Zurück an den Herd – mit Türkis-Blau?
Frauenpolitik. ÖVP und FPÖ beschwören mehr Gewaltschutz, weniger Lesezirkel. Die Ministerin nennt sich selbst eine „pragmatische Feministin“. Ein konservatives Spiel mit moderner Begleitmusik? Was die Regierung mit den Frauen vorhat.
Die Frauenpolitik der ÖVP dreht sich gerade weniger um ein Thema, sondern um eine Person: Juliane Bogner-Strauß. Die steirische Molekularbiologin hat neben der Verantwortung für das Familien- und Frauenministerium künftig auch die Obfrauschaft der ÖVP-Frauen inne. Sie nennt sich selbst eine „pragmatische Feministin“, für ihre Parteikolleginnen ist sie ein Vorbild dafür, wie man Karriere und Familie vereint. So weit, so progressiv: Junge ÖVP-Politikerinnen wollen eine „liberale, weltoffene“Frauenpolitik machen. Sagen sie.
Was tatsächlich in den vergangenen Monaten passierte, war etwas, was Expertinnen, Aktivistinnen und Oppositionspolitikerinnen Retropolitik nennen. Sie zählen auf: konservative Familienbilder im Regierungsprogramm, die Verbindung von Familien- und Frauenagenden in einem Ministerium, die aufgehobene Verordnung zur Gleichstellung als Unterrichtsprinzip, die Streichung des Binnen-I beim Heer, Kürzungen bei den Familienberatungsstellen, beim Bundeszuschuss für den Ausbau der Kinderbetreuung in den Ländern, bei Fraueninitiativen – ein Opfer von Gewalt brauche keinen Lesezirkel, meinte die Ministerin, sondern Schutz.
Wo geht sie also hin, die türkis-blaue Frauenpolitik? Getrommelt wurde von der Regierung zuletzt der Gewaltschutz. Allerdings hat die Ministerin doch auch andere Wünsche. Bogner-Strauß nennt im Gespräch mit der „Presse“eine Vielfalt von Begriffen, die ihr relevant erscheinen. Gleichberechtigung. Gleicher Lohn für gleichwertige Arbeit. Gendermedizin. Mehr Väterbeteiligung bei der Erziehungsarbeit. Überhaupt: „Frauenpolitik sollte nicht mehr notwendig sein, es ist erschreckend, wie viel noch zu tun ist“, meint sie.
Ihre Parteifreundin, die Nationalratsabgeordnete Carmen Jeitler-Cincelli, die das Regierungsprogramm im Bereich Frauen mitverhandelt hat, formuliert es anders, direkter: „Frauenpolitik ist kein Special-Interest-Programm.“Karoline Edtstadler, ÖVPStaatssekretärin im Innenministerium, die die Taskforce Strafrecht inklusive der Einheit Gewaltschutz verantwortet, sieht in diesem Themenbereich „auf alle Fälle Frauenpolitik. Und es ist noch mehr: Es ist Gesellschaftspolitik.“Frauenthemen, sagt Carmen Schimanek, Frauensprecherin der FPÖ, seien stets „Querschnittsthematik“, ihre Umsetzung solle „selbstverständlich sein“. „Seit zehn Jahren bin ich Frauenpolitikerin. Seit zehn Jahren höre ich auf Veranstaltungen immer dasselbe“, sagt Schimanek und meint: „Eigentlich sollten wir das den Männern erzählen!“Türkis-blaue Frauenpolitik – ein gesamtgesellschaftliches EmpowermentProjekt? Es klingt jedenfalls so aus den Mündern der Politikerinnen; Auftreten für mehr Gleichberechtigung, für gleichen Lohn, für flexiblere Kinderbetreuungsmodelle.
„Es gibt ein Narrativ nach außen: Das ist der Fokus auf den Gewaltschutz, wobei hier tatsächlich nichts passiert“, sagt Neos-Frauensprecherin Claudia Gamon. Und die Innenansicht? „In Wirklichkeit betreibt man konservative Zurück-an-den-Herd-Politik.“
Und das passt nicht zum neuen türkisen Anstrich der ÖVP. Die Bundesregierung fahre eine „Doppelstrategie“, meint ein Kenner der Partei, der nicht genannt werden will: Die eigentliche, umgesetzte Politik gehe rückwärts, aber nach außen sei man „eh ein bisschen modern“. Egal, was Ministerin Bogner-Strauß sage: Es sei politisch irrelevant, „moderne Begleitmusik“. Das Ressort habe „wenig Stellenwert“. Frauenpolitik sei der türkisen ÖVP nicht sehr wichtig. Das meint im Übrigen auch die ehemalige schwarze Frauenministerin Maria RauchKallat, die „in allen Parteien“Frauenpolitik überhaupt vermisst: „Das ist offensichtlich für niemanden ein drängendes Thema.“
Jene Politikerinnen, die mit BognerStrauß zusammenarbeiten (wollen), berichten unterdessen von einer schwierigen Ausgangslage. Gamon erzählt, sie würde gern mit der Ministerin an einem Strang ziehen – Themen, die Überschneidungsmasse in allen Parteien haben, gibt es im Frauenbe- reich in Hülle und Fülle. Bogner-Strauß sage aber einfach nichts Konkretes, man wisse nicht, was sie wolle. Einige Politikerinnen und Expertinnen berichten zudem, die Ministerin könne andere Lebenssituationen als die eigene nicht nachvollziehen und besitze kein Einfühlvermögen – dies habe sich beim Thema Kinderbetreuung gezeigt.
„Es gibt für ÖVP-Politikerinnen nur die eigene Realität“, sagt Gabriele Heinisch-Hosek, die unter Kanzler Werner Faymann unter anderem als Ministerin für die Frauenagenden zuständig war: „Als Frauenministerin muss ich mich aber aller Frauen annehmen. Es gibt nicht nur die heile Welt. Diese Regierung will nur das Gute und Schöne zeigen – den Leuten, die mit nicht so Schönem konfrontiert sind, den Beraterinnen zum Beispiel, wird das Geld weggenommen.“
Auch Lena Jäger, Sprecherin des Frauenvolksbegehrens, ortet in der türkis-blauen Frauenpolitik Politik für eine „ganz kleine Gruppe, in Wahrheit für die oberen Zehntausend“. „Die Ministerin schaut nur so weit, wie es in ihre Agenda passt“, sagt Jäger, die sich die Frage stellt, was Bogner-Strauß zur Frauenpolitik berufen habe: „Ich möchte wissen: Gibt es für die Ministerin die eine konkrete Sache, die sich verändern soll? Es ist mir überhaupt nicht klar, was sie möchte.“Die Vertreter des Volksbegehrens fordern übrigens Bogner-Strauß’ Rücktritt.
Bogner-Strauß hat unterdessen für sich schon fixiert, worauf sie sich zumindest zunächst einmal konzentrieren möchte: Im September soll eine Expertengruppe zum Thema Gender Pay Gap zusammenkommen. Sie hofft auf rasche Ergebnisse.