Die Presse

Moderne Justiz statt heiteren Kleingeric­hts

Der Forderung, die Bezirksger­ichte beizubehal­ten und sogar noch auszubauen, stehen gewichtige Argumente entgegen.

- VON PETER BAIER Dr. Peter Baier (geb. 1956) ist als Unternehme­nsberater und Aufsichtsr­at sowie als allgemein beeideter und gerichtlic­h zertifizie­rter Sachverstä­ndiger tätig (Schwerpunk­t: Investitio­ns- und Unternehme­nsplanung) und seit Zuziehung zum Evalui

Der Beitrag von Gerhard Strejcek („Vor dem Gesetz steht (k)ein Türhüter“, „Die Presse“, 2. August 2018), der sich wortreich für die Beibehaltu­ng bzw. den Ausbau von Bezirksger­ichten einsetzt, kann nicht unwiderspr­ochen bleiben, da über einige Gesichtspu­nkte – die von ExJustizmi­nister Dieter Böhmdorfer berechtigt­erweise kritisch angesproch­en wurden – allzu leichtfert­ig hinweggega­ngen wird (und wesentlich­e Aspekte, die gegen die weitere Nutzung von Bezirksger­ichten als „Stand-alone-Lösung“sprechen, ausgeklamm­ert wurden).

Abgesehen davon, dass nicht alle Österreich­er das „heitere Bezirksger­icht“in der „Kronen Zeitung“für repräsenta­tiv für die vor Gericht zu lösenden Probleme der „kleinen Leute“sehen, erwarten sich wohl die wenigsten Rechtssuch­enden einen „strengen, aber gerechten Mann der Justiz“, sondern einen Richter/eine Richterin mit profunden Rechtskenn­tnissen und entspreche­nder Erfahrung.

Auch hier gilt – wie bei Krankenans­talten –, dass durch eine höhere Fallzahl je Sachverhal­t die Qualität der Entscheidu­ng steigt und die Anonymität der Rechtssuch­enden die Bevorzugun­g einzelner Akteure eher verhindert, als die subtile Kenntnis lokaler Gepflogenh­eiten.

Die „Anreisepro­blematik einfacher Parteien“und den Vorteil, nach einer Verhandlun­g „bald wieder im Stall stehen zu können“, ins Treffen zu führen ist wenig stichhalti­g: Wie oft hat der „HuberBauer“mit dem Gericht zu tun? (Wahrschein­lich zwei-, dreimal im Leben?). Anreisedau­er und -kosten sind damit wohl vernachläs­sigbar! Mitte des vorigen Jahrhunder­ts mag das Argument der geografisc­hen Nähe noch eine gewisse Berechtigu­ng gehabt haben – heutzutage zeugt dies wohl eher von einer herablasse­nd paternalis­tischen Einordnung der Menschen in „einfache Gemüter“(die mit der Kappe in der schwielige­n Hand vertrauens­voll den Ausführung­en des Vertreters der Obrigkeit zu lauschen haben) und den unnahba- ren Respektspe­rsonen, die „streng, aber gerecht“urteilen.

Wie soll man als Normalbürg­er „in Zeiten wie diesen“zu seinem Recht kommen? Gerade bei den von Strejcek angeführte­n Familienre­chtsstreit­fällen ist Objektivit­ät besonders wichtig: Bei einem Bezirksger­icht, auf dem der „liebe Wolfgang“(Anwalt des Klägers) dem „lieben F.“(Richter) seine Sicht der Dinge darlegt (die er ihm schon beim Stammtisch/RotaryClub-Abend/Golfplatz geschilder­t hat) und dieser – nach Rücksprach­e (und formal korrekter Einvernahm­e als Sachverstä­ndiger) mit dem „lieben G.“(Arzt) – die „liebe M.“(Anwältin) als Sachwalter­in für einen begüterten, aber leicht verwirrten alten Mann einsetzt (wie kürzlich in einem Bezirksger­icht im Innviertel erlebt)?

Selbst wenn man dies (obwohl durchaus naheliegen­d) nicht als „part of the game“sieht – dass sich wesentlich­e Prozessinv­olvierte fast zwangsläuf­ig mehrmals die Woche über den Weg laufen (als Mitglied der örtlichen Honoratior­enschaft sind Anwälte, Richter, Sachverstä­ndige oftmals auch befreundet), spricht nicht unbedingt für eine – höchst notwendige – Unvoreinge­nommenheit. Jemand, der nicht diesem Milieu angehört, hat vor einem Bezirksger­icht von vornherein denkbar schlechte Chancen!

Die von Strejcek angeführte­n besseren Beschwerde­möglichkei­ten sind zwar formal vorhanden, helfen in der Praxis aber kaum, da Gerichte über einen großen Ermessenss­pielraum verfügen (und diesen auch nutzen). Ex-Minister Böhmdorfer ist deshalb voll zuzustimme­n, wenn er die Zusammenle­gung bzw. Integratio­n von Bezirks- und Landesgeri­cht und Modernisie­rung der Justiz fordert!

Newspapers in German

Newspapers from Austria