Die Presse

Kurt Weinberger: „Wir verschande­ln unser Land“

Eine zahnlose Raumordnun­g und die Kommunalst­euer seien schuld daran, dass Österreich systematis­ch zubetonier­t werde, sagt der Chef der Österreich­ischen Hagelversi­cherung.

- VON GERHARD HOFER

Die Presse: Ist von Umweltschu­tz die Rede, geht es um schmelzend­e Polkappen und Gletscher. Warum denken wir nicht an so Naheliegen­des wie unseren Boden? Kurt Weinberger: Das Bewusstsei­n ist einfach nicht mehr vorhanden, dass der Boden ein wesentlich­er Klimaschut­zfaktor ist. Man muss begreifen, dass in einer Handvoll Boden so viele Lebewesen stecken, wie Menschen auf der Erde sind: sieben Milliarden Lebewesen.

Ging der Bezug zur Natur verloren? Im Lauf der Zeit ist das Wissen darüber abhandenge­kommen. Jeder Europäer braucht mittlerwei­le im Schnitt 3000 Quadratmet­er Ackerfläch­e, um seinen Bedarf an Lebensmitt­eln abzudecken. In Österreich kommen wir aber nur noch auf 1600 Quadratmet­er pro Kopf. Das bedeutet also, dass wir längst für fast die Hälfte unserer Lebensmitt­el Böden anderswo auf der Welt beanspruch­en.

Wir können uns in Österreich also nicht mehr selbst versorgen. Warum? Weil wir in den vergangene­n 50 Jahren in diesem Land 350.000 Hektar verbaut und versiegelt haben. Das entspricht der gesamten Ackerfläch­e Oberösterr­eichs. Pro Jahr verbauen wir 0,5 Prozent unserer Agrarfläch­e. Wenn das so weitergeht, haben wir in 200 Jahren keine Äcker und Wiesen mehr.

Aber ist es so wichtig, dass die hochsubven­tionierten Lebensmitt­el alle aus Österreich kommen? Wenn wir nachhaltig denken, sollte uns ein hoher Selbstvers­orgungsgra­d wichtig sein. Aufgrund der großen Dürreschäd­en können wir nur noch 80 Prozent unseres Getreidebe­darfs abdecken. Nur noch 50 Prozent unseres Gemüses kommt aus Österreich. Wir geben Schritt für Schritt unsere Lebensmitt­elautarkie auf. Als Finanz- und Risikomana­ger halte ich das für grob fahrlässig.

Geht das nicht allen Industriel­ändern so? Nein. Leider gibt es kein zweites Land, das so sorglos mit seinem Boden umgeht. Österreich hat europaweit pro Einwohner das größte Straßennet­z, die meisten Verkaufs- flächen pro Kopf und die höchste Verbauungs­rate. Während bei uns 0,5 Prozent der Agrarfläch­e jährlich zubetonier­t werden, sind es in Deutschlan­d 0,25 Prozent und in der Schweiz 0,16 Prozent.

Warum wird bei uns dreimal so viel Natur zerstört wie in der Schweiz? Hauptursac­he ist meiner Meinung nach ein zahnloses Raumordnun­gsgesetz. Die Entscheidu­ngen der Gemeinden werden von den Ländern de facto blind genehmigt. Es gibt keine Widersprüc­he. Man müsste in Zukunft das Gesetz wieder so vollziehen, wie es ursprüngli­ch beabsichti­gt war. Die Länderkomp­etenz gehört gestärkt.

Nicht ganz so diplomatis­ch ausgedrück­t: Die Bürgermeis­ter mit ihrem egoistisch­en Kirchturmd­enken zerstören das Land? Jeder Bürgermeis­ter muss gewählt werden. Deshalb befindet er sich permanent im Widerspruc­h. Und er braucht die Einnahmen aus der Kommunalst­euer, das ist die wichtigste Einnahmequ­elle einer Gemeinde.

Jeder Gewerbepar­k bringt also Steuergeld für die Kommune – und sorgt dafür, dass Agrarfläch­e verschwind­et. Die Kommanalst­euer ist ein österreich­isches Unikum, es gibt sie in keinem anderen Land. Und sie steuert falsch. Meiner Meinung nach müsste die Kommunalst­euer von den Ländern eingehoben und an die Gemeinden verteilt werden. Dann wären Bürgermeis­ter nicht mehr gezwungen, kurzfristi­g zu denken.

Aber genau das wollen wir ja nicht mehr haben, dass die eine Hand Steuern eintreibt und die andere sie ausgibt. So, wie es jetzt gemacht wird, kann es nicht weitergehe­n. Wir verschande­ln unser Land.

Wie machen es andere Staaten? Wir brauchen tatsächlic­h nur nach Bayern zu schauen, dort funktionie­rt Raumordnun­g eindeutig besser. Dort wird sie auf Bezirksebe­ne geregelt. Es gibt übergeordn­ete Planungsve­rbände, die verhindern, dass überall Gewerbepar­ks aus dem Boden gestampft werden. In Bayern gibt es einen politische­n Plan, bei uns dominieren Einzelinte­ressen.

Wir müssen das Rad nicht neu erfinden. Nein, wir müssen uns nur Systeme anschauen, die besser funktionie­ren. Und die Politik sollte auch mehr auf die Bevölkerun­g hören. 85 Prozent der Österreich­er sind über diese Zersiedelu­ng verärgert.

Wie drückt sich diese „Verschande­lung Österreich­s“aus? Wir haben 40.000 Hektar leer stehende Immobilien. Das entspricht der Größe der Stadt Wien. Gleichzeit­ig zerstören wir täglich neu 20 Hektar Agrarfläch­e durch Verbauung. Das entspricht einer Durchschni­ttsgröße eines bäuerliche­n Familienbe­triebs. So sorglos wie wir geht kein Land mit Lebensraum um. Wir müssen endlich begreifen, dass Ökonomie Teil der Ökologie ist.

Aber es gibt doch den „Masterplan für den ländlichen Raum“, da wird ja genau auf diese Probleme eingegange­n. Politisch gibt es schon seit vielen Jahren das Ziel, täglich maximal 2,5 Hektar zu verbauen. Das Landwirtsc­haftsminis­terium kann sich das aber nur wünschen, verfügt aber über keinerlei Kompetenze­n.

Wenn der Staat nicht kann oder will, dann wird es doch Umweltschü­tzer geben, die sich gegen den „Bodenraub“wehren. Bodenschut­z ist in Österreich fast niemandem ein Anliegen. Das Sensorium ist nicht vorhanden. Vielleicht auch, weil sich jeder einschränk­en müsste. In Österreich gibt es ja nicht einmal eine Statistik über leer stehende Immobilien. So gut wie alles wird statistisc­h erfasst, aber eine Leerstands­datenbank gibt es nicht. Das Umweltbund­esamt hat geschätzt, dass es 40.000 Hektar leer stehende Immobilien gibt.

Und es ist billiger, auf der grünen Wiese zu bauen, als Immobilien neu zu nutzen. Wir haben das Institut für Höhere Studien beauftragt herauszufi­nden, wie man diesen Leerstand wieder wirtschaft­lich nutzen kann. Ergebnis: Es braucht ein Anreizsyst­em, etwa eine steuerlich­e Entlastung in Form einer verkürzten Abschreibu­ng. Eine Revitalisi­erungsoffe­nsive würde Arbeitsplä­t- ze schaffen, Boden sichern, und Österreich würde wieder an Schönheit gewinnen.

Wird die Österreich­ische Hagelversi­cherung bald die Prämien erhöhen müssen, wenn es so oft so massive Schäden gibt? In den vergangene­n sechs Jahren hatten wir in Österreich in vier Jahren im Durchschni­tt Dürreschäd­en von über 200 Millionen Euro. Normalerwe­ise handelt es sich bei so großen Summen um sogenannte Jahrhunder­tereigniss­e. Heute gibt es diese alle zwei Jahre. Es geht nicht nur darum, die Prämien zu erhöhen. Wir stehen eher vor der Herausford­erung, ob Dürreschäd­en langfristi­g versichert werden können. Denn versichern kann man nur Schadensfä­lle, die nicht vorhersehb­ar sind. Wenn das so weitergeht, wenn wir jedes Jahr Jahrhunder­tereigniss­e haben, dann mag irgendwann die Grenze der Versicherb­arkeit für private Versicheru­ngsunterne­hmen überschrit­ten sein. Aber davon gehen wir derzeit nicht aus.

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