Die Täuschmanöver des Körpers
Die Zellen wollen den Körper vor Giften schützen. Doch mitunter erreichen Medikamente dadurch ihr Ziel nicht. Wiener Forscher wollen die Vorgänge besser steuern.
Unsere Zellen sind in der Lage, Medikamente auszutricksen. Aus evolutionärer Sicht handelt es sich dabei um einen Schutzmechanismus vor Giftstoffen. Doch nicht immer ist das zum Wohle des Menschen. So schafft es etwa das Gehirn, Epilepsiemedikamente zu eliminieren – was freilich nicht im Sinn einer erfolgreichen Therapie ist. Verantwortlich dafür sind sogenannte Transporter: Eiweißkonstrukte, die an den Zellmembranen hängen und „Eindringlinge“wie Medikamentenwirkstoffe oder Erreger „hinauswerfen“, bevor sie wirken können. An der Med-Uni Wien werden solche Transportermechanismen erforscht.
„Die Transporter sind beispielsweise in der Niere so angeordnet, dass sie Giftstoffe vom Blut in den Harn pumpen, in der Leber werden sie vom Blut in die Galle gepumpt und von da in den Darm, von wo sie mit dem Stuhl abgehen“, erklärt Markus Zeitlinger, Leiter der Universitätsklinik für Klinische Pharmakologie. Derlei Transporter schützen u. a. das Gehirn vor dem Eindringen von Arzneimittelstoffen. „Das ist im Fall eines Antibiotikums mit dem Wirkstoff Ciprofloxacin gut, denn er wäre für die Gehirnzellen schädlich.“Wenn es jedoch um ein Epilepsiemedikament geht, sieht die Sache anders aus. „Wird es vom Transportermechanismus vorzeitig hinausgepumpt, erreichen die Medikamente nicht ihren Zielort Gehirn. Wir haben es dann mit einer therapieresistenten Epilepsie zu tun.“
Zeitlinger und seine Kollegen haben nun einen Hemmstoff gesucht, der die Transportertätigkeit eindämmt. „Wir haben eine Substanz namens Tariquidar als Hemmer eingesetzt, dann ein radioaktiv markiertes Medikamente gegeben und mit einer PET-Kamera beobachtet, was im Gehirn passiert.“Tat- sächlich gelangten größere Mengen des Arzneimittels in das Gehirn. „Wir haben aber nicht eruiert, ob es den Patienten dann besser geht. Unsere Forschungen zielten in erster Linie darauf ab, diesen Transporter besser zu verstehen.“Das sei gelungen und könne eines Tages bei der Entwicklung neuer Medikamente berücksichtigt werden.
Aktuell arbeiten die Wissenschaftler an der Erforschung von Mechanismen in Krebszellen. Denn auch sie setzen Transporter ein, um Zytostatika (Krebsmedikamente, die Zellteilung und Zellwachstum hemmen) zu eliminieren. Nicht alle Tumore sind da gleich erfolgreich. Manche können sich bestens vor Krebsmedikamenten schützen, andere weniger gut. Verabreicht man also dieser inhomogenen Krebszellpopulation entsprechende Arzneien, sterben viele ab, der Tumor wird kleiner. Etliche Zellen aber überleben, weil es ihnen besser als dem Rest gelingt, die für sie giftigen Zytostatika zu beseitigen. „Bislang hat es allerdings noch kein wirklich potenter Transporthemmer für Krebs in die klinische Routine geschafft.“
Einen anderen Weg geht man auf dem vor mehr als einem Jahr gegründeten Ludwig-Boltzmann-Institut für Angewandte Diagnose, an dem derzeit zwei Studien bei Patienten mit Prostata- und Dickdarmkrebs laufen. „Wir suchen nach neuen Biomarkern, die möglichst früh vorhersagen können, ob Krebszellen auf eine Therapie ansprechen oder nicht“, sagt Zeitlinger, der hier für die klinische Anwendung verantwortlich ist. Einen neuen Marker habe man bereits entwickelt. Er ist derzeit im Test und soll jene Tumore und Metastasen aufspüren, die über einen bestimmten Transporter ver- fügen. Mit einer Histologie allein würde man diesbezüglich scheitern. „Selbst wenn ich bei einer Biopsie einer Metastase einen konkreten Transportermechanismus finde, sagt das nichts über dessen Beschaffenheit bei einer anderen Metastase aus. Denn Transporterqualität und -quantität können von Metastase zu Metastase und selbst innerhalb eines einzelnen Tumors verschieden sein.“
Darüber hinaus forscht Zeitlinger auch an Arzneimittelneben- und Wechselwirkungen – in den USA immerhin die vierthäufigste Todesursache. In Österreich gibt es dazu keine konkreten Zahlen, aber Experten gehen von ähnlichen Verhältnissen aus. Gut ein Fünftel der über 60-jährigen Österreicher nimmt sechs bis zehn verschiedene Medikamente täglich ein; ab sieben Arzneimitteln steigt das Risiko einer unerwünschten und mitunter lebensbedrohlichen Interaktion bereits um 82 Prozent.
„Viele Patienten nehmen einen explosiven Medikamentencocktail zu sich. Man muss direkt von Glück reden, dass die Therapietreue in der Regel mit der Menge der Medikamente abnimmt“, sagte die klinische Pharmazeutin Christina Hofer-Dückelmann bei einer Tagung der Österreichischen Apothekerkammer. So gesehen schütze sich der Mensch in gewisser Weise selbst. „Jedes falsche Medikament, das man einspart, ist ein doppelter Gewinn“, sagt auch Markus Zeitlinger, der im AKH Wien gemeinsam mit Spezialisten der Anstaltsapotheke Österreichs erste Ambulanz für rationale Arzneimitteltherapie und Interaktionen betreut. „Rationale Arzneimitteltherapie bedeutet, dass wir nicht nur die Interaktionen betrachten, sondern auch kritisch beurteilen, ob dieses oder jenes Medikament wirklich erforderlich ist, und eruieren, wo man einsparen könnte.“