Die Presse

„The Meg“: Haialarm im Sommerkino

Seit „Der weiße Hai“zählt der Raubfisch zu den beliebtest­en Kinomonste­rn.

- VON ANDREY ARNOLD

Ohne Haie wäre das moderne Kino nicht das, was es ist. Der Megablockb­uster mit seinem Anspruch allumfasse­nder Massenbesp­aßung hat seinen Ursprung in den 1970er-Jahren – namentlich in Steven Spielbergs New-Hollywood-Klassiker „Der weiße Hai“. Dieser beeindruck­ende Mix aus B-Movie-Basis, cleveren Monstereff­ekten, knalligem Actionthri­ller und kraftvolle­m Charakterd­rama war einer der ersten Versuche der Traumfabri­k, ein Universalp­ublikum anzusprech­en, wofür alle Marketingr­egister gezogen wurden. Eine Flut an TV-Werbespots, in denen man den titelgeben­den Hai nie richtig zu sehen bekam, schürte zu John Williams’ „Dundun“-Drohkuliss­en-Ostinato die Angstlust des Publikums: „God created the devil and gave him? JAWS!“

In „Jaws“zeigt sich der Hai erst spät

Und das, obwohl die Zähne des Fisches im Film nur sporadisch aufblitzen. Als sich der Wunsch der Produzente­n, einen echten Hai für ihr Projekt zu dressieren, als illusorisc­h erwies, ließ Spielberg drei maßstabsge­treue mechanisch­e Modelle anfertigen – die ihm einige Probleme brachten: Eines versank im Meer, ein anderes erlitt im Salzwasser einen Motorschad­en. Spielberg machte aus der Not eine Tugend und besann sich auf Alfred Hitchcocks Glauben an die Macht der Suggestion: Im Endprodukt zeigt sich der Hai erst nach über einer Stunde in seiner vollen Pracht, was den Nervenkitz­el nur steigert.

In den USA lief „Der weiße Hai“an einem heißen Freitag im Juni 1975 zeitgleich in 409 Kinos an – und brach alle Kassenreko­rde. Der Sensations­erfolg läutete eine neue Ära des Filmgeschä­fts ein, in der Werbekampa­gnen und strategisc­h gewählte Starttermi­ne oft wichtiger sind als alles andere. Diese Ära hält bis heute an, ihr Wappentier tauchte recht schnell wieder unter: Keinem Haifilm nach Spielbergs Durchbruch­swerk wurde je vergleichb­are finanziell­e Ausbeute oder kritische Anerkennun­g zuteil. Der Schrecken der Meere wurde auf die Ramschkino-Reserveban­k relegiert.

Davon zeugen schon die Fortsetzun­gen zum „weißen Hai“: Der zweite Teil wurde noch halbwegs ernst genommen, der dritte (in 3-D!) wurde recht schlecht rezensiert, der vierte („Jaws: The Revenge“) ist inzwischen zum Trash-Kultobjekt avanciert. Schauspiel­größe Michael Caine, der darin einen Piloten spielt, kommentier­te ihn so: „Ich habe ihn nicht gesehen – was man so hört, soll er ziemlich furchtbar sein. Was ich sehr wohl gesehen habe, ist das Haus, das ich ihm verdanke, und das ist ganz wunderbar.“

Schrottspe­ktakel „Sharknado“

Die Simplizitä­t und unverblümt reißerisch­e Note des Haifilm-Grundkonze­pts – kreischend­e, oft leicht bekleidete Menschen flüchten vor schnappend­em Riesengebi­ss – ließen das Genre in Zeiten des Internets zum Treppenwit­z des Schundkino­sektors verkommen. Spätestens seit der US-Spartensen­der Syfy mit seinem selbstiron­ischen Schrottspe­ktakel „Sharknado“(2013) einen Überraschu­ngshit landete, schießen Riesenfisc­h-Billigfilm­e fürs Heimkino wie Pilze aus dem Boden. Im Netz finden sich etliche Lis- ten mit den „schlechtes­ten Haifilmen aller Zeiten“, darunter Titel wie „Ghost Shark“, „Dinoshark“und „Mega Shark vs. Giant Octopus“: Je dümmer der Name und je mieser die Effekte, desto besser. Manche dieser Kuriosität­en wurden übrigens von HollywoodL­egende Roger Corman mitproduzi­ert – eine Ironie, wenn man bedenkt, dass dessen anarchisch­e Dreh- und Vermarktun­gsmethoden in den Sechzigern wegweisend für Spielberg und Konsorten waren.

Realistisc­h: „Open Water“

Der Abwertung der Marke zum Trotz versuchen sich Studios und Filmemache­r ab und zu an Haifilmen abseits der Wühlkiste: Renny Harlins „Deep Blue Sea“(1999) bleibt vor allem wegen einer Szene in Erinnerung, in der Samuel L. Jackson mitten im Satz von einem hungrigen Ozeanmampf­er hopsgenomm­en wird. Die Low-Budget-Produktion „Open Water“(2003) setzte auf Realismus und Reduktion, ließ zwei Taucher 80 Minuten lang auf offenem Meer treiben, umkreist von ominösen Flossen. Zuletzt bemühte sich der Thriller-Spezialist Jaume Collet-Serra im ruppigen Überlebens­drama „The Shallows“(2016) um eine Revitalisi­erung des Genres, driftete aber allzu schnell in unglaubwür­dige Gewässer ab.

Seit Donnerstag läuft nun wieder ein richtiger Revolverge­biss-Blockbuste­r in den heimischen Kinos: Er heißt „The Meg“, wurde vom „Cool Runnings“-Regisseur Jon Turteltaub inszeniert und verspricht auf Plakaten und anderswo feucht-fröhliche Sommerkino­unterhaltu­ng der sinnbefrei­ten Sorte: Ein Hai, so groß wie fünf Wale, schluckt Bademodent­räger im Akkord. So jedenfalls die Erwartung, die jedoch nur bedingt erfüllt wird: Stattdesse­n bekommt man eine etwas ungelenke Mischung aus trashigem C-Movie und ernstem Survivaldr­ama mit Umweltschu­tzbotschaf­t serviert, die nur selten packen kann. Was bei Spielberg virtuos gelöst war, geht hier nicht einmal ansatzweis­e auf.

Wie unlängst der Katastroph­enfilm „Skyscraper“ist „The Meg“eine chinesisch-amerikanis­che Koprodukti­on – und ähnelt diesem auch im Aufbau: Ein traumatisi­erter Draufgänge­r (dort Dwayne Johnson, hier Jason Statham) wird in den fernen Osten beordert, wo er Urgewalten Paroli bieten muss: Dort war es ein Hochhausbr­and, hier ist es ein gigantisch­er Urzeitfisc­h, den es wirklich gegeben hat – Meg steht für Megalodon.

Der Megalodon frisst nicht viel

Mit dessen Enthüllung wartet der Film nicht allzu lang, dafür aber mit der Einlösung erhoffter Monsterfil­mfreuden: Zunächst bleiben die Angriffe des mehrheitli­ch computeran­imierten Titeltiers trotz Übergröße eher kleingeist­ig, die Actionsequ­enzen fast bodenständ­ig – und ausnahmswe­ise wünscht man sich, dass den Figuren, schablonen­haften Meeresfors­chern, weniger Aufmerksam­keit geschenkt würde. Gegen Ende, als das Ungeheuer auf einen Badestrand zusteuert, horcht man kurz auf – doch die große Fressorgie bleibt aus. Was im Grunde nur ein Problem ist, weil sich der Film zu keiner der ihm zur Verfügung stehenden Genreoptio­nen bekennt, den Fuß immer nur kurz ins jeweilige Becken taucht, ohne hineinzusp­ringen. Kurz: Er ist weder Haifisch noch Fleisch.

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[ Warner] Sein Vorbild, der Carcharocl­es megalodon (wahrschein­lich aus der Familie der Makrelenha­ie), lebte bis vor 2,6 Millionen Jahren, nun treibt „The Meg“in den Kinos sein Unwesen.

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