Steine, die unsere Geschichte erzählen
An der Österreichischen Akademie der Wissenschaften werden das Alter und die Beschaffenheit von Gesteinen aus archäologischem Kontext bestimmt. Sie können einiges über das Leben früherer Generationen aussagen.
Er spricht mit den Steinen. Die Antworten liefern ein Stereomikroskop und ein Laserstrahl in einer Spurenelementanalyse. Michael Brandl, der sich der Ur- und Frühgeschichte verschrieben hat, leitet das Rohmateriallabor im Institut für Orientalische und Europäische Archäologie (Orea) der Akademie der Wissenschaften. Und um Steine dreht sich eben das wissenschaftliche Leben Brandls. Im Orea-Gesteinslabor mit gerade knapp 30 m2 zeigt Brandl mehrere Kartons mit unterschiedlichen, nicht zu großen Steinen. Die Artefakte wurden von verschiedenen Museen und Fundstätten eingesandt. Mit im Labor ist auch Clare Burke, die sich auf Keramikanalysen spezialisiert hat.
In der aktuellen Ausgabe des Fachmagazins „PLos One“wird nun ein aktuelles Projekt des Wiener Rohmaterialanalytikers vorgestellt. Demnach konnte unter der Leitung Brandls – in Kooperation mit dem Zentrum für baltische und skandinavische Archäologie in Schleswig – die Herkunft von Feuersteinen aus einem im 16. Jahrhundert vor der skandinavischen Küste gesunkenen Schiff festgestellt werden. Diese Steine wurden zur Stabilisierung der Schiffe auf stürmischer See benötigt.
Woher kam das Material, lässt die Herkunft auf bestimmte Handelsrouten schließen? Die Lösung der archäologischen Fragestellung – das Material stammt aus der VigsöBucht an der dänischen Küste – gelang Brandl mit seiner speziellen und von ihm entwickelten Methode des Multi-Layered Chert Sourcing Approach. Gerade weil Brandl die neue Methode entwickelt hat, wurde das Gesteinslabor eingerichtet, sagt Orea-Direktorin Barbara Horejs. „Dadurch können wir die Rohstoffwege der frühesten Menschen, damals Sammler und Jäger, rekonstruieren.“
Die Grundlage des mehrstufigen Systems bildet die Charakterisierung der Gesteinsrohstoffe. Der Schwerpunkt der Gesteinsanalytik liegt auf Silikatgesteinen. Diese wurden ab der Steinzeit bevorzugt verwendet. „Silikatgesteine sind sehr hart, weil es sich dabei immer um Quarz handelt, und zugleich feinkörnig und daher gut zu bearbeiten“, sagt Brandl. Auch die Feuersteine aus dem gesunkenen Schiff sind Silikatgesteine.
In seinem Labor analysiert Michael Brandl die Artefakte im Stereomikroskop und fertigt ein dreidimensionales Bild an. Hier zeigt sich, ob im Material Mikrofossilien vorhanden sind, „Moostierchen, Muschelreste, Seeigelschalen, alles, was der typischen kreidezeitlichen Meerestierfamilie angehört“. Dabei legt der Wissenschaftler Wert auf die Feststellung, dass die Artefakte in seinem Labor nicht beschädigt oder beeinträchtigt werden. Sind organische Spuren vorhanden, dann lässt sich das Gesteinsalter relativ präzise bestimmen.
Der nächste Schritt führt Brandl zur Geochemie im Institut für Erdwissenschaften der Uni Graz. Dort werden die Gesteinsstücke in Kunstharz gebettet und einzelne Punkte mit dem Laserstrahl anvisiert. Die detaillierte Spurenelementanalyse und Auswertung nehmen dann die Grazer
Für die Forschungsgruppe Quartärarchäologie an lithischen Materialanalysen hat die Akademie der Wissenschaften 2017 ein eigenes Labor im ÖAW-Institut für Orientalische und Europäische Archäologie, 1020 Wien, Hollandstraße 11, (Direktion: Barbara Horjes) errichtet. Ziel des Labors sind Material- und Herkunftsbestimmungen von Gesteinen und anderen Materialien aus archäologischem Kontext. Der Leiter des Labors, Michael Brandl (43), ist auch an der Uni Wien und der Uni Graz tätig. Institutsmitarbeiter (Institutsleitung: Christoph Hauzenberger) vor. Vom Gesteinslabor aus wird Petzer Filzmoser, Leiter des Instituts für Stochastik und Wirtschaftsmathematik an der TU Wien, kontaktiert. Hier wird aus den geochemischen Daten eine statistische Analyse erstellt.
Schließlich spielt im gesamten Ablauf auch die Referenzsammlung am Institut für Urgeschichte und Historische Archäologie der Uni Wien eine Rolle. Unter der Leitung von Gerhard Trnka – Michael Brandl ist Kodirektor – findet sich eine Gesteinssammlung von mehr als tausend Fundstätten und pro Fundort von einer Vielzahl von Gesteinsproben. Hier können Vergleiche vorgenommen werden.
Das größte Vorhaben, das im Orea-Labor bearbeitet wird, betrifft die Gesteinsanalysen der archäologischen Fundstätte KremsWachtberg. International bekannt wurde die Fundstätte durch die Auffindung eines Säuglingsdoppelgrabs und eines Säuglingseinzelgrabs, die vor 31.000 Jahren angelegt wurden. Mit der Bestimmung der archäologischen Artefakte kann man nun mögliche erste Handelsbeziehungen aufzeigen. 40.000 Einzelstücke wurden bearbeitet, „im Verlauf von zehn Jahren jedes einzelne Stück“.
Allerdings datieren die Funde aus Wachtberg aus der Steinzeit, also einer Epoche, in der die Menschen in Europa noch nicht sesshaft waren. Möglicherweise haben sich die umherziehenden Bewohner zu bestimmten Zeiten hier gesammelt, zeigt Brandl eine der Varianten auf. Die Gesteine kamen aus den nördlichen Kalkalpen, dem Wiener Raum, den Karpaten und dem südmährischen Raum – die Menschen haben damals schon größere Entfernungen zurückgelegt. Und damit befindet sich Brandl bei den Anfängen der Menschheitsgeschichte.