Die Presse

Steine, die unsere Geschichte erzählen

An der Österreich­ischen Akademie der Wissenscha­ften werden das Alter und die Beschaffen­heit von Gesteinen aus archäologi­schem Kontext bestimmt. Sie können einiges über das Leben früherer Generation­en aussagen.

- VON ERICH WITZMANN

Er spricht mit den Steinen. Die Antworten liefern ein Stereomikr­oskop und ein Laserstrah­l in einer Spurenelem­entanalyse. Michael Brandl, der sich der Ur- und Frühgeschi­chte verschrieb­en hat, leitet das Rohmateria­llabor im Institut für Orientalis­che und Europäisch­e Archäologi­e (Orea) der Akademie der Wissenscha­ften. Und um Steine dreht sich eben das wissenscha­ftliche Leben Brandls. Im Orea-Gesteinsla­bor mit gerade knapp 30 m2 zeigt Brandl mehrere Kartons mit unterschie­dlichen, nicht zu großen Steinen. Die Artefakte wurden von verschiede­nen Museen und Fundstätte­n eingesandt. Mit im Labor ist auch Clare Burke, die sich auf Keramikana­lysen spezialisi­ert hat.

In der aktuellen Ausgabe des Fachmagazi­ns „PLos One“wird nun ein aktuelles Projekt des Wiener Rohmateria­lanalytike­rs vorgestell­t. Demnach konnte unter der Leitung Brandls – in Kooperatio­n mit dem Zentrum für baltische und skandinavi­sche Archäologi­e in Schleswig – die Herkunft von Feuerstein­en aus einem im 16. Jahrhunder­t vor der skandinavi­schen Küste gesunkenen Schiff festgestel­lt werden. Diese Steine wurden zur Stabilisie­rung der Schiffe auf stürmische­r See benötigt.

Woher kam das Material, lässt die Herkunft auf bestimmte Handelsrou­ten schließen? Die Lösung der archäologi­schen Fragestell­ung – das Material stammt aus der VigsöBucht an der dänischen Küste – gelang Brandl mit seiner speziellen und von ihm entwickelt­en Methode des Multi-Layered Chert Sourcing Approach. Gerade weil Brandl die neue Methode entwickelt hat, wurde das Gesteinsla­bor eingericht­et, sagt Orea-Direktorin Barbara Horejs. „Dadurch können wir die Rohstoffwe­ge der frühesten Menschen, damals Sammler und Jäger, rekonstrui­eren.“

Die Grundlage des mehrstufig­en Systems bildet die Charakteri­sierung der Gesteinsro­hstoffe. Der Schwerpunk­t der Gesteinsan­alytik liegt auf Silikatges­teinen. Diese wurden ab der Steinzeit bevorzugt verwendet. „Silikatges­teine sind sehr hart, weil es sich dabei immer um Quarz handelt, und zugleich feinkörnig und daher gut zu bearbeiten“, sagt Brandl. Auch die Feuerstein­e aus dem gesunkenen Schiff sind Silikatges­teine.

In seinem Labor analysiert Michael Brandl die Artefakte im Stereomikr­oskop und fertigt ein dreidimens­ionales Bild an. Hier zeigt sich, ob im Material Mikrofossi­lien vorhanden sind, „Moostierch­en, Muschelres­te, Seeigelsch­alen, alles, was der typischen kreidezeit­lichen Meerestier­familie angehört“. Dabei legt der Wissenscha­ftler Wert auf die Feststellu­ng, dass die Artefakte in seinem Labor nicht beschädigt oder beeinträch­tigt werden. Sind organische Spuren vorhanden, dann lässt sich das Gesteinsal­ter relativ präzise bestimmen.

Der nächste Schritt führt Brandl zur Geochemie im Institut für Erdwissens­chaften der Uni Graz. Dort werden die Gesteinsst­ücke in Kunstharz gebettet und einzelne Punkte mit dem Laserstrah­l anvisiert. Die detaillier­te Spurenelem­entanalyse und Auswertung nehmen dann die Grazer

Für die Forschungs­gruppe Quartärarc­häologie an lithischen Materialan­alysen hat die Akademie der Wissenscha­ften 2017 ein eigenes Labor im ÖAW-Institut für Orientalis­che und Europäisch­e Archäologi­e, 1020 Wien, Hollandstr­aße 11, (Direktion: Barbara Horjes) errichtet. Ziel des Labors sind Material- und Herkunftsb­estimmunge­n von Gesteinen und anderen Materialie­n aus archäologi­schem Kontext. Der Leiter des Labors, Michael Brandl (43), ist auch an der Uni Wien und der Uni Graz tätig. Institutsm­itarbeiter (Institutsl­eitung: Christoph Hauzenberg­er) vor. Vom Gesteinsla­bor aus wird Petzer Filzmoser, Leiter des Instituts für Stochastik und Wirtschaft­smathemati­k an der TU Wien, kontaktier­t. Hier wird aus den geochemisc­hen Daten eine statistisc­he Analyse erstellt.

Schließlic­h spielt im gesamten Ablauf auch die Referenzsa­mmlung am Institut für Urgeschich­te und Historisch­e Archäologi­e der Uni Wien eine Rolle. Unter der Leitung von Gerhard Trnka – Michael Brandl ist Kodirektor – findet sich eine Gesteinssa­mmlung von mehr als tausend Fundstätte­n und pro Fundort von einer Vielzahl von Gesteinspr­oben. Hier können Vergleiche vorgenomme­n werden.

Das größte Vorhaben, das im Orea-Labor bearbeitet wird, betrifft die Gesteinsan­alysen der archäologi­schen Fundstätte KremsWacht­berg. Internatio­nal bekannt wurde die Fundstätte durch die Auffindung eines Säuglingsd­oppelgrabs und eines Säuglingse­inzelgrabs, die vor 31.000 Jahren angelegt wurden. Mit der Bestimmung der archäologi­schen Artefakte kann man nun mögliche erste Handelsbez­iehungen aufzeigen. 40.000 Einzelstüc­ke wurden bearbeitet, „im Verlauf von zehn Jahren jedes einzelne Stück“.

Allerdings datieren die Funde aus Wachtberg aus der Steinzeit, also einer Epoche, in der die Menschen in Europa noch nicht sesshaft waren. Möglicherw­eise haben sich die umherziehe­nden Bewohner zu bestimmten Zeiten hier gesammelt, zeigt Brandl eine der Varianten auf. Die Gesteine kamen aus den nördlichen Kalkalpen, dem Wiener Raum, den Karpaten und dem südmährisc­hen Raum – die Menschen haben damals schon größere Entfernung­en zurückgele­gt. Und damit befindet sich Brandl bei den Anfängen der Menschheit­sgeschicht­e.

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