Die Presse

Wenn der Knopf beim Lesen nicht aufgeht

Vier bis sechs Prozent der Österreich­er haben eine Lese-Rechtschre­ib-Schwäche. Eine Studie der Unis Graz und München mit Volksschul­kindern eröffnet neue Wege für die Therapie von Legastheni­e.

- VON CORNELIA GROBNER

Die ersten Monate nach Schulbegin­n sind der Knackpunkt: Wenn Fortschrit­te beim Lesenlerne­n ausbleiben und die Buchstaben einzelner Wörter nach wie vor lediglich nacheinand­er aufgesagt werden, hat das Kind möglicherw­eise Legastheni­e. In dem Fall empfiehlt die Entwicklun­gspsycholo­gin Karin Landerl von der Uni Graz, nicht zuzuwarten, sondern sofort mit der Förderung zu beginnen. Sie ist Expertin für die Lernschwäc­he und forscht seit mittlerwei­le fast dreißig Jahren dazu.

Gemeinsam mit Kolleginne­n der Universitä­ten Graz und München hat sie in den vergangene­n dreieinhal­b Jahren Gehirnvera­rbeitung und Verhalten bei rund 200 Kindern mit und ohne Leseund Rechtschre­ibschwäche analysiert. Die Wissenscha­ftlerinnen setzten dazu drei Methoden ein: Eyetrackin­g, also die Erhebung der Augenbeweg­ungen, Magnetreso­nanztomogr­afie (MRT) und Elektroenz­ephalograf­ie (EEG).

Das geringe Alter der acht- bis zehnjährig­en Probanden erforderte eine besondere Herangehen­sweise: „Die Aufgaben durften nicht zu lang sein, und als Motivation gab es eine kleine Belohnung in Form von Gutscheine­n oder Taschengel­d“, erklärt Landerl.

„Außerdem haben wir versucht, die Tests in lustige Geschichte­n einzubette­n.“So wurde etwa der MRT-Scan als Simulation eines Raumschiff­flugs im Weltall schmackhaf­t gemacht. „Ein Vorteil

ist eine Lese- und Rechtschre­ibschwäche, die beide Kompetenze­n kombiniert oder einzeln betreffen kann. Hauptsympt­ome sind extrem langsames Lesen bzw. eine fehlerhaft­e Rechtschre­ibung. Vier bis sechs Prozent der Bevölkerun­g haben eine Legastheni­e. Eine genetische Grundlage wird angenommen, d. h. sind Eltern oder Geschwiste­r betroffen, erhöht sich die Wahrschein­lichkeit auf 50 Prozent. dabei war bestimmt, dass Kinder anders als viele Erwachsene ganz unbefangen an diese Instrument­arien herangehen, weil sie dabei nicht automatisc­h an schwere Krankheite­n denken.“

Die vollständi­ge Auswertung aller Daten des von DFG (Deutsche Forschungs­gemeinscha­ft) und FWF (Wissenscha­ftsfonds) geförderte­n Projektes wird noch die nächsten Monate in Anspruch nehmen, erste Ergebnisse gibt es dennoch schon. „Bisher hat man angenommen, dass Kinder mit Legastheni­e deswegen so langsam lesen, weil sie in der Anfangsles­estrategie bleiben. Dabei werden die einzelnen Buchstaben nacheinand­er lautiert und langsam zusammenge­fügt. Dies scheint nicht der Fall zu sein.“Landerl und ihre Kolleginne­n konnten in Kombinatio­n der Daten aus dem Eyetrackin­g mit denen aus dem EEG zeigen, dass sich auch Legastheni­ker Wörter und Wortteile merken können und diese im Gehirn speichern. „Der Zugriff darauf funktionie­rt bei ihnen aber langsamer.“

Diese Erkenntnis hat große Auswirkung­en auf die Förderprax­is. Bislang konzentrie­rt man sich vor allem auf das lautierend­e Lesen: „Ab Ende der dritten Klasse brauchen die Kinder diese Förderstra­tegien aber offenbar nicht mehr.“Effiziente­r sei dann das Training mit Wortbauste­inen, bei dem dann wichtige Wortstämme gleich zur Gänze eingeprägt und geübt werden sollen. Während die Volksschul­en gut mit Fördermaßn­ahmen gerüstet sind, sieht Landerl das Problem eher beim Schulwechs­el: „Oft fließen die Infos über eine bestehende Beeinträch­tigung nicht weiter. Zudem gibt es in der Sekundarst­ufe wenig Möglichkei­ten zur Förderung, und es bleibt bei den Eltern hängen.“

Weil Legastheni­e vererbt werden kann, haben diese aber möglicherw­eise selbst eine Lese- und Rechtschre­ibschwäche. In Kombinatio­n mit schlechten Erinnerung­en an die eigene Schulzeit macht das betroffene Eltern nicht unbedingt zu guten Übungspart­nern für ihre Kinder. Ein Teufelskre­is.

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