In diesen Büchern wird es bedrohlich heiß
Literatur. Von „The Great Gatsby“bis zu „Homo faber“, von „Der Fremde“bis „Mrs. Dalloway“: Die Hitze richtet in der Literatur so einiges an. Sie treibt ins Bett und zum Mord – und löst sogar Weltbilder auf.
Über dem Atlantik befand sich ein barometrisches Minimum; es wanderte ostwärts, einem über Russland lagernden Maximum zu . . .“Welch prominenten Platz die Meteorologie in der Literatur einnehmen kann, wissen wir vom Beginn des „Mann ohne Eigenschaften“. Hier bringt der Augusttag noch angenehme Wärme, beim österreichischen Nachkriegsautor und einstigen „Presse“-Kulturredakteur Jörg Mauthe wird die Sommerhitze für Österreich lebensgefährlich: In „Die große Hitze oder Die Errettung Österreichs durch den Legationsrat Dr. Tuzzi“schickt er seinen Protagonisten, einen Neffen des Tuzzi im „Mann ohne Eigenschaften“, auf Wassersuche.
Wo die Hitze fehlte
Das sei zwecks Lokalkolorit erwähnt – aber im Allgemeinen pflegten österreichische und überhaupt deutschsprachige Autoren die Hitze eher stiefmütterlich, die Kälte aufmerksamer zu behandeln. Besonders etwa die Barockdichter, die tatsächlich in einer Kälteperiode lebten. Aber auch die Romantiker, die die Kälte zur vielschichtigen Metapher machten, für Weltverlorenheit etwa, Einsamkeit, Distanz, Stillstand. Ganz zu schweigen von Kafka, der seinen vergeblich nach wärmender Kohle suchenden „Kübelreiter“schließlich in „den Regionen der Eisgebirge auf Nimmerwiedersehen“verschwinden lässt.
Wenn es nicht gerade um stürmische Verliebtheit ging, fielen die literarischen Landschaften als Seelenlandschaften eher kalt als heiß aus. Reisten die Schriftsteller freilich in den Süden, konnte es auch in ih- ren Texten tropischer werden. Das gilt für Goethe, den leidenschaftlichen Italienreisenden, ebenso wie für Hölderlin.
Homo faber verliert die Contenance
Aber auch für Max Frisch, der in den 1950erJahren zweimal nach Mexiko flog. Im Roman „Homo faber“ließ er auch seinen Helden 1957 über Mexiko reisen: „Schon in Campeche empfing uns die Hitze mit schleimiger Sonne, klebriger Luft, Gestank von Schlamm, der an der Sonne verwest, wenn man sich den Schweiß aus dem Gesicht wischt.“Da glaubt Faber freilich noch an die Überlegenheit von Wissenschaft und Technik: „Böen wie üblich vor Gebirgen, die normale Thermik“, hält er beim turbulenten Flug ungerührt fest, in der Wüste dann: „Ich schlottere, aber ich weiß: In sieben bis acht Stunden kommt wieder die Sonne.“In der Hitze des Dschungels von Guatemala aber löst sich dann doch seine starre Persönlichkeit, sein Weltbild auf. Wird es richtig heiß, kann in der Literatur alles mögliche Extreme, Umwälzende, Gefährliche passieren. Der als gebürtiger Algerier hitzeerfahrene Albert Camus lässt seinen Helden Meursault in der sengenden Sonne zum Mörder werden – die Sonne war schuld, sagt dieser beim Prozess. Auch die verhängnisvollen Geschehnisse in Ian McEwans Ro- mans „Abbitte“nehmen während einer außergewöhnlichen Hitzewelle ihren Lauf. Noch viel „heißer“aber ist „The Great Gatsby“. F. Scott Fitzgerald, der gern in den europäischen Süden reiste, konnte die hohen Temperaturen darin gar nicht genug betonen, schraubte sie noch beim Überarbeiten weiter hinauf. „The next day was broiling, almost the last, certainly the warmest day of the summer“, heißt es über den ersten Tag des Erzählers bei den Buchanans, wo das Verhängnis rund um Gatsby und die von ihm angebetete Daisy seinen Lauf nehmen wird. Die Menschen schwitzen, die Hitze raubt ihnen die Contenance, bringt die Konflikte zum Ausbruch, wirkt wie eine Zwangsjacke – die Katastrophe erscheint unausweichlich. Die Hitze ist Gatsbys Gegenspieler, und sein kühl durchgeplantes Unternehmen, die Vergangenheit wiederherzustellen, endet wie die Zündhölzer, die Daisy nach Anzünden ihrer Zigaretten achtlos wegschmeißt. „The thing to do is to forget about the heat“, sagt Tom, der noch am ehesten die Kontrolle bewahrt.
Fitzgerald könnte bei alledem auch an Shakespeare gedacht haben. Der Tag, an dem in „Romeo und Julia“Mercurio und Tybalt ins tödliche Duell geraten, ist auch der heißeste Tag des Jahres; Benvolios Warnung vor dem die Gemüter erhitzenden Wetter bleibt vergeblich.
Thomas Mann war keiner, der sich als Erzähler in die Hitze stürzte. Nur in die Kälte begab er sich im „Schnee“-Kapitel des „Zauberbergs“rückhaltlos. Stiegen die literarischen Temperaturen, blieb er auf ironischem Abstand, gefahrenbewusst. Überhitzt ist im „Zauberberg“nicht die Luft, sondern der Körper: Steigt Hans Castorps Thermometer auf 37,6 Grad, steigt auch die erotische Spannung, die ihn in die Arme von Madame Chauchat (inspiriert von französisch „chaud“und „chat“, also „heiße Katze“) führt.
Boccaccios heiße Mädchen
Diesem raffinierten Autor verzeiht man gern das Spiel mit der an sich trivialen Verbindung von Hitze und Erotik – wie schon Boccaccio, wenn er im „Dekameron“von einem jungen Mädchen und ihrem heimlichen Liebhaber erzählt: Sie erzählt der Mutter, sie müsse wegen der Hitze in einem anderen Zimmer schlafen – und sagt, als diese sich wundert: „Ihr solltet bedenken, dass es jungen Mädchen viel heißer ist als alten Frauen.“
„Wer kann die Hitze und Gewalttätigkeit eines Dichterherzens ermessen, wenn es in einem weiblichen Körper gefangen und verstrickt ist?“, schrieb Virginia Woolf über sich. Bei ihr verbrennen Figuren am Leben, wie später bei Ingeborg Bachmann, Hitze hat bei Woolf viel mit Lebenskampf und innerer Rebellion zu tun. Im Roman „Mrs. Dalloway“ist sie vor allem mit der Hauptfigur Clarissa verbunden und mit dem vom Ersten Weltkrieg gezeichneten Septimus, der am Ende Selbstmord begeht. Was ist hier junge Liebe? „Ein in einem Krokus brennendes Zündholz.“Und der Hitze der Sonne entkommen diese Figuren erst im Tod.
The next day was broiling, almost the last, certainly the warmest day of the summer.
. . . erzählt Nick Carraway über seinen Besuch beim Ehepaar Buchanan, in F. Scott Fitzgeralds „The Great Gatsby“
The thing to do is to forget about the heat.
Tom Buchanan in „The Great Gatsby“
Hitze? Es ist nicht warm heite – guttes Wetter. Serr gutt.
. . . meint ein Bolivianer in „Nesthäkchen“über das drückend heiße Berlin.
Ihr solltet bedenken, dass es jungen Mädchen viel heißer ist als betagten Frauen.
Boccaccio, „Decamerone“
Who shall measure the heat and violence of a poet’s heart when caught and tangled in a woman’s body?
Virginia Woolf
For now, these hot days, is the mad blood stirring.
Benvolio warnt Mercurio in Shakespeares „Romeo und Julia“
Um mich herum war noch immer dieselbe leuchtende, von Sonne gesättigte Landschaft. Die Helligkeit des Himmels war unerträglich.
Camus, „Der Fremde“
Er habe ein bisschen Temperatur, warf Hans Castorp hin. 37,6 minimal. Da drohten sie ihm mit den Zeigefingern, (. . .) als kämen kecke, pikante Dinge an den Tag.
Thomas Mann, „Der Zauberberg“