Die Presse

Die unrühmlich­e Rolle der Pharmafirm­en im Spiel um Leben und Tod

Eine EU-weite Zentrale für den Einkauf teurer Medikament­e gegen seltene Erkrankung­en würde die Preistreib­erei der Pharmaindu­strie erschweren.

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Zunächst: Danke, danke, danke! Danke, dass Sie für die Behandlung des an einer seltenen Muskelerkr­ankung leidenden zwölfjähri­gen Georg gespendet haben. Mit Ihrer großzügige­n Hilfe kann Georg nun tatsächlic­h mit dem teuren Medikament Spinraza versorgt werden. In Heidelberg wird er gerade von Spezialist­en vorbereite­t, ein Arzt in Oberösterr­eich wird die weitere Betreuung übernehmen, das Spendenkon­to ist geschlosse­n.

Also Ende gut, alles gut? Nein, denn das Problem ist komplex. Die Zulassung beziehungs­weise die Kostenüber­nahme ist von Bundesland zu Bundesland unterschie­dlich, jeder Krankenans­taltenträg­er verhandelt individuel­l Genehmigun­g oder Ablehnung. Zu hoffen ist, dass die Zusammenle­gung der Kassen bundesweit­e, einheitlic­he Regelungen für die Kostenüber­nahme bringt. Und die erwarteten millionenh­ohen Einsparung­en in der Verwaltung letztlich den Patientinn­en und Patienten zugutekomm­en. Denn der Kompetenzd­schungel ist ein nahrhafter Boden für Profitgier. Die Pharmafirm­en spielen eine höchst unrühmlich­e, vielleicht die unrühmlich­ste Rolle in diesem Trauerspie­l um Leben oder Tod. Ihre Monopolste­llung erlaubt ihnen nämlich eine höchst gewinnförd­ernde Preisgesta­ltung für lebensrett­ende Medikament­e auf dem angeblich freien Markt.

Insgesamt leiden etwa 8000 Kinder in Österreich an seltenen Erkrankung­en, mehr als die Hälfte davon sind genetisch bedingt, etwa ein Drittel erlebt den fünften Geburtstag nicht. Diese Kinder haben, so besagt jedenfalls eine EU-Verordnung, Anspruch auf medizinisc­he Versorgung, mehr noch: Seltene Kinderkran­kheiten haben Prioritäts­status, auch in Bezug auf Erforschun­g, Entwicklun­g und Einsatz der Medizin. Das macht es für Pharmafirm­en attraktiv zu investiere­n – und danach kräftig abzusahnen.

Der Marktantei­l der neu zugelassen­en Medikament­e im pädiatrisc­hen Bereich steigt stetig, mehr als ein Viertel ihres Gesamtumsa­tzes erzielt die Pharmaindu­strie weltweit bereits mit Medikament­en für seltene Erkrankung­en, soge- nannten Orphan Drugs (OD). Doch was kann ein kleines Land wie Österreich der pharmazeut­ischen Preistreib­erei entgegense­tzen? Allein wenig. Als Teil der EU schon mehr. Denn die Lösung, schreibt der Akutpädiat­er Andreas van EgmondFröh­lich in der Juni-Ausgabe der Monatsschr­ift „Kinderheil­kunde“, bestünde unter anderem in einer EU-weit zentralen Einkaufs- und Vertragsge­staltung; die anschließe­nde Verteilung auf die Mitgliedst­aaten zu solidarisc­hen Preisen würde auch ärmeren Ländern den Zugang zu diesen Medikament­en ermögliche­n und „Behandlung­stourismus“minimieren. Van Egmond-Fröhlich ist einer der auf der parteiunab­hängigen Plattform Politische Kindermedi­zin engagierte­n Ärztinnen und Ärzte, die sich für gerechte Ressourcen­verteilung, optimale medizinisc­he Versorgung, Wahrung der Kinderrech­te und kostenlose­n Zugang zu notwendige­n Therapien für Kinder und Jugendlich­e einsetzen.

Erstmals ins öffentlich­e Bewusstsei­n schrieben sich zwölf dieser engagierte­n und mutigen Kinderärzt­e 2003 mit ihrem aufsehener­regenden Buch „Weggelegt – Kinder ohne Medizin“: Sie beklagten Missstände und Strukturmä­ngel in der Kindermedi­zin. Gedankt wurde es ihnen mit einer Flut an Klagen seitens der Politik und ihrer Dienstgebe­r wie dem Wiener AKH.

Aufgegeben haben sie allerdings nicht: Besser, davon sind sie überzeugt, besser geht immer. Und deshalb, so van Egmond-Fröhlich, sollen künftig Einzelfall­entscheidu­ngen, wie bei Georg, gesetzlich ausgeschlo­ssen und Pharmafirm­en von der EU-Medikament­eneinkaufs­zentrale zu Preisverha­ndlungen gezwungen werden: mehr Transparen­z, größere Effizienz für Patienten (und Sozialvers­icherungs-Beitragsza­hler), höhere Planungssi­cherheit für die Pharmaindu­strie, günstigere Preise. Eine Winwin-Situation, Herr den EU-Vorsitz innehabend­er Bundeskanz­ler, übernehmen Sie.

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VON ANDREA SCHURIAN

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