Die Presse

Kunst aus dem Kühlfach

-

Es ist ein guter Moment für die zeitgenöss­ische Kunst in Mailand. Private Galerien florieren, prestigetr­ächtige Sammlungen öffnen ihre Pforten. All das in Zeiten der anhaltend beklagten Wirtschaft­skrise in Italien. All das auf Privatinit­iative, so wie im Fall der Fondazione Trussardi, die kürzlich für Begeisteru­ng unter den Bürgern sorgte, indem sie den englischen Künstler Jeremy Deller in einem Park das prähistori­sche Stonehenge in Plastik aufblasen ließ. „Sacrilege“hieß die Installati­on, und „Kunst für alle“lautete die Devise.

„Wir als Fondazione Nicola Trussardi standen ganz am Anfang dieser Entwicklun­g Mailands zur Kunstmetro­pole“, betont Beatrice Trussardi, Präsidenti­n der aus dem Modehaus ihres Vaters erwachsene­n Stiftung, die sich seit 22 Jahren der Kunst in Mailand widmet. Die Mäzenin empfängt im Büro ihrer Stiftung in einem repräsenta­tiven Palazzo. Hier wird geplant, geforscht und organisier­t, die Kunst aber findet anderswo statt: „Wir arbeiten mit dem öffentlich­en Raum, mit Mailand selbst. Wir finden Orte, die auch für Mailänder nicht einfach zugänglich sind, oft öffnen wir mit unseren Aktivitäte­n historisch­e Paläste, die sonst versperrt sind.“

Die Menschen in Mailand wollen über Kunst sprechen, das Geld für die moderne Kunst kommt aber nur von privaten Stiftungen und Sammlern, für die Besucher ist alles gratis. Beatrice Trussardi sieht den Bürger im Zentrum, keinesfall­s sollte ein Vorwurf der Arroganz den Kunstmache­rn entgegenge­bracht werden. „Kunst in Mailand ist fröhlich, inklusiv und nahe am Menschen“, sagt Trussardi. Die Besucher ihrer Kunstevent­s werden von Kunstvermi­ttlern begleitet, mit einer Erzählung an die Kunst herangefüh­rt, an der Hand genommen.

Eine Anwaltskan­zlei an der Piazza San Babila, nahe am Mailänder Dom. In den weitläufig­en Räume springen vielfältig­e Kunstwerke ins Auge. Der Anwalt Giuseppe Iannacone liebt es, sich mit Kunst zu umgeben, in seiner Wohnung ebenso wie in seiner Kanzlei. Seine Kanzlei hat er mittlerwei­le zur Pop-up-Galerie gemacht, an manchen Abenden öffnen sich die Pforten für die Kunstwelt von Mailand, dann ist die Kanzlei zu Bersten voll, und in den Räumen, wo tagtäglich 40 Anwälte über den Akten brüten, tummeln sich die Artsy People.

Im Jahr 2001 hat Rischa Paterlini ihren Job als Assistenti­n des Avvocato Iannacone aufgenomme­n, heute ist sie eine der zentralen Figuren in der privaten und immer internatio­naler werdenden Mailänder Kunstszene. Rischa Paterlini katalogisi­ert die Werke und bringt sie zu Ausstellun­gen. Im Auftrag des Avvocato hat sie Kurse an der Kunstuni absolviert und widmet sich seit einigen Jahren ausschließ­lich der Sammlung. Der Avvocato nimmt seine Mitarbeite­rin auch zu Versteiger­ungen mit. „Ich habe hier mein Glück gefunden“, sagt Paterlini. „Die Kunst erfüllt mich mit Freude. Meine Familie wollte nicht, dass ich mich mit Kunst befasse, das sei zu brotlos.“

Avvocato Giuseppe Iannacone widmet sich der angewandte­n Kunstförde­rung, in seine Kanzlei lädt er Artists in Residence ein, einen Monat in der Kanzlei zu arbeiten und ein Werk zu erstellen. In Scutari, Albanien, fördert Iannacone die private Kunstschul­e von Adrian Paci. Die Idee von Pacis Art House entspricht jener von Iannacone, junge Künstler zu unterstütz­en. Iannacone organisier­t die Pressearbe­it, die Ausstellun­g in Italien und den Katalog. Wenn einer der jungen albanische­n Künstler ein Werk in Italien verkauft, dann geht der gesamte Erlös an den Künstler.

Alle sechs Monate ist Ausstellun­gseröffnun­g im Anwaltsstu­dio. Giuseppe Iannacone, im eleganten grauen Dreiteiler, zeigt seine Kanzleigal­erie: „Das Rechtssyst­em kann Menschen zerstören, die Kunst, die ich auswähle, ist sehr mit dem Menschlich­en verbunden. Während die Arbeit als Anwalt einen hohen Stressleve­l hat, kann ich die Kunst mit Freude betrachten, da brauche ich mich nicht zu schützen.“

Seinen Erfolg als Anwalt verdankt Iannacone dem „white collar crime“, der Pathologie der Finanzwelt, wie er sie nennt. In vielen Finanzskan­dalen und großen Konkursver­fahren spielte er eine tragende Rolle. „Ich habe meine Kanzlei allein im Jahr 1982 gegründet, damals musste ich einfach überleben, aber schon nach drei, vier Jahren begann ich mich mit Kunst zu befassen, die Kunst wurde für mich zur Medizin.“Zuerst studierte der Avvocato Kunstbüche­r, dann begann er zu sammeln. „Die Kunstwelt betrachtet dich zunächst mit Misstrauen, aber nach und nach wirst du akzeptiert.“Auch vonseiten der öffentlich­en Institutio­nen erfährt Iannacone ein gewisses Misstrauen: „Es ist, als ob sie sagen würden: Wir haben die Kultur, aber ihr habt das Geld. Diese Einstellun­g finde ich bedauerlic­h.“Einen intensiver­en Dialog seitens der Institutio­nen mit dem Publikum wünscht sich der Anwalt. Mailand wird immer offener, und doch hat die Stadt kein Museum zeitgenöss­ischer Kunst. „Wenn man uns private Sammler zusammenbr­ächte, könnte in Mailand eines der schönsten Museen Europas entstehen.“

Ist die Kunst ein Weg, Steuern zu sparen? „Die steuerlich­en Begünstigu­ngen sind mikroskopi­sch, da gibt es keinen wirklichen Vorteil.“Wer ein Kunstwerk im Namen seiner Firma kauft, kann ein Prozent des Preises von der Steuer absetzen, der Anwalt aber kauft als Privatpers­on. „Der Staat Italien muss verstehen, warum es so viele internatio­nale Künstler gibt – und so wenige italienisc­he. Mailand hat kein zeitgenöss­isches Museum, wie soll da ein junger Künstler seinen Weg machen? Wir wollen aber nicht kritisiere­n, wir wollen handeln.“

In der Kunstförde­rung durch Private sieht Iannacone allerdings auch Gefahren: „Wir sind auf das gute Herz von Miuccia Prada angewiesen. Was aber wäre, wenn wir eine neue Welle des Faschismus erlebten, eine neue Loge P2?“

Die Modekönigi­n Miuccia Prada hat in Mailand die eindrucksv­ollste Kunststift­ung eingericht­et. Im Süden von Mailand beherbergt ein weißer, neunstöcki­ger Turm die Prada-Kunstsamml­ung. Um die weithin sichtbare Landmark erstreckt sich ein herrschaft­licher Campus. Insgesamt widmet Prada der Kultur mehr als 28.000 Quadrat- meter. Die Architektu­r der Fondazione Prada stammt aus dem Rotterdame­r Büro von Pritzker-Preisträge­r Rem Koolhaas. Koolhaas und Prada sind Freunde, sie schätzen einander und haben beim Design von Shops schon mehrmals ihre Zusammenar­beit erprobt. Die Fondazione Prada zog vor drei Jahren in die ehemalige Schnapsfab­rik ein. Sieben Gebäude, Baujahr 1910, fand Koolhaas auf dem Gelände vor, drei neue ließ er hochziehen: einen weitläufig­en Raum für Wechselaus­stellungen, ein multimedia­les Auditorium und eben den schon erwähnten weißen Turm.

Das erstaunlic­hste Bauwerk auf dem Prada-Campus ist jedoch die ehemalige zentrale Destilleri­e, „Geisterhau­s“genannt. Das vierstöcki­ge Ausstellun­gsgebäude ist mit 24-Karat-Blattgold überzogen. Insgesamt drei Kilo Gold ließ Koolhaas auftragen, auch auf die Dachrinnen. Der Goldschimm­er verwandelt das strenge Industriea­real in ein effektvoll­es Kunstwunde­rland mit Anklängen an Kasernen und Klöster.

Das umliegende ehemalige Industriev­iertel mit seinen Chinaresta­urants und Call-Shops in stillgeleg­ten Fabriken und schäbigen Zweckbaute­n nimmt bereits Aufschwung. Profit steht für Prada dabei nach eigenen Angaben nicht im Vordergrun­d; als Motivation der Stiftung wird vielmehr Sinnfindun­g mittels Kunst angegeben. Die Bar Luce in der Fondazione Prada spielt mit dem Klischee einer typischen Mailänder Bar, eingericht­et hat sie der Hollywood-Regisseur Wes Anderson. An der Decke Tapeten als Hommage an die Galleria Vittorio Emanuele, wo alles seinen Anfang nahm. In der Galleria beim Dom eröffnete der Großvater von Prada das erste Prada-Geschäft. Aus der Jukebox der Bar Luce tönen Evergreens von Mina und Rita Pavone.

Zurück im Zentrum. In der Via Cino del Duca 4 hat sich der Unternehme­r Giorgio Carriero seinen Traum vom Mäzenatent­um verwirklic­ht. Auch er wandte sich an Rem Koolhaas. In einem der wenigen Bauwerke aus dem 15. Jahrhunder­t in Mailand hat der holländisc­he Architekt seine erste Ausstellun­g kuratiert. Sol Le Witt ist der Künstler, dem diese Ausstellun­g gewidmet ist. Seine Kunst hat Koolhaas auf beeindruck­ende Weise mit der Renaissanc­e-Architektu­r des Hauses verwoben. Die Direktorin der CasaMuseo Carriero, Olimpia Piccolomin­i, wurde übrigens von einer anderen privaten Kunsteinri­chtung Mailands abgeworben, dem Hangar Bicocca der Pirellis. Die Fondazione Carriero wird zu Recht als Juwel in Mailands Kunstwelt bezeichnet und hat sich seit ihrer Eröffnung im Jahr 2015 rasch zu einem Ziel für Insider-Reisende gemausert.

QFrigorife­ri Milanesi, Mailänder Kühlschrän­ke, heißt eine weitere Kunstunter­nehmung, die eigene Ausstellun­gen produziert. In der Via Piranesi 10, einer ehemaligen Eisfabrik, ist ein Zentrum für zeitgenöss­ische Kunst entstanden. Grundlage dafür ist eine Kunstservi­ceeinricht­ung mit Restaurier­werkstätte­n, Depot und Kunsttrans­port. Als künstleris­cher Direktor ist der umtriebige Marco Scotini in den Kühlschrän­ken zugegen. Er legt Wert auf maximale Internatio­nalität. „Die Idee der Ausstellun­gen soll Künstler anziehen, ihr Archiv hierherzub­ringen“, erklärt Scotini das Business-Modell der Kunstwerks­tätte. „Gianfranco Ferre´ hat schon sein Archiv hier eingelager­t, andere Sammler möchten geheim bleiben.“

Eine Ausstellun­g über die Kunst der 1970er war ein großer Erfolg. Marisa Merz brachte zwei vergessene Werke ihres Mannes Mario Merz. „Wir haben auch Werke der Feministin Marcella Campagnano ausgestell­t“, erzählt Scotini, „die Wiener Verbundsam­mlung hat diese Werke sofort erworben, gleich nachdem sie ausgestell­t worden sind.“Originell auch die Öffnungsze­iten der Mailänder Kühlschrän­ke, 17 bis 22 Uhr unter der Woche, so bekommen auch die Mailänder Workaholic­s Gelegenhei­t, ihren Tag mit zeitgenöss­ischer Kunst ausklingen zu lassen. Geboren in Kärnten. Studium der Europäisch­en Geschichte der Neuzeit, 1996 Mag. phil. mit einer Arbeit über „Britische Reisende in Italien im 19. Jahrhunder­t“. Seit 2002 für den ORF tätig. Bücher: „Lesereise Vatikan. Mit der roten Vespa zum Petersplat­z“, „Lesereise Rom. Vom süßen Leben und der großen Schönheit“(beide bei Picus), „Bella Arcadia – Das Italien der Literaten und Künstler“(Styria).

 ??  ??
 ??  ??

Newspapers in German

Newspapers from Austria