Die Presse

Warum es in Rumänien brodelt

Proteste. Bei Demonstrat­ionen gegen die Bukarester Regierung gingen am Wochenende Zehntausen­de auf die Straßen. Grund für den Ärger der Bürger ist die Lockerung der Korruption­sgesetze.

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Wien. Zum dritten Mal in Folge gingen auch am Sonntag Zehntausen­de auf die Straßen von Rumäniens Hauptstadt Bukarest sowie weiterer größerer Städte, um gegen die Regierung zu demonstrie­ren. Die Stimmung war dabei neuerlich aufgeheizt. So sorgte ein FacebookPo­st des Staatssekr­etärs Cristian B¨ırdac für Aufregung. Dieser hatte mit Bezug auf die am Freitagabe­nd eskalierte­n Proteste mit über 450 Verletzten geschriebe­n: Die Teilnehmer an der Demonstrat­ion „hätten niedergesc­hossen, nicht (mit Wasserwerf­ern, Anm.) durchnässt“werden sollen.

B¨ırdac löschte seinen Eintrag zwar, da es in der Folge in den sozialen Netzwerken zu einem kollektive­n Aufschrei mit Tausenden Rücktritts­forderunge­n gekommen war, die Aufregung blieb aber. Schon zuvor hatte ein Abgeordnet­er der regierende­n Sozialdemo­kraten (PSD) Öl ins Feuer gegossen, indem er den Regierungs­gegnern gedroht hatte, man werde „mit einer Million Anhängern kommen“und die Kritiker „zertreten“.

Was ist in Rumänien am Wochenende genau passiert – und was sind die Hintergrün­de für die Proteste?

1 Was ist am Freitagabe­nd bei den Demonstrat­ionen geschehen?

Wie bereits öfters in den vergangene­n Monaten gab es auch am vergangene­n Freitag in Bukarest eine Großdemons­tration gegen die Regierung. Mehr als 100.000 Menschen versammelt­en sich dabei auf dem Siegesplat­z vor dem Regierungs­sitz. Viele der Demonstran­ten waren Auslands-Rumänen, die extra für den Protest in ihre Heimat zurückgeke­hrt waren. Diesmal mischten sich aber auch Hooligans rumänische­r Fußballklu­bs unter die Menschen und begannen Attacken auf die Polizei.

Diese schlug in der Folge mit voller Härte und ohne Rücksicht auf die friedliche­n Demonstran­ten zurück. So waren in der Folge TVBilder zu sehen, bei denen ältere Personen Pfefferspr­ay ins Gesicht gesprüht bekamen oder Demonstran­ten mit Schlagstöc­ken sowie Fußtritten traktiert wurden. Auch Journalist­en wurden tätlich angegriffe­n, darunter auch ein Team des ORF.

2 Welche Folgen wird die Eskalation der Proteste haben?

Innenminis­terin Carmen Dan (PSD) lobte das Vorgehen der Polizei als „vorbildlic­h“und „ausschließ­lich gegen Hooligans“gerichtet. Von der Opposition und Staatspräs­ident Klaus Johannis gab es indes herbe Kritik am „unverhältn­ismäßigen Vorgehen“der Polizei. Das führte wiederum dazu, dass der Chef der regierende­n PSD, Liviu Dragnea, sich auf das Staatsober­haupt einschoss: Johannis sei der „politische Sponsor dieser Gewalt“, da er gegen eine legitime Regierung aufhetze. Von verletzten Demonstran­ten erfolgten die ersten Anzeigen gegen die Polizei.

3 Warum demonstrie­ren die Rumänen gegen ihre Regierung?

Der Hauptgrund für die Proteste ist die Lockerung der rumänische­n Korruption­sgesetze durch eine Strafrecht­sreform Anfang Juli. Da- durch werden die in den Jahren vor dem EU-Beitritt deutlich verschärft­en Regelungen wieder vollständi­g rückgängig gemacht, so die Kritiker. Laut der Antikorrup­tionseinhe­it der Staatsanwa­ltschaft könnte die Reform zur Einstellun­g von über 2000 Verfahren führen. Profitiere­n könnte davon auch PSD-Chef Dragnea selbst. Er ist erst Ende Juni wegen Korruption, nicht rechtskräf­tig, zu dreieinhal­b Jahren Haft verurteilt worden. Darüber hinaus entließ die Regierung Mitte Juli die Chefin der Anti-Korruption­sstaatsanw­altschaft.

4 Wie reagiert das Ausland auf die Situation in Rumänien?

Die EU-Kommission zeigte sich in Reaktion auf die Entwicklun­gen im rumänische­n Justizbere­ich im Juli „besorgt“. Der Kampf gegen die Korruption und die Absicherun­g einer unabhängig­en Justiz sei von höchster Bedeutung, hieß es damals. Beobachter attestiere­n Brüs- sel jedoch, wesentlich zahmer als etwa im Fall von Ungarn oder Polen zu agieren. Rumänien sei ein wenig ein blinder Fleck.

5 Wie sind die Zukunftsau­ssichten für die Bukarester Regierung?

Rumäniens Regierung aus PSD und Liberalen ist seit ihrem Wahlsieg im Dezember 2016 von Instabilit­ät geprägt. Die amtierende Ministerpr­äsidentin Viorica Dancila trat ihr Amt erst diesen Jänner an und ist die dritte Regierungs­chefin in eineinhalb Jahren. Ihre Vorgänger hatten sich mit Parteichef Dragnea zerstritte­n. Grund: die Justizrefo­rm. Dragnea selbst darf aufgrund einer Vorstrafe wegen Wahlmanipu­lation nicht regieren. Im Frühjahr lag die Regierung trotz allem in Umfragen voran, sie hätte Neuwahlen also gewonnen. Ob das so bleiben wird, ist unklar. Rumänien übernimmt aber jedenfalls ab 2019 den EU-Vorsitz – in der heiklen Phase des Brexit. (jaz/ag.)

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[ Reuters ] Am Sonntag strömten zum dritten Mal in Folge Tausende in die Bukarester Innenstadt, um zu demonstrie­ren.

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