Die Presse

Das wussten schon die Römer

-

Als im Jahr 1775 mit der Gloriette das prominente­ste Gebäude der Schloss Schönbrunn in Wien angeschlos­senen Gartenanla­ge errichtet werden sollte, erreichte den beauftragt­en Architekte­n ein Schreiben von Kaiserin Maria Theresia hochselbst. Die sparsame Monarchin hatte sich an das damals bereits leer stehende Schloss Neugebäude in Simmering erinnert und dekretiert­e: „Es befindet sich zu Neugebau eine alte Galerie von steinernen Säulen und Gesimsen, welche nichts nutzet.“Man möge, hieß es weiter, „solche von dort abbrechen lassen und nacher Schönbrunn bringen lassen“.

Sowohl Galerie als auch Säulen, Stierköpfe und andere historisch­e Bauteile wurden von Steinmetze­n bearbeitet und in den neuen „Ruhmestemp­el“, in dessen Speisesaal Kaiser Franz Joseph sein Frühstück einzunehme­n pflegte, integriert. Man stelle sich zeitgenöss­ische Auftraggeb­er vor, die ihren Architekte­n ähnliche Ansinnen zutrügen und sie auffordert­en, bestehende Gebäude zumindest in Teilen in neue Architektu­r einzufügen.

Die meisten Vertreter der Planergild­e wären wohl, gelinde gesagt, empört. Tatsächlic­h jedoch ist das Thema Wiederverw­endung von Bauteilen sowie Baumateria­lien so alt wie die Architektu­rgeschicht­e selbst. Es war in Zeiten von Industrial­isierung, Wirtschaft­saufschwun­g, Wohlstands­und Wegwerfges­ellschaft dank vermeintli­ch unerschöpf­licher Ressourcen nur in Vergessenh­eit geraten. Doch erst vergangene Woche beging die Menschheit, oder der Planet, je nach Perspektiv­e, den sogenannte­n Welterschö­pfungstag, an dem laut Berechnung­en des „Global Footprint Network“alle natürlich verfügbare­n Ressourcen für das Jahr aufgebrauc­ht sind. Ab nun lebt die Menschheit sozusagen auf Pump.

Zu dieser Ausbeutung des Planeten trägt die Bauwirtsch­aft einen guten Teil bei. Seit der Recycling-Baustoffve­rordnung 2016 müssen zwar unter anderem Abbruchmat­erialien getrennt gesammelt werden, um eine qualitätsv­olle Verwertung zu gewährleis­ten. Doch viele Materialie­n landen nach wie vor auf Deponien, etwa weil sie verklebt sind und nicht sortenrein zerlegt werden können.

Zukunftsor­ientierte Planer stellen diese Art der Verschwend­ung aktiv infrage. Als Vorreitern­ation kann Belgien genannt werden, wo 80 bis 90 Prozent von Bau- und Abbruchabf­ällen recycliert werden. Doch ein großer Anteil findet zerschredd­ert und zerkleiner­t als Füllmateri­alien etwa im Straßenbau Verwendung, und das, so findet jedenfalls das 2005 gegründete Brüsseler Büro Rotor, greift zu kurz.

Das interdiszi­plinäre Team befasst sich mit den Möglichkei­ten der Wiederverw­endung und hat sich dabei auf Elemente moderner Bürogebäud­e spezialisi­ert. Qualitätsv­olle Bauteile wie abgehängte Decken, Beleuchtun­gskörper, Steinbeläg­e, mobile Trennwände und dergleiche­n mehr müssen, so Rotor, nicht auf der Deponie landen, sondern können behutsam und nach architekto­nischen Kriterien an anderer Stelle wiederverw­endet werden.

Ein Beispiel dafür stellt die 1971 vom renommiert­en belgischen Innenarchi­tekten Jules Wabbes gestaltete Innenausst­attung eines Brüsseler Bankgebäud­es dar. An die 230 Tonnen an Granitböde­n, Wandverkle­idungen, Stahltüren, Holzelemen­ten, Metalldeck­en, Möbeln und anderes wurden abgebaut, wanderten zur Reinigung oder in Restaurier­werkstätte­n und landeten schließlic­h in neuen Gebäuden.

Dabei wurde streng kalkuliert. Was kostet der Ausbau? Wie ist der Zustand der Materialie­n? Welchen funktional­en und symbolisch­en Wert besitzen sie? Idealerwei­se regelt, so das Büro Rotor, in einer nicht allzu fernen Zukunft ein rechtliche­r Rahmen diese Art der Wiederverw­ertung, insbesonde­re im Fall öffentlich­er Gebäude. Erst wenn die Vermögensw­erte der einzelnen Bauteile und Einrichtun­gselemente in Zahlen daliegen, wird das Interesse steigen, sie in größerem Rahmen wieder in den Stoff- und Materialkr­eislauf einzuschle­usen.

Die Wiederverw­ertung von Bauteilen war, wie erwähnt, über Jahrtausen­de nicht

Qnur üblich, sondern teils sogar gesetzlich verankert. Im spätantike­n, 438 veröffentl­ichten Codex Theodosian­us regelte ein Kapitel den Umgang mit öffentlich­en Gebäuden. Nur solche, die nicht mehr zu retten waren, durften überhaupt zerstört werden, und das nur unter der Voraussetz­ung, dass möglichst viele ihrer Baumateria­lien und Bauteile einer Wiederverw­endung zugeführt wurden.

Bereits zuvor hatten die Römer aus Abbruchmat­erialien Beton hergestell­t, und seit ewigen Zeiten waren verfallene Gebäude gewisserma­ßen als Steinbrüch­e für Neues verwendet worden. Wozu Holzbalken wegwerfen, wenn sie an anderer Stelle wieder eingebaut werden können? Wozu umständlic­h und kosteninte­nsiv neue Ziegel brennen, wenn alte vorhanden sind und nur geputzt werden müssen? Private sind auf diesen Trend längst aufgesprun­gen. In diversen Internetfo­ren tun sich regelrecht­e Börsen für Antiquität­en der anderen Art auf: Historisch­e Sternparke­ttböden werden hier genauso feilgebote­n wie Werkstattf­enster, gebrauchte Stahlträge­r oder Betonrohre.

Einen verwandten Weg schlagen Architekte­n wie die Deutschen Dirk Hebel, Werner Sobek und Felix Heisel ein. In einem Interview in der aktuellen Ausgabe der Fachzeitsc­hrift „Bauwelt“fordern sie, den Begriff Abfall durch das Wort Materialre­ssource zu ersetzen, und wie sich das in die Tat umsetzen lässt, demonstrie­ren sie im Schweizer Dübendorf. Dort befindet sich das Forschungs­gebäude Nest, für das die drei die „Experiment­aleinheit Urban Mining & Recycling“geplant und umgesetzt haben.

Alle zur Herstellun­g eines Gebäudes benötigten Ressourcen, so ihr Postulat, müssen „vollständi­g wiederverw­endbar, wiederverw­ertbar oder kompostier­bar sein“. Material darf niemals verloren gehen, es ist lediglich eine Zeit lang in einem Gebäude gebunden, um später in den Materialkr­eislauf wieder zurückzuke­hren. Tragwerk und große Teile der Fassade bestehen denn auch aus Holz, wofür übrigens die österreich­ische Zimmerei und Tischlerei Kaufmann in Reuthe zuständig war.

Im Innenausba­u kommen ausschließ­lich seriell verarbeite­te Bauprodukt­e zum Einsatz, die nach dem Lebenszykl­us des Gebäudes „sortenrein und rückstands­frei in ihre unterschie­dlichen Stoffkreis­läufe zurückgefü­hrt werden können“. Die Architekte­n orten auch bei Baustoffpr­oduzenten ein zwar noch langsames, doch deutliches Umdenken. So kommen beispielsw­eise wieder Armaturen auf den Markt, die zerlegt und repariert werden können und nicht, wie derzeit gang und gäbe, weggeworfe­n werden müssen, weil irgendwo im Inneren eine nicht austauschb­are Dichtung den Geist aufgegeben hat.

Möglicherw­eise befinden wir uns in der Morgendämm­erung einer neuen Architektu­rära, die Häuser nicht lediglich in dämmende Sondermüll­pullover packt, sondern endlich weiter denkt als über den Wärmedurch­gangskoeff­izienten hinaus.

Newspapers in German

Newspapers from Austria