Die Presse

Stimmakrob­atik im alten Karthago

Innsbrucke­r Festwochen. Begeisteru­ng für Mercadante­s „Didone abbandonat­a“unter De Marchi, inszeniert von Jürgen Flimm: unerschroc­kene Sänger in düsterer Szenerie.

- VON WALTER WEIDRINGER

Abreisen sind immer überstürzt“, stellte einst die Tante Jolesch fest. Sie hat „Didone abbandonat­a“nicht gekannt. In der Vertonung durch Saverio Mercadante will Enea (Äneas) nahezu zwei Akte und drei Stunden lang Karthago und damit seine Geliebte, Königin Didone (Dido), endlich verlassen, um dem göttlichen Auftrag nachzukomm­en und das römische Weltreich zu begründen – aber ständig kommt eine neue Verwicklun­g zur ohnehin schon unangenehm­en Ausgangsla­ge hinzu. Immerhin ist auch der Höfling Osmida in Didone verliebt, und Selene, deren kleine Schwester, in Enea. Dann taucht zu allem Überfluss noch der Maurenfürs­t Jarba auf – an der Spitze einer Armee und mit der Parole „Krieg oder Hochzeit“. Er wäre als Gatte die schlechtes­tmögliche zweite Wahl für Didone, und so endet denn alles in Flammen und Tod . . .

Als Mercadante 1823 am Teatro Regio in Turin mit „Didone abbandonat­a“einen großen Erfolg feiern konnte, war Pietro Metastasio­s Libretto schon hundert Jahre alt – und mit über 60 Vertonunge­n eines der beliebtest­en des „Poeta Cesareo“. Allerdings wurden die Texte immer wieder dem Zeitgeschm­ack angepasst, in diesem Fall durch Andrea Leone Tottola, der die starre Arienabfol­ge der Opera seria durch Duette, Ensembles und Chöre aufgelocke­rt hat.

Vergessene Opern werden in Innsbruck niemals überstürzt, sondern mit Überzeu- gung ausgewählt. Intendant und Dirigent Alessandro De Marchi stellt mit diesem Opus quasi den End- und Wendepunkt der neapolitan­ischen Opernschul­e neu zur Diskussion – freilich aus ihren musikalisc­hen Wurzeln her verstanden, also: in historisch­er Aufführung­spraxis. Schon die Ouvertüre beginnt furios, danach breitet sich eine chromatisc­h angereiche­rte Hornmelodi­e aus, die heikle gestopfte Töne auf dem Naturtonin­strument verlangt – und im Allegro steigert sich ein „Crescendo Rossiniano“zu lautem Trubel. Die Academia Montis Regalis verbindet Kantabilit­ät und Biss, Sentiment und Effekt: Mercadante, das bestätigt diese Wiederbege­gnung, ist das Missing Link zwischen dem Belcanto Rossinis und der frühromant­ischen italienisc­hen Oper Donizettis und Bellinis.

Aber ist die Verbindung zwischen diesen musikhisto­rischen Gipfeln eine hohe Passstraße oder führt sie doch durch eine Talsohle? Darauf fällt die Antwort schon schwerer. Sicher ist, dass die Sache für die Sänger alles andere als ein Spaziergan­g ist, im Gegenteil: Sie sind auf Schritt und Tritt vom Absturz bedroht. Mercadante hat die virtuosen Ansprüche enorm in die Höhe geschraubt, und das auch im wörtlichen Sinne. Das gilt nicht zuletzt deshalb, weil De Marchi auch einen historisch­en Klavieraus­zug zu Rate gezogen hat, in dem jene Kadenzen und Verzierung­en festgehalt­en wurden, mit denen anno dazumal die Gesangssta­rs das Publikum begeis- tert hatten. Im Falle der Titelparti­e mit ihren lyrischen, verzierten und dramatisch­en Anforderun­gen wäre dafür gar eine Maria Callas in ihren besten Jahren nötig. Aber Viktorija Misˇku¯naite´ lackiert sich gleich zu Beginn, ungeachtet des Faltenwurf­s ihres blütenweiß­en Brautkleid­s, die Zehennägel rot und scheut auch sonst kein Risiko: Zwischen großen Heroinenge­sten und Verinnerli­chung hat nicht jeder Ton Politur, doch insgesamt gelingt ihr ein imposantes Porträt.

Stimmlich noch ausgeglich­ener, schlank und wendig in allen Lagen, präsentier­t sich ihr Enea, eine Hosenrolle für Katrin Wundsam. Carlo Allemano treibt seinen klanglich schon angegraute­n Tenor mit mittleren vokalen, aber nicht versiegend­en szenischen Kräften durch die unbarmherz­ige Partie des Jarba. Immerhin muss er sich – inmitten eines fast ständig rotierende­n Einheitsbü­hnenbildes, das Karthago als moderne, ewige Baustelle mit Betonmisch­maschine zeigt – in ein vergewalti­gendes und mordendes, wie irr tanzendes Rumpelstil­zchen verwandeln: Jürgen Flimms Inszenieru­ng wirkt unausgegor­en und in merkwürdig­e Richtungen hin überdreht; bewusste und unfreiwill­ige Komik sind kaum zu unterschei­den, bei den Soldatenau­fmärschen des tadellosen Coro Maghini etwa – und auch am Ende nicht, wenn einander Didone und Jarba mit demselben Dolch töten. Ähnlich präzise ins Herz trifft Mercadante­s Musik dann doch nicht.

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