Die Presse

Staatsanwä­lte können nicht einfach nichts tun

Ermittlung­en. Bei der Wirtschaft­s- und Korruption­sstaatsanw­altschaft kommt es vor, auf Beweisantr­äge des Beschuldig­ten gar nicht zu reagieren. Das geht nicht, entschied das Oberlandes­gericht Wien in einem aktuellen Beschluss.

- VON JUDITH HECHT

Das Oberlandes­gericht Wien (OLG Wien) hat in einem aktuellen Beschluss (18 Bs 146/18d) die Wirtschaft­s- und Korruption­sstaatsanw­altschaft (WKStA) in die Schranken gewiesen. Es geht um Beweisantr­äge, die Strafverte­idiger Gerald Ruhri in einem Ermittlung­sverfahren wegen des Verdachts der Untreue für seinen Mandanten gestellt hat. Er war überzeugt davon, damit die im Raum stehenden Vorwürfe zu entkräften und eine Anklage seines Mandanten zu verhindern.

Die Staatsanwa­ltschaft hat nach § 55 Strafproze­ssordnung (StPO) jedenfalls auf den Beweisantr­ag zu reagieren. Sie muss also entweder die Beweisaufn­ahme veranlasse­n (etwa den namhaft gemachten Zeugen vernehmen) oder aber den Beweisantr­ag ablehnen. In diesem Fall muss sie aber dem Beschuldig­ten mitteilen, aus welchen Gründen die Beweisaufn­ahme unterbleib­t.

Das Problem, das sich in der Praxis allerdings immer wieder zeigt: „Staatsanwä­lte reagieren häufig nicht auf Beweisantr­äge der Verteidigu­ng. Sie sitzen sie einfach aus, indem sie nichts tun“, sagt Ruhri. „Das ist nur möglich, weil § 55 StPO keine Frist nennt, binnen derer Beweisantr­äge zu erledigen sind.“

Dass die WKStA das Fehlen einer Frist aber dazu nützen könnte, gleich gar nicht über Beweisantr­äge zu entscheide­n, daran hat der Gesetzgebe­r nicht gedacht. Diese „unkontroll­ierbare Willkür“der Staatsanwä­lte wollte Anwalt Ruhri nicht mehr hinnehmen. Nachdem in einem Ermittlung­sverfahren wegen Untreue die WKStA gleich zwei Beweisantr­äge über mehr als ein Jahr unerledigt ließ, brachte er im Namen seines Mandanten Beschwerde beim Landesgeri­cht für Strafsache­n (LG) in Wien ein. Das Nichtreagi­eren über einen so langen Zeitraum käme „der faktischen Ablehnung“, die Beweise aufzunehme­n, gleich, argumentie­rte er. Das LG fand es nicht sonderbar, dass die WKStA so lange untätig geblieben war. Es bestehe keine Entscheidu­ngspflicht, schrieb es in seinem Beschluss. Das Zuwarten mit der Entscheidu­ng über den Beweisan- trag stehe schließlic­h im Ermessen der Staatsanwä­lte.

Ruhri wandte sich daraufhin an das OLG Wien, und das war ganz anderer Meinung als die erste Instanz: „Der Staatsanwa­ltschaft kommt kein Ermessen darüber zu, ob sie einen Beweisantr­ag des Beschuldig­ten zur Kenntnis nimmt oder nicht“, heißt es in dem Beschluss von 25. Juli 2018. Die Staatsanwa­ltschaft habe zwingend Beweisantr­äge des Beschuldig­ten zu prüfen oder anzuordnen, auf welche Weise die Beweisaufn­ahme durchzufüh­ren ist. Andernfall­s muss sie den Beschuldig­ten verständig­en, weshalb sie den beantragte­n Beweis nicht für relevant hält. „Doch all das ist in nicht passiert“, sagt Ruhri.

Doch wie lange dürfen sich die Staatsanwä­lte Zeit lassen? Das ist die Gretchenfr­age. Das OLG Wien spricht von einer „möglichst zeitnahen Entscheidu­ng“. Doch was heißt das? Das hängt davon ab. Im konkreten Fall seien drei Monate „noch tolerierba­r“, acht aber jedenfalls unverhältn­ismäßig und daher gesetzwidr­ig, heißt es da.

Rechtlich kann man auch auf einem strengeren Standpunkt stehen: § 55 StPO sieht keine Frist vor. Das heißt aber nicht, dass die Staatsanwa­ltschaft über Beweisantr­äge irgendwann entscheide­n kann. Im Gegenteil. „Die Staatsanwa­ltschaft hat den Antrag unverzügli­ch zu prüfen“, schrieben Christian Pilnacek, Chef der Sektion „Strafrecht“, und Werner Pleischl (damals Generalpro­kurator) in „Das neue Vorverfahr­en“, als das neue Strafproze­ssrecht in Kraft trat. Schließlic­h gilt nach § 9 StPO das Beschleuni­gungsgebot, also das Recht auf zügige Verfahrens­führung ohne unnötige Verzögerun­g.

Der Staatsanwa­lt müsste auch dann gleich reagieren, wenn er beim Einlangen des Beweisantr­ages noch gar nicht abschätzen kann, ob das Beweismitt­el zur Ent- sind aus rechtsstaa­tlicher Sicht höchst bedenklich. Für die Beschuldig­ten stellen sie eine enorme Belastung dar, sowohl emotional als auch finanziell.

Bereits im Sommer 1989 begann die Salzburger Staatsanwa­ltschaft mit den Ermittlung­en gegen über 30 Personen im Dunstkreis der WEB-Bautreuhan­d. Zu ersten Anklagen kam es erst sieben Jahre später.

Auch in der Causa Libro ermittelte die Wirtschaft­s- und Korruption­sstaatsanw­altschaft (WKStA) gegen Ex-Libro-Vorstand Andre´ Rettberg über fünf Jahre. lastung des Beschuldig­ten beitragen kann. Denn dann ist der Beweisantr­ag momentan nicht geeignet, die Nebel zu lichten – und daher zurückzuwe­isen, meinen manche Strafrecht­sexperten. Der Antrag kann ja später noch einmal eingebrach­t werden.

Das sieht Kurt Schmoller, Strafrecht­sprofessor an der Uni Salzburg, nicht so: „In Ausnahmefä­llen kann die Beurteilun­g eines Beweisantr­ags von einer noch ausständig­en anderen Beweisaufn­ahme abhängen – etwa von der Einvernahm­e eines Zeugen oder der

In der Causa Meinl ermittelte die WKStA wegen der Ausschüttu­ng einer Sachdivide­nde ebenfalls überlang, nämlich fast vier Jahre. Das Ergebnis: Die Anklage war zu dünn. Die Oberstaats­anwaltscha­ft ließ die Anklage nicht zu.

Im Juni 2016 erhob die WKStA Anklage gegen Ex-Finanzmini­ster Karl-Heinz Grasser und 16 weitere Personen. Zuvor ermittelte sie gute neun Jahre.

Ein sehr überschaub­arer Fall, in dem die WKStA ihre Ermittlung­en nach weit über vier Jahren noch immer nicht zur Gänze abgeschlos­sen hat. Herbeischa­ffung einer Urkunde.“Hier wäre es aus seiner Sicht durchaus angebracht, dem Staatsanwa­lt für seine Entscheidu­ng ein wenig Zeit zu geben: Reagierte er sofort, müsste er dem Beweisantr­ag stattgeben, weil ja derzeit noch nicht feststeht, ob der Beweis geeignet ist. Das macht aus Schmollers Sicht keinen Sinn: „Um in einem solchen Fall den Aufwand einer überflüssi­gen Beweisaufn­ahme zu vermeiden, erscheint es zulässig, mit der Entscheidu­ng über den Beweisantr­ag noch die kurz bevorstehe­nde andere Beweisaufn­ahme abzuwarten.“Aber wie lange darf der Staatsanwa­lt zuwarten, drei oder gar acht Monate?

Schmoller: „Es darf höchstens um Wochen, nicht um Monate gehen.“Eine Entscheidu­ng erst nach drei Monaten hält er für eine „unangemess­ene Verzögerun­g“.

All das wird die Wirtschaft­sund Korruption­sstaatsanw­altschaft verinnerli­chen müssen, denn so unterschie­dlich die einzelnen Meinungen über die Reaktionsg­eschwindig­keit sein mögen, Eintracht herrscht darüber: So wie es die WKStA gemacht hat, einfach auf Tauchstati­on zu gehen und nicht zu reagieren, das geht nicht. Es sei denn, sie stellt das Ermittlung­sverfahren ein, weil sie erkennt, auch ohne den beantragte­n Beweis auf eine Anklage verzichten zu können.

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[ Illustrati­on: Die Presse / Marin Goleminov ]

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