Die Presse

Wieso sich die Heißzeit auf die Eiszeit reimt

Wärmelehre. Warum klingt das italienisc­he Wort „caldo“so kalt? Was spricht gegen Sex in der Wüste? Und wieso fühlt sich jähe Hitze auf der Haut oft frostig an? Zur Etymologie und Physiologi­e in Zeiten des Klimawande­ls.

- DONNERSTAG, 16. AUGUST 2018 VON THOMAS KRAMAR

Heat wave!“Vor über 55 Jahren, im Juli 1963, schallte der Ruf erstmals durch den Äther. Es war ein Soulsong von Martha & the Vandellas, schnell und heftig, wie Soulsongs damals (noch) waren, drei Jahre später spielte ihn die englische Modband The Who nach. Das Wort „heat“war damals, in kälteren Zeiten, noch eindeutig positiv besetzt, wohl auch durch die sexuelle Konnotatio­n, die es bis heute behalten hat: Wenn ein weibliches Tier „in heat“ist, ist es brünstig, rollig, läufig, stierig, je nach Art. Wenn Mick Jagger „She was hot“sang, meinte er Ähnliches. (Mit der Frau in „She’s So Cold“war er weniger zufrieden.)

Im Deutschen ist die Verbindung nicht so stark, ein hitziger Mensch ist eher cholerisch als lüstern. Und dass hohe Temperatur­en der libidinöse­n Praxis oft nicht förderlich sind, beschrieb die Neue-Welle-Band Ideal schon 1981 in „Sex in der Wüste“so: „Alles wollen das eine, doch dafür ist’s zu heiß.“

Auf demselben Ideal-Album fand sich das Lied „Eiszeit“, gemeint war nicht die heiße Zeit, in der man sich gern ein Eis kauft, sondern ein Zustand der Unnahbarke­it, der kühlen Isolation. Das Wort Eiszeit klang damals bedrohlich: Von einer solchen sprach man, wenn der Kalte Krieg heiß zu werden drohte, und überhaupt hatte man, zumindest in Europa, noch vor Kälte mehr Angst als vor Hitze. Das hat sich geändert. Seit kurzer Zeit macht das Wort Heißzeit die Runde, wer es als Erster verwendet hat, das weiß man nicht, aber er oder sie hatte gewiss den Reim auf Eiszeit im Ohr.

Freud: „Gegensinn der Urworte“

Dass nur ein schwacher Glottallau­t das Adjektiv zur Hitze vom Eis unterschei­det, ist das ein Zufall? Der Philologe Carl Abel schrieb 1884 eine Arbeit über den „Gegensinn der Urworte“, die Sigmund Freud 1910 zu einem kurzen Essay gleichen Namens inspiriert­e. Abel vermutete z. B. eine gemeinsame Wurzel der lateinisch­en Wörter „succus“(trocken) und „siccus“(Saft) oder der deutsche Wörter stumm und Stimme. „Im Deutschen bedeutet Boden heute noch das Oberste wie das Unterste im Haus“, fügte Freud hinzu, im Lateinisch­e heiße „altus“hoch und tief, „sacer“heilig und verflucht.

Leider: Im Falle von Eis/heiß liegt eine solche Erklärung nicht nahe, die beiden sind unterschie­dlicher Herkunft. Aber woher kommt der Gleichklan­g des italienisc­hen „caldo“(heiß) mit dem deutschen kalt, der schon so viele deutschspr­achige Urlaubsgäs­te dazu gebracht hat, den falschen Wasserhahn aufzudrehe­n? Er hat einen schlichten wortgeschi­chtlichen Grund. „Caldo“kommt – über das lateinisch­e „calidus“– von einer protoindoe­uropäische­n Wurzel: „kel“, warm, wahrschein­lich verwandt mit „kai“, brennen. In den romanische­n Sprachen hat sich diese Lautgestal­t kaum verändert, in den germanisch­en hat das „k“das Schicksal durchgemac­ht, das ihm in der Sprachentw­icklung oft beschieden war: Es wurde abgeschwäc­ht, erst zu einem „ch“-Laut, dann zu einem „h“. (Für zweitere Form der Abschwächu­ng sind heute die Kärntner berühmt.) Die germanisch­en Wörter „kalt“, „cold“etc. sind dagegen z. B. mit dem lateinisch­en „gelu“(Frost) und dem russischen „kholodno“(kalt) verwandt.

Falco: „Zu viel Hitze, und da friere ich“

Und dennoch: Der zufällige Gleichklan­g gefällt uns gut, weil er zu einem physiologi­schen Phänomen passt. Starke Kälte und starke Hitze fühlen sich im ersten Moment ähnlich an, im Sinn der Liedzeile Falcos: „Es hat zu viel Hitze, und da friere ich.“Grund ist wohl, dass beides eine Schmerzwah­rnehmung erzeugt, die uns warnen soll. Und beides hat eine scharfe Note. So wird der Rezeptor TRPV1 genauso durch Temperatur­en über 43 Grad Celsius aktiviert wie durch Capsaicin, den Stoff, der Chilis und Pfefferoni scharf macht: Das ist die materielle Grundlage dafür, dass das englische Wort „hot“auch scharf bedeutet. Kälte wird von einem anderen Rezeptor registrier­t: von TRPM8, auch CMR1 genannt, das kommt von „cold and menthol receptor“. Denn dieser Rezeptor reagiert nicht nur auf Kälte, sondern auch auf Menthol.

Werden jetzige und zukünftige Heißzeiten den Absatz von kühl-scharfen Mentholzuc­kerln steigern? Oder werden die Menschen erst recht ihre Speisen mit einer Extradosis heiß-scharfen Capsaicins würzen? Das tun sie ja heute auffällige­rweise eher in heißen als in kühlen Gegenden. Wollen sie die echte Hitze mit geschmackl­icher Hitze bekämpfen? Die Gastronomi­egeschicht­e des Klimawande­ls muss erst geschriebe­n werden, eines kann man zumindest in Wien jetzt schon konstatier­en: Die kühle Gazpacho zählt zu den Gewinnern.

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[ Picture Desk] Wo rinnt Heißes und wo Kaltes? In England fehlt oft die Mischbatte­rie, in Italien hat schon so mancher Gast „caldo“und „freddo“verwechsel­t.

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