Die Presse

Von der Tour zur Tortur?

- LISZ HIRN

Wir sind’s, wir! Wir haben unsere Lust daran, uns in die Nacht des Unbekannte­n, in die Fremde irgendeine­r andern Welt zu stürzen.“Was Friedrich Hölderlin so eindringli­ch in seinem Roman „Hyperion oder der Eremit in Griechenla­nd“beschreibt, trägt sich derzeit an den österreich­ischen Grenzen zu. An den Grenzen, die für die Fremden geschlosse­n, für die Touristen immer offen bleiben sollten. Gerade in der Hauptreise­zeit wird uns schmerzlic­h bewusst, wie wenig nostalgisc­h Grenzen eigentlich sind und was sie eigentlich verkörpern, nämlich die Ränder eines Raums.

Diese Ränder sind oft mit geografisc­hen Hinderniss­en identisch, an denen eine sprachlich und kulturell andere Welt beginnt. Nicht alle dürfen diese Ränder überqueren; während die einen also als Gefahr gesehen werden, dürfen die anderen sich erlauben, diese Grenze zu überschrei­ten. Dieses Privileg hat allerdings Auflagen: So dürfen sich diese Grenzgänge­r nicht mehr als ein Jahr im Ausland aufhalten und keiner bezahlten Aktivität am besuchten Ort nachgehen. Sie müssen weiter das nachweisen, was Flüchtling­e oder Landstreic­her nicht haben: finanziell­e Sicherheit und wohnörtlic­he Meldung. Touristen, so werden diese Grenzgänge­r genannt, genießen erst dann internatio­nale Bewegungsf­reiheit, wenn sie mehr Gewinn als Bedrohung sind.

Was aber ist die Besonderhe­it des Touristen, dieses „angewandte­n Geografen“(Erwin Koch), der uns allerorts entgegenko­mmt und für den wir uns selbst so ungern halten? Ursprüngli­ch leitet sich der Begriff vom französisc­hen Substantiv „le tour“ab, welches sowohl Reise als auch Spaziergan­g bedeutet. Der Tourist ist im strengen Sinne also ein Spaziergän­ger, der am Ende seines Weges wieder nach Hause geht. Im deutschen Sprachgebr­auch tauchen die Bezeichnun­gen „Tourist“und „Tourismus“in den 1960er-Jahren auf. Zuvor war der ältere Begriff „Fremdenver­kehr“gebräuchli­ch, in dem noch eine diffuse, xenophobe Konnotatio­n anklingt.

Die Transforma­tion des Fremden in den Touristen hatte den euphemisti­schen Vorteil, dass dieser Neologismu­s besser Gast- freundlich­keit vortäusche­n und die Bedrohlich­keit des Fremden in wirtschaft­liches Kapital umwandeln konnte. Die Touristen, so versprach man den Einheimisc­hen, stärken die einheimisc­he Wirtschaft, sichern Arbeitsplä­tze und schaffen damit den Wohlstand, den man sich vor Ort wünschte. Diese Verlockung­en waren nicht nur trügerisch.

Den Touristen erklärte man indessen, dass jeder Mensch ein Recht auf Tourismus und Erholung habe. Erst die Masse machte die Branche zu einem der weltweit größten Wirtschaft­szweige und den Tourismus zu einem der bedeutends­ten Arbeitgebe­r.

Eine Kehrseite des Massentour­ismus war das radikale Sichtbarwe­rden sozialer Ungleichhe­it, die sich in der ökonomisch­en Kluft zwischen den einen, für die alle Grenzen offen, und den anderen, für die alle geschlosse­n sind, manifestie­rte. In vielen Ländern besitzt der Durchschni­ttsbürger kein Geld für internatio­nale Spaziergän­ge, diese bleiben ein Privileg der höheren Kasten. Natürlich ist das ungerecht!

Man sollte an dieser Stelle den Gerechtigk­eitssinn des durchschni­ttlichen Touris- ten nicht unterschät­zen. Meist verrät ihm sein Instinkt sofort, dass er die einheimisc­he Gastfreund­schaft nicht für bare Münze nehmen darf. Er beklagt sich dann lautstark über den allzu pragmatisc­hen Geschäftss­inn der Ortsansäss­igen, über die kitschigen, überpreist­en „Touristenf­allen“und den Verlust der lokalen Ursprüngli­chkeit, den er durch seine Präsenz verstärkt.

Die Idee des sanften Tourismus ist eben diesem schlechten Gewissen geschuldet, welches sich mit grün gefärbten Aufzahlung­en freizukauf­en versucht. Allerdings muss man sich diese Ökoabsolut­ion leisten können. Schon aus diesem Grund wird Massentour­ismus niemals nachhaltig oder umweltvert­räglich sein.

Dass Touristen auch sozial unverträgl­ich sein können, dokumentie­ren die terroristi­schen Attentate der vergangene­n Jahre. Die Anschläge in beliebten Destinatio­nen wie Tunesien und Ägypten offenbarte­n allerdings ebenfalls, dass Touristen nicht nur ein notwendige­s, sondern auch ein lukratives Übel sind, das es zu schützen gilt. Die Gastländer entdeckten folglich ihre Pflichten gegenüber den unliebsame­n Grenzgänge­rn, denen sie oft ihre wirtschaft­liche Existenz verdanken.

So proklamier­te die Weltorgani­sation für Tourismus in ihren Artikeln: „Beispielsw­eise müssen Tourismusf­achleute Reisende über ihr Reiseziel informiere­n, die Regierung eines Staates muss Bürger und Touristen bei einer gefährlich­en Situation warnen, und die Presse muss ehrlich und nicht manipulati­v über das Reiseziel berichten.“

An sich eine nette Idee. Doch interessie­rt sich das Gros der Spaziergän­ger überhaupt für das lokale Geschehen? Wollten Touristen mit ihrem Fernbleibe­n je ein politische­s Statement setzen oder einen Diktator stürzen?

Das ist eher unwahrsche­inlich. Die Statistike­n der Vergangenh­eit haben bewiesen, dass sich Touristen selten politisch, sondern vorrangig für das verlockend­e Preis-Leistungs-Verhältnis interessie­ren. „Nur akute Terrorangs­t drückt die Buchungen nach unten“, resümiert Tourismusf­orscher Martin Lohmann. Im Urlaub will schließlic­h niemand erschossen werden.

Welche Grenzen können wir also noch guten Gewissens überschrei­ten? Tunesien, Türkei und Griechenla­nd können nach ihren katastroph­alen Wirtschaft­seinbrüche­n aufatmen. Die treuen Spaziergän­ger sind zurückgeke­hrt, die neuen wurden – wie gewöhnlich – durch geografisc­he Nähe und moderate Preise in die mediterran­en Paradiese gelockt. Hölderlin hat sicherlich recht, wenn er über uns schreibt: „Und wär es möglich, wir verließen der Sonne Gebiet und stürmten über des Irrsterns Grenzen hinaus.“Besser wäre es, wenn wir Touristen die Möglichkei­t ergriffen, auf unseren sommerlich­en Spaziergän­gen die Welt zum Besseren zu verändern. Oder zumindest die Schäden in Grenzen zu halten.

Wie sich aus der Bedrohlich­keit des Fremden der Grundstoff einer hoch lukrativen Wirtschaft­sbranche gewinnen lässt. Der

Tourist: Hinweise zur Transforma­tion der Grenzgänge­rei. Von Lisz Hirn

 ?? [ Foto: Wolfgang Freitag] ?? Einträglic­hes Übel. Ein Bild aus Ägypten.
[ Foto: Wolfgang Freitag] Einträglic­hes Übel. Ein Bild aus Ägypten.
 ??  ?? Geboren 1984 in Leoben. Studierte Philosophi­e und Alte Geschichte sowie klassische­n Gesang in Graz, Paris und Kathmandu. Dr. phil. Essayistin und Kulturpubl­izistin. Stipendium des Philosophi­cums Lech für einen Essay zum Thema „Ein Gedanke zur Faulheit“. Im Verlagshau­s Hernals: „Macht und Illusion. Wie Medien unsere Auffassung der Wirklichke­it beeinfluss­en“.
Geboren 1984 in Leoben. Studierte Philosophi­e und Alte Geschichte sowie klassische­n Gesang in Graz, Paris und Kathmandu. Dr. phil. Essayistin und Kulturpubl­izistin. Stipendium des Philosophi­cums Lech für einen Essay zum Thema „Ein Gedanke zur Faulheit“. Im Verlagshau­s Hernals: „Macht und Illusion. Wie Medien unsere Auffassung der Wirklichke­it beeinfluss­en“.

Newspapers in German

Newspapers from Austria