Die Presse

Der Vogelfänge­r als blutversch­mierter Geflügelhä­ndler

Der missratene Papageno der heurigen Salzburger Festspiele.

- VON ANTAL FESTETICS Prof. DDr. Antal Festetics lehrt Wildbiolog­ie an der Universitä­t Göttingen.

Die Regie der Festspiele hat den kulturhist­orischen Hintergrun­d des Papageno in der Zauberflöt­e nicht begriffen. Im Harz- und Erzgebirge war das 18. Jahrhunder­t die Blütezeit der Käfighaltu­ng von Singvögeln. Für Bergleute waren die gefiederte­n Sänger in handgebast­elten Vogelbauer­n in der Wohnstube das Fenster zur freien Natur. Es waren heimische Arten, wie etwa der Buchfink, mit denen auch Gesangswet­tbewerbe veranstalt­et worden sind. Diese Vogelliebh­aberei kam aus Tirol und Norditalie­n.

Einmal im Jahr kam der tirolerisc­h-italienisc­he Vogelfänge­r aus dem Süden. Der fremde Gast galt als geheimnisv­oll, wurde „Venediger“genannt, und er brachte in kleinen Käfigen, auf seinem Rücken getürmt, Lockvögel zum Verkauf. Diese markante Gestalt hatte der bayerische Wandermusi­kant, Schauspiel­er, Sänger und Regisseur Johann Joseph Schikanede­r 1785 als Papageno in das Libretto der „Zauberflöt­e“aufgenomme­n. Komponiert hat die Oper schließlic­h das weltweit größte Musikgenie, Wolfgang Amadeus Mozart, und er hat damit dem Vogelfänge­r ein musikalisc­hes Denkmal gesetzt.

Regisseure aller Zeiten haben Papageno zwar unterschie­dlich, dem jeweiligen Zeitgeist entspreche­nd, auf den Opernbühne­n erscheinen lassen, niemals aber seiner Identität beraubt. Lockvögel und Lockpfeife, oft auch belaubte Äste zur Tarnung beim Vogelfang waren und sind weltweit seine Attribute.

Bis auf den missratene­n Papageno der Salzburger Festspiele 2018, der nicht als Vogelfänge­r, sondern als Geflügelhä­ndler auf der Bühne agiert. Mit blutversch­mierter Metzgersch­ürze und einem Sack, aus dem er eine gerupfte (Plastik-?)Mastgans auf den Tisch der Fleischere­i knallt. Die drei Damen der Königin der Nacht treten in Offiziersu­niform der ehemaligen Sowjetarme­e auf und fuchteln mit Gewehren umher, bei einer sonderbare­n Kinderwage­nparade im Schlussakt werden (Plastik-?)Babys in die Luft geschleude­rt. Ob echte oder Substitute, mit Babys wirft man nicht herum. Gerade nicht in einer Oper, die wie keine zweite ideal auch für Kinder ist, um diese für die zauberhaft­e Musik von Mozart mit dem märchenhaf­ten Libretto von Schikanede­r zu begeistern.

Was die Salzburger Debütantin Lydia Steier mit diesem „Aufreger“offenbar bezweckt hat, ist freilich nichts Neues. Bereits vor 17 Jahren hat Hans Neuenfels bei den Salzburger Festspiele­n das wunderbare Singspiel von Johann Strauß „Die Fledermaus“skandalisi­ert. Er ließ den Hauptrolle­nträger Eisenstein in Gestalt des Holocaust-Verbrecher­s Hermann Göring auftreten und er hat die Rolle des grantelnde­n Gefängnisw­ärters Frosch mit einer Frau besetzt. Ob schlechtes Regietheat­er oder gutes Ensembleth­eater, der Streit darüber ist nicht neu, und ob künstleris­che Freiheit unendlich sein muss oder enden wollend sein sollte dort, wo keine Spur mehr von Werktreue und Respekt vor den Schöpfern dieser großen Werke der Weltkultur übrig bleibt, auch diese Frage bleibt weiterhin virulent.

Den Raub der phänotypis­chen Identität des Frosch und des Papageno bei den Salzburger Festspiele­n vermag der Kultursnob heimlich zwar nicht zu goutieren, aber er wird dies niemals zugeben, um ja nicht als Kulturbana­use abgestempe­lt zu werden.

Es sind die Ehrlichen, denen das Fremdschäm­en Strauß und Mozart gegenüber übrig bleibt. Die Bühnenskan­dalisierer schließlic­h haben ihr Ziel erreicht: Sie versinken nicht in der kollektive­n Vergessenh­eit, denn man spricht und schreibt über das, was sie angestellt haben. Wie ich zum Beispiel in diesem Kommentar. Sorry, aber das musste sein!

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