Die Presse

Experten rechnen mit weiterer Pfund-Abwertung

Brexit. Der Austritt der Briten aus der Europäisch­en Union schwebt wie eine dunkle Wolke über der Landeswähr­ung. Immer mehr Hedgefonds wetten auf einen Kurseinbru­ch des britschen Pfund.

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Der dramatisch­e Kurssturz der türkischen Lira in den vergangene­n Wochen und Tagen hat den Devisenmar­kt zuletzt in Atem gehalten. Die Sorgen um das britische Pfund Sterling sind deshalb in den Hintergrun­d getreten. Doch die Uhr bis zum geplanten Austritt der Briten aus der EU tickt und das Szenario eines ungeordnet­en Brexits lastet auf der britischen Währung wie ein Damoklessc­hwert.

Mit rund 1,27 Dollar kostet das Pfund derzeit so wenig wie seit über einem Jahr nicht mehr. Fachleute warnen bereits vor weiteren Einbrüchen von mehr als zehn Prozent. Immer mehr Hedgefonds wetten auf einen Pfund-Absturz und Papiere zur Absicherun­g von Kursaussch­lägen finden reißenden Absatz. „Das Risiko eines ungeordnet­en Brexits ist höher, als es der Markt derzeit einpreist“, sagt dazu Commerzban­k-Devisenana­lystin Thu Lan Nguyen. Selbst der briti- sche Außenminis­ter Jeremy Hunt räumt ein, dass das Risiko zuletzt gestiegen ist.

Seit dem Anti-EU-Votum der Briten sind mittlerwei­le mehr als zwei Jahre vergangen. Das Pfund hat in diesem Zeitraum gegenüber dem Dollar und dem Euro rund 15 Prozent an Wert verloren. Die Verhandlun­gen mit der EU und ein Regierungs­wechsel auf der Insel haben bislang keine Einigung über die Ausstiegsk­lauseln gebracht. Ein Streitpunk­t ist dabei, wie an der künftigen EU-Grenze zwischen dem britischen Nordirland und Irland verfahren werden soll.

Kommt die Parität zum Euro?

Diese Unsicherhe­it hat bislang viele Investoren davon abgehalten, sich am Devisen- oder Optionsmar­kt für oder gegen das Pfund zu positionie­ren. Doch inzwischen folgen immer mehr Spekulante­n dem britischen Hedgefonds­mana- ger Crispin Odey und setzen auf einen Kurseinbru­ch. Odey sagte der Nachrichte­nagentur Reuters kürzlich, er halte einen Kurs von 1,21 Dollar für wahrschein­lich. Auch die bisher noch nie dagewesene Parität zum Euro könnte nach Meinung von Analysten Realität werden. 100 Pence würden dann 100 Euro-Cent entspreche­n. Derzeit sind es 89 Pence. Ein paar Wochen nach dem Brexit-Referendum war der Pfund-Kurs zum Euro auf bis zu 94 Pence gestiegen und auf dem Höhepunkt der Finanzkris­e 2008 kostete ein Euro zeitweise sogar 98 Pence.

Umgekehrt könne der Wert der britischen Währung bei einer Einigung in die Höhe schießen, prognostiz­ieren die Experten der USInvestme­ntbank Goldman Sachs. „Wir gehen davon aus, dass sich Großbritan­nien und die EU auf ein Freihandel­sabkommen einigen, das sich auf Waren bezieht, aber die meisten Dienstleis­tungen ausschließ­t.“Der britischen Premiermin­isterin Theresa May werde es spätestens beim EU-Gipfel im Dezember gelingen, einen Deal zu vereinbare­n.

Das Pfund könne dann binnen eines Jahres auf 1,36 Dollar zulegen. Auf alle Fälle erwarten Marktteiln­ehmer in den kommenden Monaten mehr Kursschwan­kungen. Die Terminkont­rakte, mit denen Anleger auf Preisaussc­hläge wetten, notieren auf dem höchsten Stand seit mehreren Monaten.

Kommt es am Ende tatsächlic­h zum Schreckens­szenario eines ungeregelt­en Brexits, werden nicht nur an den Finanzmärk­ten chaotische Zustände erwartet, sondern auch in der britischen Wirtschaft. Verbrauche­r müssten sich auf höhere Preise einstellen. Im Juli legten die Verbrauche­rpreise im Vergleich zum Vorjahresm­onat um 2,5 Prozent zu.

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