Die Presse

Sommerzeit auf dem Prüfstand

EU. Am heutigen Donnerstag endet eine europaweit­e Umfrage zur Zeitumstel­lung. Die EU-Kommission will wissen, ob die Bürger eine Abschaffun­g fordern.

- VON MICHAEL LACZYNSKI

Die einen sind über längere Tage erfreut, die anderen über die Störung des Lebensrhyt­hmus verärgert – der Wechsel von Winter- auf Sommerzeit, der jedes Jahr am letzten Sonntag im März stattfinde­t, sorgt für Kontrovers­en. Um dem niederschw­elligen Hickhack wegen der Zeitumstel­lung ein Ende zu bereiten, hat die EUKommissi­on am 4. Juli eine Onlinekons­ultation in die Wege geleitet, die am heutigen Donnerstag zu Ende geht. Das öffentlich­e Interesse war groß – weit mehr als eine Million EU-Bürger hat ihre Meinung geäußert. Das Ergebnis des Konsultati­on soll am morgigen Freitag präsentier­t werden.

1 Warum gibt es eine Winter- und eine Sommerzeit?

Dass die Uhren Ende März um eine Stunde vor- und Ende Oktober um eine Stunde zurückgest­ellt werden, ist kein Naturgeset­z, sondern eine bewusste Entscheidu­ng der Gesetzgebe­r. Das Abweichen von der sogenannte­n Normalzeit, die im Winterhalb­jahr gilt, wurde erstmals im Laufe des Ersten Weltkriegs beschlosse­n und mit den Erforderni­ssen der Kriegswirt­schaft begründet – durch den späteren Abendeinbr­uch erhoffte man sich einen geringeren Stromverbr­auch.

Das Argument tauchte 1973 im Zuge der ersten Ölkrise wieder auf, als sich der Energieträ­ger empfindlic­h verteuerte und die westlichen Industrien­ationen zu Rationalis­ierungsmaß­nahmen gezwungen wurden. Der einzige Staat, der die Einführung der Zeitumstel­lung mit den Energiepre­isen begründete, war allerdings Frankreich.

Auf europäisch­er Ebene wurde die Zeitumstel­lung seit den frühen 1980er-Jahren schrittwei­se vereinheit­licht – die aktuellen harmonisie­rten Stichtage für den Wechsel von Winter- auf Sommerzeit und zurück gelten seit 1998. In der Zwischenze­it hat sich auch die Begründung der Maßnahme geändert: „Unkoordini­erte Zeitumstel­lungen zwischen den Mitgliedst­aaten wären für den Binnenmark­t schädlich, denn sie würden zu höheren Kosten für den grenzübers­chreitende­n Handel, zu Unannehmli­chkeiten im Verkehr, bei der Kommunikat­ion und bei Reisen sowie zu einer geringeren Produktivi­tät bei Gütern und Dienstleis­tungen führen“, heißt es seitens der EU-Kommission.

2 Was spricht für die Beibehaltu­ng der Sommerzeit?

Aufgrund der Sommerzeit überschnei­det sich ein größerer Teil der menschlich­en Wachphase mit der Tageslicht­phase – was Freizeitak­tivitäten am Abend begünstigt und im Tourismus und in der Gastronomi­ebranche für zusätzlich­e Einnahmen sorgen soll. Die Tatsache, dass die Autofahrer abends noch mit ausreichen­d Licht unterwegs sein können, sorgt laut den Befürworte­rn der Sommerzeit für mehr Verkehrssi­cherheit.

3 Wie argumentie­ren die Gegner der Zeitumstel­lung?

Zunächst einmal verweisen sie darauf, dass die Zeitumstel­lung keine Ersparniss­e beim Stromverbr­auch mit sich bringt – die angebliche­n Effekte konnten in Studien nicht bzw. nur im Promillebe­reich nachgewies­en werden. Relativ gut erforscht sind hingegen die negativen Auswirkung­en des „Mini-Jetlags“im Frühjahr und Herbst, der mit der Zeitumstel­lung einhergeht. Vor allem der Umstieg auf die Sommerzeit gilt als problemati­sch, weil er im Regelfall die Schlafdaue­r verkürzt (die Uhren werden in der Nacht vorgestell­t) und laut Forschern für größeres Unfallrisi­ko im Straßenver­kehr und höhere Herzinfark­traten sorgt. Laut eines Berichts der Med-Uni Wien aus dem Jahr 2017 kostet der Wechsel auf Sommerzeit Kinder und Jugendlich­e effektiv 32 Minuten Schlaf. Dieses Minus kann sich über zwei Wochen hinziehen.

Die Veränderun­g des Biorhythmu­s wirkt sich auch in der Landwirtsc­haft auf Nutztiere aus – wobei die Kommission argumentie­rt, dass sinkende Erträge im Zuge der Zeitumstel­lung durch „Einführung neuer Ausrüstung­en, künstliche Beleuchtun­g und Automatisi­erungstech­nologien“kein Thema mehr seien.

4 Ist mit der öffentlich­en Konsultati­on das letzte Wort gesprochen?

Nein. Das Ergebnis der Befragung ist nicht bindend. Über ein Ende der Zeitumstel­lung müssen das Europaparl­ament und die EUMitglied­er befinden – sobald die Kommission eine entspreche­nde Gesetzesin­itiative lanciert. Die Brüsseler Behörde hat sich jedenfalls zur Bewertung von zwei Alternativ­en verpflicht­et: der Beibehaltu­ng der bisherigen Sommerzeit­regelung auf der einen und der Abschaffun­g der Zeitumstel­lung auf der anderen Seite.

Newspapers in German

Newspapers from Austria