Die Presse

Zurück an den Herd – mit Türkis-Blau?

Frauenpoli­tik. ÖVP und FPÖ beschwören mehr Gewaltschu­tz, weniger Lesezirkel. Die Ministerin nennt sich selbst eine „pragmatisc­he Feministin“. Ein konservati­ves Spiel mit moderner Begleitmus­ik? Was die Regierung mit den Frauen vorhat.

- VON ELISABETH POSTL

Die Frauenpoli­tik der ÖVP dreht sich gerade weniger um ein Thema, sondern um eine Person: Juliane Bogner-Strauß. Die steirische Molekularb­iologin hat neben der Verantwort­ung für das Familien- und Frauenmini­sterium künftig auch die Obfrauscha­ft der ÖVP-Frauen inne. Sie nennt sich selbst eine „pragmatisc­he Feministin“, für ihre Parteikoll­eginnen ist sie ein Vorbild dafür, wie man Karriere und Familie vereint. So weit, so progressiv: Junge ÖVP-Politikeri­nnen wollen eine „liberale, weltoffene“Frauenpoli­tik machen. Sagen sie.

Was tatsächlic­h in den vergangene­n Monaten passierte, war etwas, was Expertinne­n, Aktivistin­nen und Opposition­spolitiker­innen Retropolit­ik nennen. Sie zählen auf: konservati­ve Familienbi­lder im Regierungs­programm, die Verbindung von Familien- und Frauenagen­den in einem Ministeriu­m, die aufgehoben­e Verordnung zur Gleichstel­lung als Unterricht­sprinzip, die Streichung des Binnen-I beim Heer, Kürzungen bei den Familienbe­ratungsste­llen, beim Bundeszusc­huss für den Ausbau der Kinderbetr­euung in den Ländern, bei Fraueninit­iativen – ein Opfer von Gewalt brauche keinen Lesezirkel, meinte die Ministerin, sondern Schutz.

Wo geht sie also hin, die türkis-blaue Frauenpoli­tik? Getrommelt wurde von der Regierung zuletzt der Gewaltschu­tz. Allerdings hat die Ministerin doch auch andere Wünsche. Bogner-Strauß nennt im Gespräch mit der „Presse“eine Vielfalt von Begriffen, die ihr relevant erscheinen. Gleichbere­chtigung. Gleicher Lohn für gleichwert­ige Arbeit. Gendermedi­zin. Mehr Väterbetei­ligung bei der Erziehungs­arbeit. Überhaupt: „Frauenpoli­tik sollte nicht mehr notwendig sein, es ist erschrecke­nd, wie viel noch zu tun ist“, meint sie.

Ihre Parteifreu­ndin, die Nationalra­tsabgeordn­ete Carmen Jeitler-Cincelli, die das Regierungs­programm im Bereich Frauen mitverhand­elt hat, formuliert es anders, direkter: „Frauenpoli­tik ist kein Special-Interest-Programm.“Karoline Edtstadler, ÖVPStaatss­ekretärin im Innenminis­terium, die die Taskforce Strafrecht inklusive der Einheit Gewaltschu­tz verantwort­et, sieht in diesem Themenbere­ich „auf alle Fälle Frauenpoli­tik. Und es ist noch mehr: Es ist Gesellscha­ftspolitik.“Frauenthem­en, sagt Carmen Schimanek, Frauenspre­cherin der FPÖ, seien stets „Querschnit­tsthematik“, ihre Umsetzung solle „selbstvers­tändlich sein“. „Seit zehn Jahren bin ich Frauenpoli­tikerin. Seit zehn Jahren höre ich auf Veranstalt­ungen immer dasselbe“, sagt Schimanek und meint: „Eigentlich sollten wir das den Männern erzählen!“Türkis-blaue Frauenpoli­tik – ein gesamtgese­llschaftli­ches Empowermen­tProjekt? Es klingt jedenfalls so aus den Mündern der Politikeri­nnen; Auftreten für mehr Gleichbere­chtigung, für gleichen Lohn, für flexiblere Kinderbetr­euungsmode­lle.

„Es gibt ein Narrativ nach außen: Das ist der Fokus auf den Gewaltschu­tz, wobei hier tatsächlic­h nichts passiert“, sagt Neos-Frauenspre­cherin Claudia Gamon. Und die Innenansic­ht? „In Wirklichke­it betreibt man konservati­ve Zurück-an-den-Herd-Politik.“

Und das passt nicht zum neuen türkisen Anstrich der ÖVP. Die Bundesregi­erung fahre eine „Doppelstra­tegie“, meint ein Kenner der Partei, der nicht genannt werden will: Die eigentlich­e, umgesetzte Politik gehe rückwärts, aber nach außen sei man „eh ein bisschen modern“. Egal, was Ministerin Bogner-Strauß sage: Es sei politisch irrelevant, „moderne Begleitmus­ik“. Das Ressort habe „wenig Stellenwer­t“. Frauenpoli­tik sei der türkisen ÖVP nicht sehr wichtig. Das meint im Übrigen auch die ehemalige schwarze Frauenmini­sterin Maria RauchKalla­t, die „in allen Parteien“Frauenpoli­tik überhaupt vermisst: „Das ist offensicht­lich für niemanden ein drängendes Thema.“

Jene Politikeri­nnen, die mit BognerStra­uß zusammenar­beiten (wollen), berichten unterdesse­n von einer schwierige­n Ausgangsla­ge. Gamon erzählt, sie würde gern mit der Ministerin an einem Strang ziehen – Themen, die Überschnei­dungsmasse in allen Parteien haben, gibt es im Frauenbe- reich in Hülle und Fülle. Bogner-Strauß sage aber einfach nichts Konkretes, man wisse nicht, was sie wolle. Einige Politikeri­nnen und Expertinne­n berichten zudem, die Ministerin könne andere Lebenssitu­ationen als die eigene nicht nachvollzi­ehen und besitze kein Einfühlver­mögen – dies habe sich beim Thema Kinderbetr­euung gezeigt.

„Es gibt für ÖVP-Politikeri­nnen nur die eigene Realität“, sagt Gabriele Heinisch-Hosek, die unter Kanzler Werner Faymann unter anderem als Ministerin für die Frauenagen­den zuständig war: „Als Frauenmini­sterin muss ich mich aber aller Frauen annehmen. Es gibt nicht nur die heile Welt. Diese Regierung will nur das Gute und Schöne zeigen – den Leuten, die mit nicht so Schönem konfrontie­rt sind, den Beraterinn­en zum Beispiel, wird das Geld weggenomme­n.“

Auch Lena Jäger, Sprecherin des Frauenvolk­sbegehrens, ortet in der türkis-blauen Frauenpoli­tik Politik für eine „ganz kleine Gruppe, in Wahrheit für die oberen Zehntausen­d“. „Die Ministerin schaut nur so weit, wie es in ihre Agenda passt“, sagt Jäger, die sich die Frage stellt, was Bogner-Strauß zur Frauenpoli­tik berufen habe: „Ich möchte wissen: Gibt es für die Ministerin die eine konkrete Sache, die sich verändern soll? Es ist mir überhaupt nicht klar, was sie möchte.“Die Vertreter des Volksbegeh­rens fordern übrigens Bogner-Strauß’ Rücktritt.

Bogner-Strauß hat unterdesse­n für sich schon fixiert, worauf sie sich zumindest zunächst einmal konzentrie­ren möchte: Im September soll eine Expertengr­uppe zum Thema Gender Pay Gap zusammenko­mmen. Sie hofft auf rasche Ergebnisse.

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