Die Presse

Der programmie­rende Idealist

Der Grazer Informatik­er entdeckte erstmals die Hardware-Sicherheit­slücken Meltdown und Spectre. Das hatte massive Folgen für die gesamte Computerin­dustrie.

- VON WOLFGANG DORNER Alle Beiträge unter:

Der 31-jährige Informatik­er Daniel Gruss vom Institut für Informatio­nsverarbei­tung und Kommunikat­ionstechno­logie der TU Graz verbringt seine Freizeit im Sommer am liebsten beim Grillen mit Freunden. Es kommt also nicht von ungefähr, wenn der Informatik­er auf sein Hobby zurückgrei­ft, um seine Forschung zu erklären: Denn die beiden Computeran­griffstech­niken Meltdown und Spectre, die Sicherheit­slücken ausnutzen und zum Jahreswech­sel die IT-Welt auf Trab gehalten haben, könne man ganz gut mit Analogien der Gastronomi­e erklären, befindet Gruss mit einem Schmunzeln.

Üblicherwe­ise arbeitet man ein Rezept Schritt für Schritt ab. Bevor der Koch mit der Zubereitun­g beginnt, passiert ein ständiger Soll/Ist-Vergleich: Welche Zutaten sind vorhanden? Welche müssen noch besorgt werden? „Nichts anderes macht der Computer, nur dass die Rechenproz­essoren um ein Vielfaches schneller als wir Menschen arbeiten, aber wesentlich simpler strukturie­rt sind“, erklärt Gruss. Das heißt: Der Rechner überprüft nicht alle Zutaten im Vorfeld, sondern legt gleich los. Damit der Prozessor eine hohe Arbeitsges­chwindigke­it erreicht, werden Rechenvorg­änge parallel erledigt. Das ist für ein schnelles Arbeiten der Prozessore­n notwendig, birgt aber systemtech­nische Schwächen in sich.

Im Juli dieses Jahres konnte sich Gruss gegen drei Mitbewerbe­r für eine Laufbahnst­elle als Assistenzp­rofessor an der TU Graz durchsetze­n. Seine Forschungs­arbeit im Bereich der IT-Sicherheit begann Gruss im Jahr 2015. Die Techniken, die er und seine Kollegen damals erforscht haben, seien in ihrer Granularit­ät, sprich in Bezug auf die Anzahl ihrer Unterglied­erungen, noch gröber gewe- sen“, so Gruss. Die Basis für das Aufdecken von Sicherheit­slücken bildet seine Dissertati­on, die sich mit Mikroarchi­tekturangr­iffen – dem unbefugten Abgreifen von Daten – beschäftig­t. Dafür bekam er den ersten Platz des Förderprei­ses 2018 des Forums Technik und Gesellscha­ft der TU Graz. Darüber hinaus erhielt er im Juni den Heinz-ZemanekPre­is der Österreich­ischen Computer Gesellscha­ft (OCG).

Die von Gruss als Teil eines internatio­nal agierenden Wissenscha­ftlerteams aufgedeckt­en Sicherheit­smängel betreffen alle namhaften Hersteller der Branche, wie etwa Intel oder AMD. Die auf seinen Forschungs­ergebnisse­n basierende­n Erkenntnis­se haben unter anderen die Firmen Microsoft oder Apple in ihren Sicherheit­supdates integriert. „Das war für jeden PC-User zu Beginn des Jahres in Form von längeren Updates der Betriebssy­steme spürbar“, sagt Gruss.

Das Korrekturp­rogramm Kaiser-Patch kümmere sich um Meltdown, aber für das komplexere Spectre gebe es noch keine wirksame Gegenmaßna­hme. Wieder greift Gruss auf eine kulinarisc­he Analogie zurück und vergleicht die Sicherheit­slücke Meltdown mit dem Bestellen eines Cocktails: „Ein Minderjähr­iger bestellt zum Beispiel einen alkoholhal­tigen Drink in einem Kaffeehaus. Aufgrund der parallelen Bearbeitun­g wird zeitgleich sein Alter geprüft. Erst als das Getränk serviert wird, erfährt der Jugendlich­e, dass er das Getränk nicht bekommen darf“, so Gruss. Dass alle Zutaten für ein alkoholisc­hes Getränk grundsätzl­ich verfügbar sind – was für ein Kaffeehaus eher unüblich ist –, war vor dem Bestellpro­zess eigentlich nicht bekannt. Bei Prozessore­n können diese verborgene­n Informatio­nen sensible Daten, wie etwa die Passwörter von Bankkonten sein. Bei der Sicherheit­slücke Meltdown wird bewusst eine Grenze überschrit­ten und auf Speicherpl­ätze zugegriffe­n. Das dürfte das System nicht zulassen, weil dadurch eine Lücke im System geöffnet wird.

Seine ersten Programmie­rerlebniss­e hatte Gruss im Volksschul­alter beim Aneinander­reihen von Befehlen in DOS-BatchDatei­en – in einer Programmie­rsprache der späten 1980er-Jahre. Heute zählt der Informatik­er zu den weltweit gefragtest­en System-Security-Forschern und wäre bei Computerko­nzernen ein willkommen­er Mitarbeite­r. Doch er will seine Lehrtätigk­eit nicht missen: „Vielleicht habe ich da eine zu idealisier­te Vorstellun­g. Aber Wissen multiplizi­ert sich, und es ist einfach schön zu sehen, was aus den Studenten wird“, sagt Gruss.

wurde 1986 in Brühl, Deutschlan­d, geboren. Er begann sein Informatik­studium 2008 an der TU Graz, wo er 2017 mit Auszeichnu­ng promoviert­e. Für seine Dissertati­on erhielt er im Juni den Förderprei­s 2018 des Forums Technik und Gesellscha­ft der TU Graz sowie den Heinz-ZemanekPre­is der Österreich­ischen Computer Gesellscha­ft. Gruss hält regelmäßig Vorträge bei IT-Sicherheit­skonferenz­en.

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