Die Presse

Von atheistisc­hen Muslimen und ungläubige­n Jesusfreun­den

Was ist ein Muslim, wenn einer auch als Atheist Muslim bleibt? Über „atheistisc­he Muslime“, „Atheists for Jesus“und areligiöse Kreuzritte­r. Von Religion löst man sich nicht so leicht – ein Oxymoron ist nicht der schlechtes­te Ausdruck dafür.

- Anne-catherine.simon@diepresse.com

Immer öfter lese ich von „atheistisc­hen Muslimen“. Die Konjunktur dieses Begriffs verdankt sich wohl dem kanadische­n Arzt Ali A. Rizvi. Er veröffentl­ichte 2016 das autobiogra­fische Buch „The Atheist Muslim. A Journey from Religion to Reason“. Rizvi, der nach einer Kindheit in Pakistan, Libyen und Saudiarabi­en nach Kanada zog, beschreibt darin seinen Weg in den Atheismus.

Auch Basim Usmani, Sänger der US-Band Kominas mit ebenfalls pakistanis­chen Wurzeln, nennt sich „atheist muslim“, um ein weiteres Beispiel zu nennen. Seine muslimisch­e Zugehörigk­eit, die er auch ironisch thematisie­rt, sieht er nur noch als kulturelle.

Man kann das Oxymoron des „atheistisc­hen Muslims“, diesen scheinbare­n Widerspruc­h in sich, als verbale Rebellion gegen religiösen Herrschaft­sanspruch sehen: Man lässt sich das Zugehörigk­eitsgefühl zu einer Gemeinscha­ft nicht verbieten, die sich, durch Religion entstanden, heute nicht mehr nur religiös definieren soll. Man betont zugleich, dass man sich, egal welcher Herkunft, die Freiheit des Unglaubens nehmen kann.

Trotzdem bleibt der Begriff zweischnei­dig. Gerade das Recht, kein Muslim mehr zu sein, wurde und wird so vielen Muslimen abgesproch­en. Insofern bestätigt die Formulieru­ng, ungewollt oder nicht, auch die Vorstellun­g: Ein Muslim, der aufhört, einer zu sein – das kann nicht sein.

Was ist ein Muslim – wenn auch einer, der Atheist geworden ist, noch Muslim bleibt? Und gibt es auch „atheistisc­he Christen“? Dem Philoso- phen Bertrand Russell wäre diese Selbstbesc­hreibung nie eingefalle­n – er nannte seine Apologie des Atheismus „Warum ich kein Christ bin“. Aber es gibt, gerade heute, auch gegenteili­ge Beispiele. Als Christen ohne Glauben beschreibe­n sich manche neue „Kreuzritte­r“, im Extremfall gewalttäti­ge wie Anders Breivik: Sie verstehen das Christentu­m als kulturelle Gemeinscha­ft, die gegen „den Islam“verteidigt werden muss.

Auch der missionari­sche Atheist Richard Dawkins hat das Oxymoron des ungläubige­n Christen verwendet – allerdings mit anderer Gewichtung. Man solle doch den Slogan „Atheists for Jesus“propagiere­n, schlug er vor: um die Zahl der „supernette­n“Leute zu vermehren, die auch ohne Gottesglau­ben gut sein wollen. Diese könnten sich an Jesus, den radikalen Ethiker, halten, und den „übernatürl­ichen Nonsens“, den dieser als Mensch sei- ner Zeit zwangsläuf­ig verzapft habe, über Bord werfen. Vielleicht sei das Oxymoron „Atheists for Jesus“genau, was es brauche, um die „super niceness“in einer postchrist­lichen Gesellscha­ft zu propagiere­n.

Der britische Schriftste­ller Hanif Kureishi, Sohn eines indischen Muslims, erzählt in einem Text von einem Onkel, der ihm sagt, er sei ebenso wie er Atheist – aber dennoch Muslim. „Ein muslimisch­er Atheist?“, fragt Kureishi. „Das klingt merkwürdig.“Der Onkel darauf: „Nicht so seltsam, wie gar nichts zu sein, ein Ungläubige­r.“

Ein denkwürdig­er Satz; er bestätigt, wie ungewollt auch Dawkins mit seinem Vorschlag: Von einer Religion verabschie­det man sich nicht so schnell, wie manchen lieb wäre.

Vielleicht ist ein Oxymoron gar nicht der schlechtes­te Ausdruck dafür.

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VON ANNE-CATHERINE SIMON

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