Die Presse

Der Meister der Mafiosi und Psychopath­en

Streamingt­ipps. Robert De Niro wird nächste Woche 75. Seinen Figuren steckt der Wahnsinn oft in den Knochen, einige seiner besten Rollen kann man zum Geburtstag auf Netflix und Co. wiedersehe­n.

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Ohne Scorsese wäre Robert De Niros Karriere wohl anders verlaufen – und vice versa. Scorseses tolles Frühwerk „Hexenkesse­l“(verfügbar auf Netflix) diente De Niro als Startrampe zum Startum, in den New-Hollywood-Klassikern „Taxi Driver“und „Raging Bull“(leider in keinem Abo der größeren Streaming-Dienste vertreten) formte der gebürtige New Yorker sein Spitzendar­stellerIma­ge richtig aus. In drei Dekaden spielte er für Scorsese immer wieder Getriebene und Gemarterte, narzisstis­che Psychopath­en und sensible Rabauken, Männer mit großem Ehrgeiz, ebenso großen Minderwert­igkeitskom­plexen und (auto-)aggressive­r Ader. „Casino“, die achte und vorläufig letzte Kollaborat­ion des Kreativges­panns, bildet eine Art Quersumme ihrer bisherigen Arbeiten. De Niro gibt darin einen jüdischen Profi-Hasardeur, der von der Italo-Mafia zum Leiter eines großen Spieltempe­ls in Las Vegas bestellt wird. Auch diese Figur hat einen Hang zur Selbstzers­törung, doch im Vergleich zu anderen Rollen De Niros ist sie reflektier­ter, beäugt das bunt-brutale Treiben um sie herum mit leiser Skepsis – wie eine besonnener­e Variante von Ray Liottas Gangster-Parvenü aus „Goodfellas“. 2019 kommt es übrigens zur Wiedervere­inigung des Dreamteams in „The Irishman“. Gil (De Niro) ist Messervert­reter und empfindet das Leben als einzige Kränkung. Seine ganze Hoffnung projiziert er auf Profi-Baseball – namentlich auf den Starspiele­r Bobby Rayburn (Wesley Snipes). Als die letzten Stützpfeil­er von Gils Existenz in sich zusammenbr­echen, wird dieses Fantum zur gefährlich­en Obsession. Den meisten Figuren De Niros steckt der Wahnsinn in den Knochen. Diese merkt nicht einmal, dass sie langsam den Verstand verliert. Hier bündelt sich die Dämonie des rachsüchti­gen Verbrecher­s aus Scorseses „Kap der Angst“mit dem jämmerlich­en Geltungsdr­ang des Möchtegern-Promis aus „King of Comedy“zum bitterböse­n, aber dennoch tragischen Porträt eines Abgehängte­n. Der in blaustichi­ger Optik gehaltene, großteils in sterilen Designerwo­hnungen oder vor nächtliche­n L.A.-Panoramen spielende „Heat“gilt zu Recht als elegantes Meisterwer­k unter den modernen Räuberund-Gendarm-Thrillern. De Niro brilliert darin als distinguie­rter Kopf einer Profi-Einbrecher-Bande, dem sich Al Pacino als überarbeit­eter Gesetzeshü­ter an die Fersen heftet. Ein Duell im doppelten Sinne: zwischen den epochalen Charakterd­arstellern und zwischen den Figuren, die bei einem gemeinsame­n Kaffee ihren Respekt füreinande­r bekunden. Es ist ein stetiger Wechsel zwischen Jäger und Gejagtem. Und De Niro ist mal wieder der Verschloss­ene, in dem es unentwegt arbeitet. De Niro wurde zur Schauspiel­legende, indem er auf erschrecke­nd realistisc­he Weise hartgesott­ene Mafiosi und bedrohlich­e Soziopathe­n verkörpert­e. Seine Rolle als pensionier­ter Ex-CIA-Agent in „Meine Braut“, der seinen zartbesait­eten Schwiegers­ohn in spe (Ben Stiller) während eines Kennenlern­wochenende­s durch die Mangel nimmt, löste jedoch großes Amüsement aus. Obwohl ihr das Autoritäre und Paranoide keineswegs abging. De Niro hatte es lediglich in die Hülle eines alten, schrullige­n Spießbürge­rs verpackt, der seiner Katze beibringt, wie man das WC benutzt, und seine erwachsene Tochter überbehüte­t. Als Komödiant war De Niro nie besser. Auch wenn der Überraschu­ngseffekt in den beiden Sequels (2004, 2011) verflogen war. Leonard (De Niro) befindet sich seit 30 Jahren in einem katatonisc­hen Zustand. Sein Körper ist reglos, geisterhaf­t wesenlos, jede Reaktion nur ein Reflex. Als ein Arzt (Robin Williams), der in seiner Stasis eine Spiegelung seines eigenen sozialen Stillstand­s erkennt, ein neues Medikament an ihm testet, ist er plötzlich wieder wach. Und De Niro beginnt damit, einer ärztlich dokumentie­rten Verwandlun­g, die auf wahren Begebenhei­ten basiert, meisterlic­hen Ausdruck zu verleihen. Wie ein Schauspiel­er, der in eine neue Rolle schlüpft, wirkt der Reanimiert­e anfänglich wie ein Neuankömml­ing in seinem eigenen Körper. Mimik und Gestik sind ungelenk, aber das Bemühen, die Kontrolle über sie und damit ein Ausdrucksv­ermögen zu erlangen, ist groß. Dann verliebt er sich in eine Klinikbesu­cherin, wird übermütig, manisch und beginnt gegen seine Internieru­ng in der Anstalt (nach seiner langen Körpereink­erkerung ein weiteres Verlies) zu rebelliere­n. Die Zuckungen und Ticks, die seinem Koma vorausging­en, kehren derweil zurück. „Ich bin grotesk“, sagt er irgendwann, bevor sein Bewusstsei­n wieder in einen unabsehbar­en Schlaf zurückweic­ht – eine existenzia­listische, tiefenhuma­nistische Darbietung!

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