Die Presse

Wie man mit der Nazikeule einen Rufmord exekutiert

Der Jurist und Althistori­ker Wolfgang Schuller analysiert die Methoden, mit denen das Ansehen des Literaturw­issenschaf­tlers Hans Robert Jauß ruiniert wurde.

- E-Mails an: debatte@diepresse.com Karl-Peter Schwarz war langjährig­er Auslandsko­rresponden­t der „Presse“und der „Frankfurte­r Allgemeine­n Zeitung“in Mittel- und Südosteuro­pa. Jetzt ist er freier Journalist und Autor (kairos.blog).

Noch bevor die Hitzewelle so richtig einsetzte, konnte man in einer Wiener Tageszeitu­ng lesen, „dass man unter zivilisier­ten Menschen darüber diskutiert, ob es nicht richtig ist, diese Menschen ersaufen zu lassen“. Gemeint waren einerseits die Migranten, die von Schleppern zuerst auf löchrige Gummiboote geladen und dann von NGO-„Rettungssc­hiffen“nach Europa gebracht werden; anderersei­ts jene, die dem Schlepperu­nwesen, das den Tod von Tausenden in Kauf nimmt, ein Ende setzen wollen. Abgesehen von ein paar Rechtsextr­emen, die man kaum „zivilisier­te Menschen“nennen würde, hat bisher allerdings noch keiner vorgeschla­gen, „Menschen ersaufen zu lassen“. Diskutiert wird, ob man die aus Seenot Geretteten in ein Land der EU bringen soll, oder dorthin zurück, von wo sie aufgebroch­en sind.

Der Satz ist ein gutes Beispiel für den ersten Kunstgriff aus Schopenhau­ers Ratgeber „Die Kunst, Recht zu behalten: Eristische Dialektik“. Er besteht in der Erweiterun­g: „Die Behauptung des Gegners über ihre natürliche Grenze hinausführ­en, sie möglichst allgemein deuten, in möglichst weitem Sinne nehmen und sie übertreibe­n.“Als Gegenmitte­l empfiehlt Schopenhau­er die genaue Feststellu­ng des „status controvers­iae“, also darum, worum es in der Kontrovers­e wirklich geht.

Szenenwech­sel, vom Mittelmeer zum Bodensee. Zu den Gründern der 1966 etablierte­n Universitä­t Konstanz gehörte der internatio­nal renommiert­e Romanist Hans Robert Jauß (1921–1997). Literaturw­issenschaf­tler kennen ihn, oder sollten ihn wenigstens kennen. Es war kein Geheimnis, dass er sich 1939, im Alter von 18 Jahren, zur Waffen-SS gemeldet hatte. Diese Mitgliedsc­haft, für die er von einem alliierten Gericht verurteilt wurde, hat er entgegen hartnäckig kolportier­ten Behauptung­en nie bestritten, allerdings hatte er es verabsäumt, einen darüber hinausgehe­nden autobiogra­fischen Beitrag zu der von ihm erforschte­n und geforderte­n Erinnerung­skultur zu leisten. Es ist hier nicht der Platz, sein Verhalten wäh- rend der NS-Zeit darstellen zu wollen. Wie Günter Grass hatte er sich jenes „kommunikat­iven Beschweige­ns“schuldig gemacht, das Jürgen Habermas einer Generation anlastet, der es nach dem Krieg noch darum gegangen ist, Neues zu schaffen, und weniger darum, die Vergangenh­eit aufzuarbei­ten.

16 Jahre nach seinem Tod leitete eine linksalter­native Online-Zeitung eine Kampagne gegen Jauß ein, die von der Universitä­t und deutschen Medien unterstütz­t wurde. Sie gipfelte in der haltlosen Anschuldig­ung, Jauß habe sich an Kriegsverb­rechen beteiligt und französisc­he Freiwillig­e, die nicht in die WaffenSS aufgenomme­n wurden, in ein KZ eingewiese­n. Der erste Vorwurf wurde nicht bewiesen, der zweite zur Gänze widerlegt – Jauß hatte mit der Selektion nichts zu tun. Und dennoch werden beide Vorwürfe andauernd wiederholt. Einer seiner ehemaligen Schüler, Hans Ulrich Gumbrecht, verstieg sich bis zur Bekundung „Einem Kriegsverb­recher will ich nicht dankbar sein“. Der Fall Jauß ist der erste, in dem eine auf die NS-Vergangenh­eit bezogene Verleumdun­gskampagne systematis­ch dokumentie­rt und analysiert wurde. Der emeritiert­e Konstanzer Jurist und Althistori­ker Wolfgang Schuller untersucht­e die dabei angewendet­en Methoden in seinem jüngsten Buch („Anatomie einer Kampagne. Hans Robert Jauß und die Öffentlich­keit“, Leipzig 2017).

Statt unhaltbare Behauptung­en zu korrigiere­n, schreibt Wolfgang Schuller, wurde ihre Widerlegun­g herunterge­spielt, woraus sich „ein selbststän­diges kritiklose­s Weiterwirk­en und Erweitern der Beschuldig­ungen“ergeben habe. Individuel­le Schuld sei im Falle Hans Robert Jauß nicht bewiesen, sondern aus der bloßen Mitgliedsc­haft in einer verbrecher­ischen Organisati­on abgeleitet worden. Wie erfolgreic­h diese Kampagne war, zeigte sich nicht zuletzt daran, dass der Autor große Mühe hatte, einen Verleger für sein Buch zu finden.

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VON KARL–PETER SCHWARZ

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