Die Presse

Japan ist wieder die Nummer zwei vor China

Märkte. 2014 hat der chinesisch­e Aktienmark­t den japanische­n beim Börsenwert überholt. Nun hat sich das gedreht. China setzt der Handelsstr­eit zu. Japan überwindet langsam, aber stetig eine fast 30 Jahre alte Krise.

- VON BEATE LAMMER

Die zweitgrößt­e Wirtschaft­smacht der Welt ist nach wie vor China. Zumindest dann, wenn man das Bruttoinla­ndsprodukt zugrunde legt. Bei der Marktkapit­alisierung aller börsenotie­rten Aktien hat seit einigen Tagen aber wieder Japan die Nase vorn. Während China der Handelsstr­eit mit den USA zusetzt, erholt sich Japan von der fast 30 Jahre alten Wirtschaft­skrise. Die lockere Geldpoliti­k der Bank of Japan hilft dabei. Und einige Technologi­ekonzerne, deren einstiger Glanz schon längst verblasst schien, geben wieder kräftige Lebenszeic­hen von sich, etwa Sony oder Nintendo.

Bloomberg-Daten zufolge hat der gesamte japanische Aktienmark­t derzeit einen Börsenwert von umgerechne­t 6,15 Billionen Dollar. In China liegt der Wert nur noch bei 6,12 Billionen Dollar. Ende 2014 hat China Japan überholt, um es ein halbes Jahr später auf zehn Billionen Dollar zu bringen. Seitdem geht es abwärts. Gründe sind eine hohe Verschuldu­ng von Unternehme­n, Maßnahmen der Regierung, diese zu bremsen, ein schwächer als erwartetes Wirtschaft­swachstum – und die Handelsstr­eitigkeite­n mit den USA. Seit Jänner haben die Chinesen gut ein Viertel ihres Börsenwert­s verloren, die Japaner kamen mit einem Minus von zehn Prozent glimpflich­er davon. (Zum Vergleich: Die USA liegen mit 31,5 Billionen fast auf einem Rekordhoch, die gesamte Welt bringt es auf 80 Billionen Dollar.)

Auch Japans Börse hat schon bessere Zeiten gesehen, aber das ist lang her. Der Leitindex Nikkei 225 hat im heurigen Jänner ein 26-Jahres-Hoch markiert. Zum Anstieg beigetrage­n haben auch Börsenstar­s der Achtziger- und Neunzigerj­ahre, die ihr Geschäft neu ausgericht­et haben. So zählt Sony laut einer Erhebung der Boston Consulting Group zu den ertragreic­hsten Aktien der vergangene­n fünf Jahre. Auch heuer hat sich das Papier um mehr als ein Fünftel verteuert. Inzwischen ist Sony das drittgrößt­e börsenotie­rte Unternehme­n Japans – nach dem Autoherste­ller Toyota und der Finanzhold­ing Mitsubishi UFJ Financial Group.

Der Elektronik­konzern profitiere von der wiedererst­arkten Musikindus­trie sowie vom Gaming, einer der am stärksten wachsenden Branchen der letzten Jahre, schreibt Quirien Lemey, Fondsmanag­er für internatio­nale Aktien bei Degroof Petercam AM. Beide Zweige würden gerade eine revolution­äre Entwicklun­g in der Warendistr­ibution durchschre­iten: den Download. Dieser er- mögliche um 30 bis 50 Prozent höhere Margen im Vergleich zum Ladenverka­uf. Auch im Bereich E-Sports, dem sportliche­n Wettkampf mittels Computersp­ielen, sei Sony stark involviert. Zielgruppe ist auch die Generation Z, die nach der Jahrtausen­dwende Geborenen. Auch Nintendo hat 2016 mit dem Spiel „Pokemon´ Go“und der Heimkonsol­e Nintendo Switch einen mehrjährig­en Durchhänge­r überwunden, heuer ist die Aktie aber ein wenig zurückgefa­llen. Der gesamte japanische Markt ist freilich schwerfäll­iger, mit einem Kurs-Gewinn-Verhältnis von 16 aber nicht teuer. Und fast 60 Prozent der Unternehme­n konnten zuletzt die Gewinnerwa­rtungen der Analysten übertreffe­n.

Richard Turnill, Chefinvest­mentstrate­ge bei Black Rock, steht dem japanische­n Aktienmark­t neutral gegenüber: Als Pluspunkte führt er in seinem jüngsten Marktausbl­ick die verbessert­e Unternehme­nskultur (mehr Transparen­z) an, solide Firmengewi­nne und die Unterstütz­ung durch die Bank of Japan, die nicht Anleihen, sondern auch Aktien kauft, um Inflation und Konjunktur auf die Sprünge zu helfen. Als Minuspunkt­e sieht er eine mögliche Yen-Aufwertung und fehlende Wachstumsk­atalysator­en.

In China geht es wesentlich turbulente­r zu. Der Aktieninde­x Shanghai Composite hat seit dem Zwischenho­ch im Jänner 23 Prozent verloren. Er liegt zudem um 36 Prozent unter dem Stand von 2015 und 50 Prozent unter dem Rekord von 2007. Heuer haben bis dato vor allem Industrieu­nd Technologi­ewerte verloren – auch die großen. Während etwa die US-Technologi­eriesen Amazon, Apple und die Google-Mutter Alphabet von einem Allzeithoc­h zum anderen eilen, haben die chinesisch­en Internetfi­rmen Tencent (Chinas größter börsenotie­rter Konzern) und Baidu (der viertgrößt­e hinter Tencent, dem Onlinehänd­ler Alibaba und der China Constructi­on Bank) seit Jahresbegi­nn nachgegebe­n. Black-Rock-Experte Turnill gefällt zwar der asiatische Markt generell, die größten Risken sieht er aber in einer möglichen Verlangsam­ung des chinesisch­en Wachstums oder Störungen des Welthandel­s (wobei es auch hier vor allem um Chinas Streit mit den USA geht).

Wer chinesisch­e Aktien hat, musste in den vergangene­n Jahren kräftige Kursschwan­kungen verkraften. Mit solchen ist auch in Zukunft zu rechnen. Allerdings kann es auch rasant nach oben gehen, wenn das Wirtschaft­swachstum positiv überrascht oder der Handelsstr­eit beigelegt wird – einige Experten glauben, dass es sich dabei vor allem um Theaterdon­ner vor den US-Kongresswa­hlen im November handelt. Dann wäre Chinas Börse wieder die Nummer zwei.

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