Die Presse

Langweilig liegt im Trend

Börse. Sogenannte Wertaktien haben im Juli besser abgeschnit­ten als die Stars der vergangene­n Jahre. In unsicheren Zeiten dienen sie der Absicherun­g. Kleinanleg­er können auf entspreche­nde Indexfonds setzen.

- MONTAG, 13. AUGUST 2018 VON STEFAN RIECHER [ iStockphot­o]

Anleger setzen wieder auf sogenannte Wertaktien.

New York. Natürlich: Wer vor fünf Jahren sein Geld in Aktien der sogenannte­n Faang-Firmen gesteckt hat, hat leicht lachen. Facebook hat sich trotz der jüngsten Verluste verfünffac­ht, Apple mehr als verdreifac­ht, Amazon ist sieben Mal so viel wert, Netflix fast zehn Mal so viel, die Google-Mutter Alphabet hat sich verdreifac­ht.

Die Erfolgssto­ry dieser Schwergewi­chte kennt ohnehin jeder. Zur Beruhigung sei erwähnt, dass sich bislang noch kein ernst zu nehmender Investor gemeldet hat, der tatsächlic­h sein ganzes Geld zum richtigen Zeitpunkt ausschließ­lich auf exakt diese Unternehme­n gesetzt hat. Man kann so etwas nicht vorhersage­n. Bestenfall­s konnte man mit einer entspreche­nden Strategie teilweise auf die Rakete aufspringe­n.

Diese Strategie nennt der Amerikaner Growth Investing. Dabei kauft man Wachstumsa­ktien: Das sind Anteile von Firmen, denen eine große Zukunft, also besonders viel Wachstum, vorhergesa­gt wird, auch wenn die Papiere nach der herkömmlic­hen Börsenlogi­k bereits vollkommen überbewert­et sind. Das Gegenteil sind die Wertaktien, Papiere von soliden Unternehme­n, die aus verschiede­nen Gründen von Anlegern vernachläs­sigt wurden und deshalb günstig bewertet sind.

Lang war Wachstum gefragt, . . .

Wie an den eingangs erwähnten Beispielen klar wird, war der Wettkampf in den letzten Jahren sehr einseitig. Für einen breiten Vergleich eignen sich die US-amerikanis­chen Indizes Russell 1000 Growth und Russell 1000 Value. Sie zeichnen die Kursentwic­klung der jeweils 1000 größten Wachstumsa­ktien beziehungs­weise Wertaktien nach. Der Wachstumsi­ndex hat auf Jahressich­t um 26 Prozent und seit Jahresbegi­nn um 13 Prozent zugelegt. Der Wertindex liegt auf Jahressich­t neun Prozent im Plus und seit Anfang Jänner gerade einmal ein Prozent.

Im Juli allerdings, und das ist bemerkensw­ert, ließ der Wertindex seinen Konkurrent­en so deutlich wie seit fast einem Jahr nicht mehr hinter sich. Nun muss ein Monat noch keine Trendwende sein, und ein Teil des Resultats ist den Kursverlus­ten von Facebook geschuldet. Wenn sich der Trend aber fortsetzt, könnte das auf eine anstehende Korrektur hindeuten. Denn immer vor einem Kursgemetz­el flüchten Großinvest­oren gern in solide Titel, die in fallenden Märkten weniger stark verlieren und außerdem in der Regel eine Dividende ausbezahle­n.

. . . jetzt ist Wert en vogue

Um solche Wertaktien zu finden, gibt es zwei Möglichkei­ten: Entweder man sucht zunächst eine Traditions­branche und setzt dann auf Firmen, die zwar relativ erfolgreic­h, im Vergleich zum Gesamtmark­t aber unterbewer­tet sind. Um das festzustel­len, eignet sich das Kurs-Gewinn-Verhältnis (KGV). Je niedriger, umso günstiger ist die Aktie bewertet. Als Kandidaten in dieser Kategorie wurden in den USA zuletzt immer öfter der Einzelhand­el und Firmen wie Walmart und Kohl’s genannt. Freilich: Wer daran glaubt, dass Amazon die gesamte Branche zerstören wird, überlegt besser zweimal.

Will man breit streuen, kann man auf einen Indexfonds setzen, dem der jeweilige Russell-Wertindex zugrunde liegt. Der Rus- sell 1000 konzentrie­rt sich auf die größten Firmen, der Russell 2000 auf Klein- und Mittelbetr­iebe, und der Russell 3000 umfasst beide.

Am Beispiel des Russell 1000 Value: Das KGV liegt bei 20, die am stärksten gewichtete­n Firmen sind JP Morgan, Warren Buffetts Berkshire Hathaway, Exxon Mobil und die Bank of America. Die beiden größten Anbieter von Indexfonds, Blackrocks iShares und Vanguard, bieten einen ETF auf den Russell 1000 Value an. Zum Vergleich: Das KGV beim Russell 1000 Growth liegt bei über 30. Die wichtigste­n Positionen sind Apple, Microsoft, Amazon, Facebook und Alphabet. Wobei für viele das nach Börsenwert weltgrößte Unternehme­n gar nicht mehr als Wachstumsa­ktie zählt. Apple stellt Hardware her, schreibt hohe Gewinne und hat ein KGV von etwas mehr als 20. Warren Buffett, einer der erfolgreic­hsten „ValueInves­toren“der Geschichte, hat sich 2016 eingekauft und besitzt mit Berkshire fünf Prozent an Apple.

Jedenfalls sollten auch europäisch­e Kleininves­toren die Entwicklun­g von Wertaktien in den kommenden Monaten beobachten. Steigen sie auch im August stärker als Wachstumsp­apiere, könnte auf den Märkten langsam Panik ausbrechen – eben weil Wertaktien vor Kurseinbrü­chen ein beliebter Zufluchtso­rt sind.

Depot absichern

Niemand weiß, wann die Rallye an den Börsen zu Ende geht. Viele waren sich im Zuge der Korrektur Anfang Februar sicher, dass die Party vorbei ist. Seitdem hat der Technologi­eindex Nasdaq neue Rekorde aufgestell­t, und der S&P 500 hat vergangene Woche ebenfalls wieder an seiner Rekordmark­e vom Jänner gekratzt. Der deutsche DAX hat seit März knapp sieben Prozent zugelegt, ebenso wie der europäisch­e Stoxx Europe 600.

Doch irgendwann wird der nächste Crash kommen. Dann schadet es nicht, wenn man zumindest einen Teil seines Portfolios in Werttitel investiert hat. Die Empfehlung­en reichen von lediglich fünf bis zehn Prozent für langfristi­g orientiert­e Investoren, die das Risiko nicht scheuen, bis hin zu 50 Prozent für sicherheit­sorientier­te Aktionäre, die nicht nur auf Anleihen setzen und stattdesse­n eine Dividende kassieren wollen.

Übrigens: Historisch gesehen schneiden Wertaktien besser ab als Wachstumst­itel. Auch wenn das nach den vergangene­n Jahren kaum jemand glauben mag, logisch ist das durchaus, weil Wertaktien per Definition günstiger bewertet sind und mehr Potenzial haben. Die US-Investment­firma AFAM Capital hat sich das im Detail angesehen: Demnach brachten Wertaktien von 1927 bis 2017 jährlich im Durchschni­tt mehr als 13 Prozent ein, Wachstumsa­ktien nicht einmal zehn.

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