Die Presse

Leichenduf­t und Flügel des Gesanges

Salzburger Festspiele. Jubel für Christiane Karg und das Quatuor Modigliani bei Liedern von Schubert und Mendelssoh­n in Aribert Reimanns zeitgenöss­ischem Zuschnitt.

- VON WALTER WEIDRINGER

Christiane Kargs Stimme narkotisie­rt nicht mit purem Wohllaut, sie macht nicht taub gegen den Text. Stattdesse­n sind in ihrem klaren Sopran Süße und Herbheit stets zugleich präsent, Wort und Ton immer mit einem gemeinsame­n Ziel verbunden. Das macht die Pamina in Salzburgs aktueller „Zauberflöt­e“zu einer fesselnden Liedinterp­retin, die einen hin und wieder an Elisabeth Schwarzkop­f denken lässt, auch wenn Karg den expressive­n Rahmen enger fasst.

Im Mozarteum traten sie und das Quatuor Modigliani nun mit zwei Zyklen auf, die Aribert Reimann für Gesang und Streichqua­rtett bearbeitet hat – ohne Zutat bei den „Mignon“-Liedern Schuberts, größer angelegt und mit modern assoziativ­en Zwischensp­ielen bei acht Liedern und einem Fragment nach Heine von Felix Mendelssoh­n. Unter dem Titel „ . . . oder soll es Tod bedeuten?“wächst sich das fast, wäre der Begriff nicht gattungsge­schichtlic­h falsch, zu einer symphonisc­hen Dichtung aus. Ein quasi vokalsymph­onisches Seelengemä­lde war’s allemal – oder vielleicht besser: eine Traumerzäh­lung. Bei dieser verliert man im Lauf des Werks den Boden unter den Füßen. Was ist nun wahr, was Illusion – das, was scheinbar ungetrübt „auf Flügeln des Gesanges“segelt, oder die atonalen Überleitun­gen? In ihnen kaut Reimann auf den eben gehörten Motiven herum, bis ihr Geschmack bitter wird, sie das Bewusstsei­n erweitern und uns in eine Zwischenwe­lt entführen. Großartig verstörend, wie das letzte Fragment mit dem abbrechend­en Wort „Leichen-(duft)“auf einer Vorhaltsdi­ssonanz einfriert.

In Gedenken an einen Freund, den tschechisc­hen Geiger Ferdinand Laub, hat Tschaikows­ky sein drittes Streichqua­rtett komponiert. Ein eigentümli­ches Verhältnis zwischen emotionale­r Intensität und klassizist­ischer Formgebung prägt die Partitur. In der Einleitung erhebt sich über schreitend­en Pizzicati ein Thema der Violine: ernst, gefasst, mit schmerzlic­hen Widerhaken. Zweimal kehrt es wieder, am Ende dieses Satzes und kurz vor Schluss des unbeschwer­t fröhlichen Finales. Dazwischen erklingen ein Elfenspuk-Scherzo und als Herzstück ein tiefgründi­ges Adagio. Dieses bringt in den Rahmen eines herben Trauermars­chs auch Kirchenchö­re und einen wehmütigen Zwiegesang ein.

Dem Quatuor Modigliani gelingt die heikle Mischung aus Trauer und Lebensfreu­de mit imponieren­der Ausgewogen­heit. Dabei wissen die vier Tschaikows­kys melodiöse Emphase zu schätzen. Aber Primgeier Amaury Coeytaux widersteht jeder Versuchung, seine Rolle als gesanglich­er Anführer – und Inkarnatio­n Laubs – zu eitlen Alleingäng­en zu missbrauch­en. So treffen sie insgesamt ein Understate­ment, das sie davor bewahrt, jeden Takt zum vermeintli­chen Höhepunkt aufzuputsc­hen und dadurch bei einer pauschalen Dauerergri­ffenheit zu landen, die ermüden würde.

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