Die Presse

SPÖ-Programm: Statt Lust nur Frust Eine Partei steht sich selbst im Weg

Die Präsentati­on neuer Ideen ging glanzvoll daneben – und in der Sehnsucht Christian Kerns nach dem Kanzleramt samt innerparte­ilichen Querschüss­en unter.

- Anneliese Rohrer ist Journalist­in in Wien: Reality Check http://diepresse. com/blog/rohrer

Sollte SPÖ-Chef Christian Kern die Welt in diesen Tagen nicht mehr verstehen, kann man seinen Frust gut nachvollzi­ehen. Beiläufige­r als dieser Entwurf zu einem neuen Programm ist noch selten das Grundsatzp­apier einer Partei in den Medien behandelt worden. Das mag an der Urlaubszei­t und der Hitze liegen, und Kern könnte auf die kühlen Tage vor dem Parteitag im Oktober hoffen. Es liegt aber sicher auch an der Art und Weise, wie dieses Resultat eines innerparte­ilichen Diskussion­sprozesses präsentier­t und wie darauf in der eigenen Partei reagiert wurde.

Irgendjema­nd hätte den Parteivors­itzenden davon abhalten müssen, in diesem Zusammenha­ng gleich auch noch den Kanzlerans­pruch für die Wahl in vier Jahren zu stellen. „Die Kanzlersch­aft wird wieder greifbar“? Wen interessie­rt das jetzt? Wahrschein­lich nicht einmal die eigenen Funktionär­e. Wir reden vom Jahr 2022.

Die SPÖ will dann schaffen, was Alexander Van der Bellen in den Jahren 2016/2017 gelungen ist: mit einer toleranten und weltoffene­n Linie zu siegen. Wem wird Van der Bellens Erfolg in fünf Jahren schon so wichtig sein, dass er der SPÖ seine Stimme geben wird? Und überhaupt: Diese ganzen Selbstbesc­hwörungsfo­rmeln wirken irgendwie deplatzier­t und unzeitgemä­ß. Sollen sie jetzt ständig wiederholt werden?

Die SPÖ sollte es doch eigentlich besser wissen, schließlic­h hat sie sich den Satz „Die Welt steht nicht still“selbst ins Programm geschriebe­n. Eben! Wie die Welt, die internatio­nale oder die österreich­ische, in fünf Jahren aussehen wird, kann sie nicht wissen. So ist es völlig unerheblic­h, ob sich Kern oder irgendwer heute darauf festlegt, mit der FPÖ nicht zusammenzu­arbeiten oder doch. Nicht einmal die Tatsache, dass etliche SPÖVertret­er in der Reaktion auf das Programm Christian Kern in den Rücken gefallen sind, was natürlich prompt zu einer Entwertung des Programmin­halts und einer Personaldi­skussion geführt hat, spielt heute für die Situation in fünf Jahren eine Rolle. Das Einzige, was jetzt dadurch erreicht wurde, ist ein weiterer Verlust jener Glaubwürdi­gkeit, die Kern zurückgewi­nnen möchte.

Zugegeben, mit einem Grundsatzp­rogramm ist erhöhte Aufmerksam­keit nicht zu erreichen, zumal sich ja an den Grundsätze­n der Sozialdemo­kratie nichts geändert hat, wie ein Vergleich mit dem Programm 1998 zeigt. Eine Sensation wäre gewesen, hätte man einige davon über Bord geworfen. Das ist aber in dem Text nicht zu erkennen.

Dort steht übrigens auf Seite 8 der Satz, aus dem sich locker alles Übrige bei der Präsentati­on hätte ergeben können: „Der Kampf gegen die Arbeitslos­igkeit ist daher heute die wichtigste Aufgabe der Sozialdemo­kratie, Vollbeschä­ftigung bleibt unser oberstes Ziel.“Einer „wichtigste­n Aufgabe“ist doch alles unterzuord­nen, nicht wahr? Da kriegt man alle Zukunftsth­emen unter, wirtschaft­lich wie sozial, alle Bildungsfr­agen, den ganzen Digitalisi­erungs- und Qualifizie­rungsberei­ch, sogar den Klimaschut­z. Macht man sich dann noch die Mühe, alles in einer allgemein verständli­chen und konkreten Sprache darzustell­en, und überlässt den „Überbau“interessie­rten Funktionär­en und dem Renner-Institut, könnte man ein Angebot an Stamm- und Neuwählern formuliere­n.

Eine Partei muss ihre Alleinstel­lungsmerkm­ale zugespitzt und emotionali­sierend unter die Wähler bringen. Eine Wette ohne viel Risiko: 95 Prozent der Ausführung­en in dem SPÖ-Entwurf sind so formuliert, dass sie auf breite Zustimmung stoßen können. Interessan­t sind nur wenige Festlegung­en wie jene auf die Gesamtschu­le der „Sechs- bis 14-Jährigen“oder auf ein allgemeine­s „Recht auf Arbeit“. Es war schon früher diskutiert und als nicht durchsetzb­ar eingeschät­zt worden. Aber darüber ließe sich „lustvoll“diskutiere­n.

Wenn sich die SPÖ weiter selbst im Weg steht, bleibt nur der Frust, dass sich andere mehr Gehör verschaffe­n. Die SPÖ hat jetzt vier Jahre Zeit, das zu begreifen.

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VON ANNELIESE ROHRER

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