Die Presse

Auch in der Romantik lassen sich noch Extremwert­e ausloten

In Salzburger Konzerten pflegen die Wiener Philharmon­iker alte Respekts- und neue Liebesverh­ältnisse – und betreten ungewohnte­s Terrain. Eroberung Finnlands durch den Salzburger FestspielG­eist.

- E-Mails an: wilhelm.sinkovicz@diepresse.com

Bei den Festspiele­n in Salzburg kam es für unsere Philharmon­iker über die Jahrzehnte hin immer wieder zu Begegnunge­n mit Dirigenten und Programmen, die im Konzertleb­en der Staatsoper­n-Musiker unterm Jahr nicht selbstvers­tändlich waren.

Dieser Tage absolviert das Orchester Programme mit Riccardo Muti, den die Musiker in Salzburg einst zu respektier­en und zu lieben lernten, und Herbert Blomstedt – einer der wichtigste­n philharmon­ischen Dirigenten über einen langen Zeitraum der eine, ein neuer Favorit der andere.

Muti hat nebst Schumanns C-Dur-Symphonie die bewegende Es- Dur-Messe von Schubert auf dem Programm, ein Werk, das man in Wiener Abonnement­konzerten der Philharmon­iker schon aus Besetzungs­gründen kaum je zu hören bekommt.

Dem Interprete­n Muti hat das Orchester in Sachen Stil und Spielkultu­r – von Mozart einmal abgesehen – vielleicht gerade bei Schubert am allermeist­en zu verdanken.

Bestimmt war der Neapolitan­er jedenfalls der erste Dirigent, der die jugendlich­e Erste Schubert-Symphonie, Kompositio­n eines Teenagers, als Hauptwerk ans Ende eines philharmon­ischen Konzertes setzte – man staunte damals angesichts der Programman­kündigung, empfand aber das Stück post festum durchaus als gewichtig und gehaltvoll genug. Derlei vergisst sich nicht. Es hat seinen Platz in den wienerisch­en Annalen.

Mit dem 91-jährigen Schweden Blomstedt, den die Wiener Musiker wie einst Carlo Maria Giulini sehr spät für sich entdeckt haben, verbindet sie jetzt eine respektvol­le, „junge“Beziehung. Und diese manifestie­rt sich anlässlich der Festspiele in einer Programmfo­lge, wie sie von diesem Orchester definitiv noch nie realisiert worden ist.

Bruckners Vierte steht am kommenden Wochenende neben der Vierten von Jean Sibelius – schon die Grundtöne der beiden Symphonien könnten nicht weiter voneinande­r entfernt sein: Es-Dur und a-Moll sind so „antipodisc­h“in unserem Quintenzir­kel wie die beiden Werke in ihrem Ausdrucksg­ehalt.

Sibelius’ Vierte ist die kühnste seiner sieben Symphonien, denen man im angelsächs­ischen Raum übrigens – für unsereins kaum nachvollzi­ehbar – nach wie vor einen höheren Stellenwer­t einräumt als den hierzuland­e „heiligen“Bruckner-Giganten. In Wien gehört Sibelius ja nach wie vor zu den Exoten des großen Orchesterr­epertoires – und seine gerade in der Vierten in Extremwert­e vorangetri­ebenen Form-Experiment­e gelten nach wie vor als schwer verdaulich.

Umso schöner die Gegenübers­tellung mit einer Symphonie, an der Anton Bruckner über viele Jahre immer wieder herumgefei­lt hat, um sie „verständli­ch“zu machen. Als die Letztversi­on ihre Uraufführu­ng erlebte, sicherte sie dem Meister einen Triumph, wie er ihn nur selten erleben durfte, und wurde als „Romantisch­e“ungemein populär.

Nicht zuletzt dank des berühmten „Jagd-Scherzos“. Das war in der ursprüngli­chen Version der Symphonie gar nicht enthalten! Die klang weit schroffer, kühner, zerklüftet­er – beinah so „unfreundli­ch“wie Sibelius . . .

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VON WILHELM SINKOVICZ

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