Auch in der Romantik lassen sich noch Extremwerte ausloten
In Salzburger Konzerten pflegen die Wiener Philharmoniker alte Respekts- und neue Liebesverhältnisse – und betreten ungewohntes Terrain. Eroberung Finnlands durch den Salzburger FestspielGeist.
Bei den Festspielen in Salzburg kam es für unsere Philharmoniker über die Jahrzehnte hin immer wieder zu Begegnungen mit Dirigenten und Programmen, die im Konzertleben der Staatsopern-Musiker unterm Jahr nicht selbstverständlich waren.
Dieser Tage absolviert das Orchester Programme mit Riccardo Muti, den die Musiker in Salzburg einst zu respektieren und zu lieben lernten, und Herbert Blomstedt – einer der wichtigsten philharmonischen Dirigenten über einen langen Zeitraum der eine, ein neuer Favorit der andere.
Muti hat nebst Schumanns C-Dur-Symphonie die bewegende Es- Dur-Messe von Schubert auf dem Programm, ein Werk, das man in Wiener Abonnementkonzerten der Philharmoniker schon aus Besetzungsgründen kaum je zu hören bekommt.
Dem Interpreten Muti hat das Orchester in Sachen Stil und Spielkultur – von Mozart einmal abgesehen – vielleicht gerade bei Schubert am allermeisten zu verdanken.
Bestimmt war der Neapolitaner jedenfalls der erste Dirigent, der die jugendliche Erste Schubert-Symphonie, Komposition eines Teenagers, als Hauptwerk ans Ende eines philharmonischen Konzertes setzte – man staunte damals angesichts der Programmankündigung, empfand aber das Stück post festum durchaus als gewichtig und gehaltvoll genug. Derlei vergisst sich nicht. Es hat seinen Platz in den wienerischen Annalen.
Mit dem 91-jährigen Schweden Blomstedt, den die Wiener Musiker wie einst Carlo Maria Giulini sehr spät für sich entdeckt haben, verbindet sie jetzt eine respektvolle, „junge“Beziehung. Und diese manifestiert sich anlässlich der Festspiele in einer Programmfolge, wie sie von diesem Orchester definitiv noch nie realisiert worden ist.
Bruckners Vierte steht am kommenden Wochenende neben der Vierten von Jean Sibelius – schon die Grundtöne der beiden Symphonien könnten nicht weiter voneinander entfernt sein: Es-Dur und a-Moll sind so „antipodisch“in unserem Quintenzirkel wie die beiden Werke in ihrem Ausdrucksgehalt.
Sibelius’ Vierte ist die kühnste seiner sieben Symphonien, denen man im angelsächsischen Raum übrigens – für unsereins kaum nachvollziehbar – nach wie vor einen höheren Stellenwert einräumt als den hierzulande „heiligen“Bruckner-Giganten. In Wien gehört Sibelius ja nach wie vor zu den Exoten des großen Orchesterrepertoires – und seine gerade in der Vierten in Extremwerte vorangetriebenen Form-Experimente gelten nach wie vor als schwer verdaulich.
Umso schöner die Gegenüberstellung mit einer Symphonie, an der Anton Bruckner über viele Jahre immer wieder herumgefeilt hat, um sie „verständlich“zu machen. Als die Letztversion ihre Uraufführung erlebte, sicherte sie dem Meister einen Triumph, wie er ihn nur selten erleben durfte, und wurde als „Romantische“ungemein populär.
Nicht zuletzt dank des berühmten „Jagd-Scherzos“. Das war in der ursprünglichen Version der Symphonie gar nicht enthalten! Die klang weit schroffer, kühner, zerklüfteter – beinah so „unfreundlich“wie Sibelius . . .