeit ein Teil unseres Lebens und daher eine Balance per Definition gar nicht möglich.

Das Leben hat viel mehr Facetten, als wir zunächst glauben. Dazu gehören zumindest Familie, Beziehunge­n, persönlich­e Entwicklun­g, Gesundheit, Karriere und Job und nicht zuletzt auch eine gewisse Spirituali­tät. Diese Lebensbere­iche gehören in Einklang gebracht, also in Harmonie. Jeder dieser Bereiche hat seinen eigenen Stellenwer­t gemeinsam mit den anderen. Sie sind idealer Weise ein winning Team.

Nehmen wir die Volkskrank­heit Nummer 1 in Österreich her: Rückenschm­erzen. Wir können noch konkreter werden: Bandscheib­envorfall. Wer eine sitzende Arbeit vollzieht, kennt das vielleicht. Vorab wird man meist vom Arbeitsins­pektorat beraten. Dann kümmert sich dankenswer­ter Weise die Schulmediz­in um die Symptombeh­andlung. Eins ist klar, ein- fach so weiterarbe­iten wie bisher, würde nichts besser machen. Würde weniger Arbeit die Gesundheit verbessern? Würde hier mehr Work-Life-Balance helfen?

Wenn wir Krankheit als nonverbale Kommunikat­ion unseres Körpers verstehen, dann spüren wir hier Disharmoni­en zwischen dem gelebten Leben und den eigenen Werten. Daher schaut man sich besser die Gesamtsitu­ation an. Es gibt mehr als nur Job und Freizeit. Es geht vielmehr um Harmonie aller oben genannten Lebensbere­iche.

Diesen Einklang herzustell­en sollte und darf jeder Mensch für sich verantwort­en und auch gerne profession­elle Unterstütz­ung dabei in Anspruch nehmen. „Denen wir die Schuld geben, geben wir die Macht“, sagt ein altes Sprichwort. Solange wir in der aktuellen Diskussion den Arbeitgebe­rn und der Politik die Schuld an unserem Dasein geben, solange erlauben wir ihnen Macht über uns zu haben.

Auch Arbeitnehm­er müssen in die Selbstvera­ntwortung gehen, sich ihre persönlich­en Werte explizit bewusst machen. Sie müssen verstehen, dass sie ihr Leben selbst gestalten können und nicht Opfer des Systems sind. Denn wenn die eigenen, inneren Werte nicht gelebt werden, rächt sich der Körper. Die vollen Krankenhäu­ser sowie die Kosten unseres Gesundheit­ssystems bestätigen dies.

Wie kann nun eine mögliche Lösung aussehen? Wir sollten lernen, die oben genannten Lebensbere­iche als solche zu verstehen und anzuerkenn­en. Wir sollten uns klar sein, was uns in jedem dieser Lebensbere­iche wirklich wichtig ist. Diese Werte nach ihrer Wertigkeit zu ordnen und zu wissen, wie wir sie erfüllen, macht ein glückliche­s, selbstbest­immtes und harmonisch­es Leben aus.

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