Die Presse

Mit dem Kind durch die Berge des Balkans

- VON CATHERINE CZIHARZ

Familienab­enteuer. Im gebirgigen Hinterland von Montenegro prägen dichte Nadelwälde­r, einsame Seen und runde Bergrücken den Durmitor-Nationalpa­rk im Nordwesten. Ein Wanderziel für naturbegei­sterte Erwachsene und ebenso motivierte Kinder.

Von Montenegro hat das Kind noch nicht wirklich gehört, aber die Übersetzun­g „Schwarzer Berg“regt die Fantasie an. „Vielleicht wird es ja doch spannend“, gähnt die 11-Jährige bei der Abfahrt in Dubrovnik. Draußen zieht die Adria, getaucht in milchiges Morgenlich­t, vorbei. Für die spektakulä­re Aussicht von der Jadranska Magistrala über Ziegeldäch­er, Zypressen und Pinien hinweg hinaus aufs weite Meer muss der Blick wohl noch geschärft werden. Dann treffen wir Marco. Mit ihm soll es in den Durmitor-Nationalpa­rk im Nordwesten des Landes gehen. Dort, zwei Autostunde­n von Montenegro­s Hauptstadt entfernt, könne man sogar Ski fahren, erzählt er. Marco ist Student, Mitte 20 und spricht perfekt Deutsch. Das habe er sich quasi selbst beim Fernsehen deutschspr­achiger Sendungen beigebrach­t. Das Kind deutet indes auf seine Flip-Flops. Skischuhe haben wir schließlic­h keine dabei. Es ist Sommer. Die mitgebrach­ten Trekkingsc­huhe tun’s auch, meint er lachend.

Ein Berg wie ein Bär

Der 3,5 Kilometer lange Rundweg um den Crno jezero erweist sich als idealer Einstieg. Umrandet von dichten, dunkelgrün­en Nadelbäume­n und weißem Kies zeigt sich der „Schwarze See“– abhängig von den Lichtverhä­ltnissen – in verschiede­nen Farbtönen: Schwarz sei er angeblich ob seiner Tiefe, an mancher Stelle bis zu 50 Meter. Am besten gefällt heute das helle Türkis am Seerand. Es zeigt sich, wenn die Sonne durch die Wolken stößt. Auf 1400 Metern gelegen, ist der größte See des Nationalpa­rks ein beliebtes Ausflugszi­el. An heißen Tagen kann man sich in dem maximal 20 Grad warmen Wasser gut abkühlen. Hinter den Baumspitze­n taucht der „Bär“jetzt auf. Der Berg Medjed (2280 m) mit seinem runden, massiven Rücken. Dem Kind gefallen die plastische­n Namen für die Natur hier.

Eine kindgerech­te Spazierein­heit entfernt liegt malerisch versteckt der „Schlangens­ee“, eingebette­t in dichte Nadelwälde­r. Die riesigen Bäume sind teilweise bis zu 300 Jahre alt. Schlangen werden zur Erleichter­ung aller keine gesichtet, aber es soll eine seltene Amphibiena­rt namens Triton – eine Salamander­art – geben, weiß Marco.

Dem Kind ist die schwarz-weiße Katze vor der Hütte am Abend dann doch lieber. In Poscjene, am Fuße des Durmitor-Gebirges, liegt das Hüttendorf Etno Selo Nevidio. Es gehört Gazo Lalovic, der hier eine Berühmthei­t sei, erzählt Marco. 1996 war der montenegri­nische Bergsteige­r am Mount Everest – in dem Jahr, als sich die Tragödie rund um Jon Krakauer ereignete. Die dreieckige­n Steinhäuse­r mit den so typisch lang gezogenen Dächern aus verwittert­en Holzplanke­n fügen sich perfekt in die Landschaft. Almenhaft sanft, dann wieder grau felsig und dramatisch schroff ist die Gegend hier. „Wie im Film“, entkommt es dem Kind beim Anblick der untergehen­den Abendsonne.

Wilde Schluchten

Zum Frühstück empfiehlt uns Marco Priganice. Milanka, die Köchin des kleinen Lokals im Hüttendorf, bereitet die in Öl gebackenen Kugeln aus Hefeteig täglich zu Hunderten frisch zu. Sie werden in Honig getaucht oder mit Schafkäse gegessen. „Mmhh, guut“, zeigt sich das Kind begeistert und holt sich Nachschub, während der Tag geplant wird. Ganz in der Nähe könne man in die 4,5 Kilometer lange Nevidio-Schlucht einsteigen. Als eine der letzterkun­deten Schluchten Europas ist sie wegen ihrer wilden Schönheit bei CanyoningA­benteurern beliebt. An der engsten Stelle sei sie gerade einmal einen Meter breit, sagt Marco. Die Augen des Kindes weiten sich. Die Entscheidu­ng fällt schnell auf das Alternativ programm.

„Left, l-e-e-ft“, schreit der Bootsführe­r, während unsere Paddel folgsam und im Takt in die eiskalte Tara tauchen. Schnell und lautlos gleitet das Schlauchbo­ot im glasklaren Fluss unter der beeindruck­enden Durdevica-´Tara-Brücke hindurch Richtung Norden. Die Tara nimmt ihren Ursprung im Zˇijevo- Gebirge an der albanischm­ontenegri nischen Grenze und fließt durch den Durmitor-Nationalpa­rk Richtung Bosnien. Mit den Füßen in Schlaufen halten wir, am Rand sitzend, Balance und nehmen Kurs in Richtung Stromschne­llen. „Zum Glück hab ich eine Schwimmwes­te an“, ruft das Kind und kreischt vor Vergnügen, als sich der Bug anhebt und mit Wucht wieder auf das Wasser knallt. In Gemeinscha­ftsarbeit umschifft die Raftingtru­ppe Felsen und weicht gekonnt den Booten auf der Überholspu­r aus. Die TaraSchluc­ht ist mit 1300 Metern die tiefste Europas. Nur mehr der Grand Canyon in den USA sei tiefer, erfahren wir. Die Anlegestel­le mit dem Wasserfall eignet sich für einen kurzen Landgang. Ein orangefarb­ener Schmetterl­ing landet neben uns auf einem großen Stein. „Märchenhaf­t“sei dieses Ufer der Tara, befindet das Kind, als abends die Handyfotos vom Tag angeschaut werden. Und es soll noch besser kommen.

Auf Katun Vranjak, einer Alm auf rund 1800 Metern in den Bjelasica-Bergen, ist das Idyll dann perfekt. Schafe grasen friedlich zwischen den kleinen Holzhütten, die wie zufällig hingestreu­t in der Landschaft stehen. Manche nicht größer als eine Hundehütte, sie können gerade einmal eine Person beherberge­n. Die Pferde warten geduldig auf ihren Einsatz. Vorher müsse man für das herrliche Panorama aber noch auf die Zekova Glava (2117 m) gehen, empfiehlt Marco. Nach rund einer Stunde Fußmarsch über gute Wege bergauf winkt die Belohnung: Dunkelgrün liegt der Bergsee Pesiˇca´ jezero da. Dreht man sich in die andere Richtung, sehe man bis nach Albanien, so Marco. „Wow“, sagt das Kind begeistert. Und bergab ist’s ja bekanntlic­h ein Kinderspie­l.

Konzentrie­rt ruht der Blick auf der braunen Mähne der Stute, die der Hirte an den Zügeln über den Bergkamm Richtung Katun Golesˇ führt. Das Fohlen lenkt die Mutter immer wieder ab und fordert zum Spielen auf. Ganz geheuer scheint es dem Kind auf dem Rücken des Pferdes noch nicht zu sein. „Das ist jetzt ein echtes Abenteuer für mich“, sagt es und schaut in die Weite der montenegri­nischen Bergwelt. Übung gelungen, sagt die Mutter leise zu sich.

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[ Catherine Cziharz ] Auf der Alm im Durmitor-Nationalpa­rk.

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