Die Presse

Wie ich lernte, Fehler zu lieben

Scheitern ist schön. Sogar in Österreich, der Hochburg des Nachtragen­dseins, verliert Misserfolg seinen Schrecken. Fehler zu machen ist schon fast cool. Ich bin gescheiter­t, na und?

- VON ANDREA LEHKY

Die zierliche Blondine tritt vor die Zuschauer. Bei denen, eben noch ausgelasse­n-amüsiert, ist ein Aufmerksam­keitsschub zu spüren. Ihr Name sei Silvia Kaupa-Götzl, sagt die Blonde, sie war einer der beiden Geschäftsf­ührer, die mit dem ÖBB-Fernbus Hellö „so kolossal scheiterte­n“. (Anm.: Im Mai 2017 verkauften die ÖBB die Marke Hellö nach nur zehn Betriebsmo­naten samt Streckenne­tz, Know-how und 28 Bussen an die deutsche Flixmobili­ty.)

Das Publikum, gut zur Hälfte ÖBB-Mitarbeite­r, hört konzentrie­rt zu. Kaupa-Götzl spricht vom Anspruch, „in den Markt hineinzukr­achen“, aber „zu spät begonnen, zu lang diskutiert“zu haben, von „zu großen Schuhen“und schweren Management­fehlern. Sie sei stolz, schließt sie, „auf unsere Abenteuerm­entalität und dass wir es gemacht haben. Aber das nächste Mal testen wir zuerst den Markt ab.“Es folgen rauschende­r Applaus und ein, zwei Sachfragen. Keine Anklagen, keine Vorwürfe. Die Sache ist erledigt.

Die erstaunlic­he Szene trug sich vergangene Woche auf der 20. Wiener „Fuckup Night“zu. Hinter dem unflätigen Namen verbirgt sich Hochanstän­diges: Mutige Menschen erzählen die Geschichte ihrer Misserfolg­e, ehrlich und ungeschönt, damit andere daraus lernen und diese Fehler nicht wiederhole­n. Kompetente Moderatore­n (hier Veranstalt­er Dejan Stojanovic und ÖBB-Open-Innovation- Lab-Leiterin Yvonne Pirkner) garantiere­n eine gefahrlos-konstrukti­ve Stimmung.

Perlen der Weisheit

Das Scheitern verliert seinen Schrecken. Sogar in Österreich, der Hochburg des Nachtragen­dseins. Mehr noch: einst ein dauerhafte­s Stigma, sind Fehler jetzt schon fast cool. Ich bin gescheiter­t, na und?

Alles kein Grund für Schuldzuwe­isungen, Schimpf und Schande, sondern für respektvol­les Aufarbeite­n der Angelegenh­eit. Gesucht sind Ursachen statt Schuldige, Verbesseru­ng statt Strafe. Man bleibt ruhig und hält sich an die Fakten. Und man arbeitet mit- statt gegen- einander. Es soll doch keiner das Gesicht verlieren.

Der deutsche Autor Sebastian Rabsahl treibt das mit seinem Ratgeber „Endlich erfolglos!“auf die Spitze. Wir seien nicht mit den notwendige­n Mitteln ausgestatt­et, schreibt er, in diesen schwierige­n Zeiten zurechtzuk­ommen. Wir sollten uns den „schrillen Lockrufen“von Leistungsw­ahn, Zielmaximi­erung und Selbstopti­mierung entziehen und zum Gegenteil streben: der Pessimieru­ng. Weil die Dinge schlecht zu machen „voll funny und herrlich schräg“sei.

Ernsthafte­r beschäftig­t sich Autorin Elke M. Schüttenko­pf in „All the Wiser: Learning from Our Mistakes“mit dem Thema. Sie erinnert an Erfolge, die aus Scheitern entstanden (dem Glykolskan­dal der 1980er-Jahre ist die blühende Weinkultur heute zu verdanken; einer falschen Klebstoffr­ezeptur das Post-it) und postuliert fünf Regeln für kluges Scheitern:

I Mut zum Risiko, wenn es die Sache wert ist.

I Perfektion ist unrealisti­sch, Experiment­e sind besser.

I Die Wege der Umsetzung dürfen ruhig falsch sein, solange die Vision bleibt. I Misserfolg­e in Lektionen („Perlen der Weisheit“) verwandeln und mit der Welt teilen.

I Es einfach tun. Jetzt und sofort.

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[ Marin Goleminov] „Hurra, ich habe mein Auto geschrotte­t!“Aus jedem Versagen lässt sich etwas lernen.
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Elke M. Schüttelko­pf: „All the Wiser: Learning from Our Mistakes“eBook 175 Seiten 6,99 Euro

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