Wieso sich die Heißzeit auf die Eiszeit reimt
Wärmelehre. Warum klingt das italienische Wort „caldo“so kalt? Was spricht gegen Sex in der Wüste? Und wieso fühlt sich jähe Hitze auf der Haut oft frostig an? Zur Etymologie und Physiologie in Zeiten des Klimawandels.
Heat wave!“Vor über 55 Jahren, im Juli 1963, schallte der Ruf erstmals durch den Äther. Es war ein Soulsong von Martha & the Vandellas, schnell und heftig, wie Soulsongs damals (noch) waren, drei Jahre später spielte ihn die englische Modband The Who nach. Das Wort „heat“war damals, in kälteren Zeiten, noch eindeutig positiv besetzt, wohl auch durch die sexuelle Konnotation, die es bis heute behalten hat: Wenn ein weibliches Tier „in heat“ist, ist es brünstig, rollig, läufig, stierig, je nach Art. Wenn Mick Jagger „She was hot“sang, meinte er Ähnliches. (Mit der Frau in „She’s So Cold“war er weniger zufrieden.)
Im Deutschen ist die Verbindung nicht so stark, ein hitziger Mensch ist eher cholerisch als lüstern. Und dass hohe Temperaturen der libidinösen Praxis oft nicht förderlich sind, beschrieb die Neue-Welle-Band Ideal schon 1981 in „Sex in der Wüste“so: „Alles wollen das eine, doch dafür ist’s zu heiß.“
Auf demselben Ideal-Album fand sich das Lied „Eiszeit“, gemeint war nicht die heiße Zeit, in der man sich gern ein Eis kauft, sondern ein Zustand der Unnahbarkeit, der kühlen Isolation. Das Wort Eiszeit klang damals bedrohlich: Von einer solchen sprach man, wenn der Kalte Krieg heiß zu werden drohte, und überhaupt hatte man, zumindest in Europa, noch vor Kälte mehr Angst als vor Hitze. Das hat sich geändert. Seit kurzer Zeit macht das Wort Heißzeit die Runde, wer es als Erster verwendet hat, das weiß man nicht, aber er oder sie hatte gewiss den Reim auf Eiszeit im Ohr.
Freud: „Gegensinn der Urworte“
Dass nur ein schwacher Glottallaut das Adjektiv zur Hitze vom Eis unterscheidet, ist das ein Zufall? Der Philologe Carl Abel schrieb 1884 eine Arbeit über den „Gegensinn der Urworte“, die Sigmund Freud 1910 zu einem kurzen Essay gleichen Namens inspirierte. Abel vermutete z. B. eine gemeinsame Wurzel der lateinischen Wörter „succus“(trocken) und „siccus“(Saft) oder der deutsche Wörter stumm und Stimme. „Im Deutschen bedeutet Boden heute noch das Oberste wie das Unterste im Haus“, fügte Freud hinzu, im Lateinische heiße „altus“hoch und tief, „sacer“heilig und verflucht.
Leider: Im Falle von Eis/heiß liegt eine solche Erklärung nicht nahe, die beiden sind unterschiedlicher Herkunft. Aber woher kommt der Gleichklang des italienischen „caldo“(heiß) mit dem deutschen kalt, der schon so viele deutschsprachige Urlaubsgäste dazu gebracht hat, den falschen Wasserhahn aufzudrehen? Er hat einen schlichten wortgeschichtlichen Grund. „Caldo“kommt – über das lateinische „calidus“– von einer protoindoeuropäischen Wurzel: „kel“, warm, wahrscheinlich verwandt mit „kai“, brennen. In den romanischen Sprachen hat sich diese Lautgestalt kaum verändert, in den germanischen hat das „k“das Schicksal durchgemacht, das ihm in der Sprachentwicklung oft beschieden war: Es wurde abgeschwächt, erst zu einem „ch“-Laut, dann zu einem „h“. (Für zweitere Form der Abschwächung sind heute die Kärntner berühmt.) Die germanischen Wörter „kalt“, „cold“etc. sind dagegen z. B. mit dem lateinischen „gelu“(Frost) und dem russischen „kholodno“(kalt) verwandt.
Falco: „Zu viel Hitze, und da friere ich“
Und dennoch: Der zufällige Gleichklang gefällt uns gut, weil er zu einem physiologischen Phänomen passt. Starke Kälte und starke Hitze fühlen sich im ersten Moment ähnlich an, im Sinn der Liedzeile Falcos: „Es hat zu viel Hitze, und da friere ich.“Grund ist wohl, dass beides eine Schmerzwahrnehmung erzeugt, die uns warnen soll. Und beides hat eine scharfe Note. So wird der Rezeptor TRPV1 genauso durch Temperaturen über 43 Grad Celsius aktiviert wie durch Capsaicin, den Stoff, der Chilis und Pfefferoni scharf macht: Das ist die materielle Grundlage dafür, dass das englische Wort „hot“auch scharf bedeutet. Kälte wird von einem anderen Rezeptor registriert: von TRPM8, auch CMR1 genannt, das kommt von „cold and menthol receptor“. Denn dieser Rezeptor reagiert nicht nur auf Kälte, sondern auch auf Menthol.
Werden jetzige und zukünftige Heißzeiten den Absatz von kühl-scharfen Mentholzuckerln steigern? Oder werden die Menschen erst recht ihre Speisen mit einer Extradosis heiß-scharfen Capsaicins würzen? Das tun sie ja heute auffälligerweise eher in heißen als in kühlen Gegenden. Wollen sie die echte Hitze mit geschmacklicher Hitze bekämpfen? Die Gastronomiegeschichte des Klimawandels muss erst geschrieben werden, eines kann man zumindest in Wien jetzt schon konstatieren: Die kühle Gazpacho zählt zu den Gewinnern.