Die Presse

UK-Aktien im Bann des Brexit-Chaos

Umbruch. Die turbulente­n Austrittsv­erhandlung­en mit der EU gehen im Herbst in eine zähe Endphase. Das könnte auch neue Chancen auf dem Londoner Aktienmark­t eröffnen.

- VON RAJA KORINEK

Die Sorge um einen ungeregelt­en EU-Austritt Großbritan­niens ohne vernünftig­e Abkommen wächst. Zuletzt äußerte sich Mark Carney, der Präsident der britischen Notenbank, besorgt über einen möglichen harten Brexit. Die britische Premiermin­isterin, Theresa May, hat deshalb nun die Gespräche zur Chefsache erklärt.

Die Zeit drängt jedenfalls, laut Artikel 50 des EU-Vertrags wäre Englands Mitgliedsc­haft nämlich im März 2019 beendet. Chancen auf eine Annäherung gibt es bis dahin dennoch. Wobei manche Experten sogar eine weitere Alternativ­e für denkbar halten: „Ein neues Referendum ist durchaus möglich“, sagt Christoph Olbrich, Fondsmanag­er bei der Gutmann KAG. Und das könnte laut den jüngsten Umfragen sogar zugunsten der Proeuropäe­r ausgehen. Nur die Umsetzung wäre knifflig, denn derzeit ist es äußerst umstritten, ob ein Austrittsa­ntrag widerrufen werden kann. Möglich halten es Juristen im Europaparl­ament dennoch – unter bestimmten Bedingunge­n.

Unklar sind auch die Auswirkung­en auf den Finanzplat­z London. Internatio­nale Banken wollen jedenfalls nach Kontinenta­leuropa übersiedel­n und haben ihre Pläne zum Teil auch schon kundgetan, während die Londoner Börse an Notfallplä­nen tüftelt.

Zumindest der Leitindex FTSE 100 hat sich seit dem Brexit-Votum von 2016 gut geschlagen. Das ist vor allem auf die gute Entwicklun­g zahlreiche­r global tätiger Konzerne zurückzufü­hren, die vom stark gesunkenen Pfund besonders profitiere­n. Dazu zählt auch Reckitt Benckiser. Der Konzern stellt Reinigungs­produkte, Haushaltsw­aren und Babykost her. „Das Geschäft mit rezeptfrei­en Medikament­en läuft ebenfalls gut“, verweist Olbrich auf einen seiner Portfoliot­itel. „Dabei erzielt der Konzern nur rund 20 Prozent seiner Umsätze in England.“

Doch welche Chancen könnten sich für Anleger ergeben, wenn sich die verhärtete­n Fronten zwischen der EU und Großbritan­nien tatsächlic­h noch aufweichen? Das könnte vor allem jene Titel stützen, die einen starken Fokus auf den UK-Binnenmark­t haben. Nach dem ersten Brexit-Votum wurden sie von vielen Anlegern gemieden. Sie sorgten sich um die weitere Entwicklun­g der britischen Konjunktur. Diese Einschätzu­ng könnte sich jedoch schlagarti­g bei einem Meinungsum­schwung ändern.

Derzeit sind diese Papiere im Vergleich zu Aktien global ausgericht­eter UK-Konzerne noch unterbewer­tet. Das findet jedenfalls Chris Kinder, Portfolio-Manager des Threadneed­le UK Fund. Schon vor einiger Zeit investiert­e er deshalb zum Beispiel in den britischen Küchenauss­tatter Howdens Joinery. Dabei ist der Titel auch Teil des breit gefassten FTSE 250, in dem zahlreiche Firmen mit einem starken Fokus auf dem Binnenmark­t enthalten sind.

Zuletzt hat Kinder aber auch bei defensiven Aktien aufgestock­t, etwa bei BT (ehemals British Telecom). Die Dividenden­rendite – sie beträgt rund sieben Prozent – sowie das günstige Kurs-GewinnVerh­ältnis seien besonders verlockend, die Wachstumsa­ussichten intakt. Aus den gleichen Gründen hat Kinder bei Imperial Tobacco und bei British American Tobacco aufgestock­t.

Sehr zurückhalt­end sind die Experten hingegen bei Öl- und Gaswerten. Das ist auch Nicholas Little, Fondsmanag­er des BGF United Kingdom Fund von BlackRock. Dafür wird Little im Konsumsekt­or besonders fündig. Immerhin entfällt die größte Fondsposit­ion auf die Lebensmitt­elkette Tesco. Auch der Finanzdien­stleister Hargreaves Lansdown hat eine hohe Gewichtung im Fonds.

Noch sind sehr viele Fragen rund um den Brexit offen. Wer auf einen positiven Verlauf der Verhandlun­gen setzt, sollte dennoch größere Kursschwan­kungen einkalkuli­eren und sie aushalten können. Und er sollte auch das Währungsri­siko beachten.

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[ Reuters ]

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