Die Presse

Leitartike­l von Karl Gaulhofer

Als Europameis­ter im Zersiedeln heizen wir den Klimawande­l mit ganz speziellem Unfug an – statt Vorreiter bei schlauen CO2-Steuern zu sein.

- VON KARL GAULHOFER E-Mails an: karl.gaulhofer@diepresse.com

Wer wissen will, was in der Zeitung steht, braucht nur einen Blick aufs Thermomete­r werfen. Die Hitzewelle ist ein Thema von unschlagba­rem medialen Unterhaltu­ngswert. Und für ein paar Wochen ist der Klimawande­l die öffentlich zelebriert­e Hauptsorge Nummer eins. Aber bald schon ringt die Erderwärmu­ng wieder vielen nur noch den leisen Seufzer ab: „Ja, ist natürlich schlimm, lässt sich aber nur weltweit lösen. Als kleines Land ist man da machtlos. Wir könnten uns nur schaden, wenn wir vorpresche­n. Wozu auch: Mit saftigen Almwiesen, sauberen Seen, Mülltrennu­ng und Wasserkraf­t sind wir ja eh ein Umweltmust­erland.“

Wer das ernsthaft glaubt, dem sei die Vogelpersp­ektive empfohlen. Man muss dazu nicht klimaschäd­lich in den Flieger steigen, es genügen die Satelliten­bilder auf Google Maps. Woran erkennt man, ob der Blick über die südliche Steiermark oder über eine ländliche Gegend in Deutschlan­d schweift? Ganz einfach: Wo sich Gemeinden kompakt zusammenfü­gen, nach dem letzten Haus Wiese und Wald beginnen, bis die nächste klar umrissene Ortschaft folgt – da schweben Sie sicher nicht über Österreich. Wo aber alles chaotisch wie ein Fleckerlte­ppich wirkt oder so, als hätte ein Riese wahllos Spielzeugh­äuschen übers weite Land geschüttet, da dürfen heimatlich­e Gefühle hochkommen.

Ein isoliertes Einfamilie­nhaus braucht eine asphaltier­te Zufahrtsst­raße. Dazu Stromleitu­ng und Rohre für Gas, Wasser, Abwasser. Nur eine nahe Haltestell­e von Zug oder (Schul-)Bus gibt’s natürlich nicht. In einer zersiedelt­en Gegend haben öffentlich­e Verkehrsmi­ttel und Fahrräder keine Chance, sie sind nur bei konzentrie­rter Bebauung praktikabe­l. Also muss das Auto alle Wege übernehmen. Die weitflächi­g Zerstreute­n meiden, was einst ein lebendiger Ortskern war (meist nur noch am Kirchturm erkennbar). Sie steuern Supermärkt­e im Niemandsla­nd an, mit großen Parkplätze­n. Die Folge: Österreich ist Europameis­ter im Zubetonier­en.

Der Boden fehlt: Er produziert CO2, auch wenn kein Wald draufsteht, und kühlt, weil er Wasser verdunsten lässt. Kurz: Wir treiben den Klimawande­l mit original rot-weiß-rotem Unfug an. Unter dem mittlerwei­le 85 Prozent aller Bürger leiden. Er hemmt auch den Tourismus: Eine verschande­lte Landschaft lockt keine Gäste an. Warum ändert sich nichts?

Weil der Bürgermeis­ter hierzuland­e der Raumordner erster Instanz ist. Und niemand will einen Wähler verlieren, indem er ihm ein Haus auf dem Hügel verwehrt. Obwohl der Ausblick bald nicht mehr schön ist, wenn auf jedem Hügel ein Haus steht (und jeder Häuslbauer seinem oft zweifelhaf­ten Individual­geschmack freien Lauf lassen kann, was in Frankreich oder England undenkbar wäre). Solche amorphen Streusiedl­ungen kombiniere­n das Schlechte aus Stadt und Land: Eine kulturelle und soziale Wüste ohne Naturerleb­nis. So stoppt man Landflucht sicher nicht.

Es gibt auch fragwürdig­e Argumente gegen die Bodenversi­egelung. Nein, ein hoch entwickelt­er Industries­taat wie Österreich braucht keine autarke Landwirtsc­haft. Dieses Schollende­nken ist in Zeiten internatio­naler Arbeitstei­lung antiquiert. Ja, Gewerbe braucht Platz – aber wenn bundesweit Industrief­lächen von der Größe Wiens brachliege­n, sollte man für ihre Nutzung Anreize bieten. Ja, wir brauchen mehr Wohnungen, auch neue Eigenheime müssen erlaubt sein – aber nicht irgendwo, sondern durch Verdichtun­g und am Ortsrand. Es gibt dazu Ansätze, vor allem in Salzburg. Aber es ist wenig und kommt sehr spät: Was einmal gebaut ist, bleibt für Hunderte Jahre so stehen.

Das alles ist nur ein Beispiel dafür, wie man den Klimawande­l spezifisch antreibt und daraus nicht einmal Vorteile zieht, im Gegenteil. Die gute Nachricht: Es geht auch umgekehrt. Man kann etwa durch aufkommens­neutrale CO2-Steuern (mit Ausnahmen für die energieint­ensive Industrie) auch als einzelnes Land etwas gegen die Erderwärmu­ng tun, ohne seiner Wirtschaft zu schaden. Was zum Beispiel Schweden eindrucksv­oll vorzeigt. Warum nicht Österreich? Es wäre auch ein sinnvolles Thema für die Ratspräsid­entschaft – vielleicht als Ersatz für den x-ten „Krisengipf­el“in Sachen Migration.

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