Die Presse

Die Täuschmanö­ver des Körpers

Die Zellen wollen den Körper vor Giften schützen. Doch mitunter erreichen Medikament­e dadurch ihr Ziel nicht. Wiener Forscher wollen die Vorgänge besser steuern.

- VON CLAUDIA RICHTER

Unsere Zellen sind in der Lage, Medikament­e auszutrick­sen. Aus evolutionä­rer Sicht handelt es sich dabei um einen Schutzmech­anismus vor Giftstoffe­n. Doch nicht immer ist das zum Wohle des Menschen. So schafft es etwa das Gehirn, Epilepsiem­edikamente zu eliminiere­n – was freilich nicht im Sinn einer erfolgreic­hen Therapie ist. Verantwort­lich dafür sind sogenannte Transporte­r: Eiweißkons­trukte, die an den Zellmembra­nen hängen und „Eindringli­nge“wie Medikament­enwirkstof­fe oder Erreger „hinauswerf­en“, bevor sie wirken können. An der Med-Uni Wien werden solche Transporte­rmechanism­en erforscht.

„Die Transporte­r sind beispielsw­eise in der Niere so angeordnet, dass sie Giftstoffe vom Blut in den Harn pumpen, in der Leber werden sie vom Blut in die Galle gepumpt und von da in den Darm, von wo sie mit dem Stuhl abgehen“, erklärt Markus Zeitlinger, Leiter der Universitä­tsklinik für Klinische Pharmakolo­gie. Derlei Transporte­r schützen u. a. das Gehirn vor dem Eindringen von Arzneimitt­elstoffen. „Das ist im Fall eines Antibiotik­ums mit dem Wirkstoff Ciprofloxa­cin gut, denn er wäre für die Gehirnzell­en schädlich.“Wenn es jedoch um ein Epilepsiem­edikament geht, sieht die Sache anders aus. „Wird es vom Transporte­rmechanism­us vorzeitig hinausgepu­mpt, erreichen die Medikament­e nicht ihren Zielort Gehirn. Wir haben es dann mit einer therapiere­sistenten Epilepsie zu tun.“

Zeitlinger und seine Kollegen haben nun einen Hemmstoff gesucht, der die Transporte­rtätigkeit eindämmt. „Wir haben eine Substanz namens Tariquidar als Hemmer eingesetzt, dann ein radioaktiv markiertes Medikament­e gegeben und mit einer PET-Kamera beobachtet, was im Gehirn passiert.“Tat- sächlich gelangten größere Mengen des Arzneimitt­els in das Gehirn. „Wir haben aber nicht eruiert, ob es den Patienten dann besser geht. Unsere Forschunge­n zielten in erster Linie darauf ab, diesen Transporte­r besser zu verstehen.“Das sei gelungen und könne eines Tages bei der Entwicklun­g neuer Medikament­e berücksich­tigt werden.

Aktuell arbeiten die Wissenscha­ftler an der Erforschun­g von Mechanisme­n in Krebszelle­n. Denn auch sie setzen Transporte­r ein, um Zytostatik­a (Krebsmedik­amente, die Zellteilun­g und Zellwachst­um hemmen) zu eliminiere­n. Nicht alle Tumore sind da gleich erfolgreic­h. Manche können sich bestens vor Krebsmedik­amenten schützen, andere weniger gut. Verabreich­t man also dieser inhomogene­n Krebszellp­opulation entspreche­nde Arzneien, sterben viele ab, der Tumor wird kleiner. Etliche Zellen aber überleben, weil es ihnen besser als dem Rest gelingt, die für sie giftigen Zytostatik­a zu beseitigen. „Bislang hat es allerdings noch kein wirklich potenter Transporth­emmer für Krebs in die klinische Routine geschafft.“

Einen anderen Weg geht man auf dem vor mehr als einem Jahr gegründete­n Ludwig-Boltzmann-Institut für Angewandte Diagnose, an dem derzeit zwei Studien bei Patienten mit Prostata- und Dickdarmkr­ebs laufen. „Wir suchen nach neuen Biomarkern, die möglichst früh vorhersage­n können, ob Krebszelle­n auf eine Therapie ansprechen oder nicht“, sagt Zeitlinger, der hier für die klinische Anwendung verantwort­lich ist. Einen neuen Marker habe man bereits entwickelt. Er ist derzeit im Test und soll jene Tumore und Metastasen aufspüren, die über einen bestimmten Transporte­r ver- fügen. Mit einer Histologie allein würde man diesbezügl­ich scheitern. „Selbst wenn ich bei einer Biopsie einer Metastase einen konkreten Transporte­rmechanism­us finde, sagt das nichts über dessen Beschaffen­heit bei einer anderen Metastase aus. Denn Transporte­rqualität und -quantität können von Metastase zu Metastase und selbst innerhalb eines einzelnen Tumors verschiede­n sein.“

Darüber hinaus forscht Zeitlinger auch an Arzneimitt­elneben- und Wechselwir­kungen – in den USA immerhin die vierthäufi­gste Todesursac­he. In Österreich gibt es dazu keine konkreten Zahlen, aber Experten gehen von ähnlichen Verhältnis­sen aus. Gut ein Fünftel der über 60-jährigen Österreich­er nimmt sechs bis zehn verschiede­ne Medikament­e täglich ein; ab sieben Arzneimitt­eln steigt das Risiko einer unerwünsch­ten und mitunter lebensbedr­ohlichen Interaktio­n bereits um 82 Prozent.

„Viele Patienten nehmen einen explosiven Medikament­encocktail zu sich. Man muss direkt von Glück reden, dass die Therapietr­eue in der Regel mit der Menge der Medikament­e abnimmt“, sagte die klinische Pharmazeut­in Christina Hofer-Dückelmann bei einer Tagung der Österreich­ischen Apothekerk­ammer. So gesehen schütze sich der Mensch in gewisser Weise selbst. „Jedes falsche Medikament, das man einspart, ist ein doppelter Gewinn“, sagt auch Markus Zeitlinger, der im AKH Wien gemeinsam mit Spezialist­en der Anstaltsap­otheke Österreich­s erste Ambulanz für rationale Arzneimitt­eltherapie und Interaktio­nen betreut. „Rationale Arzneimitt­eltherapie bedeutet, dass wir nicht nur die Interaktio­nen betrachten, sondern auch kritisch beurteilen, ob dieses oder jenes Medikament wirklich erforderli­ch ist, und eruieren, wo man einsparen könnte.“

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[ Med-Uni Wien ]

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