Wie man mit der Nazikeule einen Rufmord exekutiert
Der Jurist und Althistoriker Wolfgang Schuller analysiert die Methoden, mit denen das Ansehen des Literaturwissenschaftlers Hans Robert Jauß ruiniert wurde.
Noch bevor die Hitzewelle so richtig einsetzte, konnte man in einer Wiener Tageszeitung lesen, „dass man unter zivilisierten Menschen darüber diskutiert, ob es nicht richtig ist, diese Menschen ersaufen zu lassen“. Gemeint waren einerseits die Migranten, die von Schleppern zuerst auf löchrige Gummiboote geladen und dann von NGO-„Rettungsschiffen“nach Europa gebracht werden; andererseits jene, die dem Schlepperunwesen, das den Tod von Tausenden in Kauf nimmt, ein Ende setzen wollen. Abgesehen von ein paar Rechtsextremen, die man kaum „zivilisierte Menschen“nennen würde, hat bisher allerdings noch keiner vorgeschlagen, „Menschen ersaufen zu lassen“. Diskutiert wird, ob man die aus Seenot Geretteten in ein Land der EU bringen soll, oder dorthin zurück, von wo sie aufgebrochen sind.
Der Satz ist ein gutes Beispiel für den ersten Kunstgriff aus Schopenhauers Ratgeber „Die Kunst, Recht zu behalten: Eristische Dialektik“. Er besteht in der Erweiterung: „Die Behauptung des Gegners über ihre natürliche Grenze hinausführen, sie möglichst allgemein deuten, in möglichst weitem Sinne nehmen und sie übertreiben.“Als Gegenmittel empfiehlt Schopenhauer die genaue Feststellung des „status controversiae“, also darum, worum es in der Kontroverse wirklich geht.
Szenenwechsel, vom Mittelmeer zum Bodensee. Zu den Gründern der 1966 etablierten Universität Konstanz gehörte der international renommierte Romanist Hans Robert Jauß (1921–1997). Literaturwissenschaftler kennen ihn, oder sollten ihn wenigstens kennen. Es war kein Geheimnis, dass er sich 1939, im Alter von 18 Jahren, zur Waffen-SS gemeldet hatte. Diese Mitgliedschaft, für die er von einem alliierten Gericht verurteilt wurde, hat er entgegen hartnäckig kolportierten Behauptungen nie bestritten, allerdings hatte er es verabsäumt, einen darüber hinausgehenden autobiografischen Beitrag zu der von ihm erforschten und geforderten Erinnerungskultur zu leisten. Es ist hier nicht der Platz, sein Verhalten wäh- rend der NS-Zeit darstellen zu wollen. Wie Günter Grass hatte er sich jenes „kommunikativen Beschweigens“schuldig gemacht, das Jürgen Habermas einer Generation anlastet, der es nach dem Krieg noch darum gegangen ist, Neues zu schaffen, und weniger darum, die Vergangenheit aufzuarbeiten.
16 Jahre nach seinem Tod leitete eine linksalternative Online-Zeitung eine Kampagne gegen Jauß ein, die von der Universität und deutschen Medien unterstützt wurde. Sie gipfelte in der haltlosen Anschuldigung, Jauß habe sich an Kriegsverbrechen beteiligt und französische Freiwillige, die nicht in die WaffenSS aufgenommen wurden, in ein KZ eingewiesen. Der erste Vorwurf wurde nicht bewiesen, der zweite zur Gänze widerlegt – Jauß hatte mit der Selektion nichts zu tun. Und dennoch werden beide Vorwürfe andauernd wiederholt. Einer seiner ehemaligen Schüler, Hans Ulrich Gumbrecht, verstieg sich bis zur Bekundung „Einem Kriegsverbrecher will ich nicht dankbar sein“. Der Fall Jauß ist der erste, in dem eine auf die NS-Vergangenheit bezogene Verleumdungskampagne systematisch dokumentiert und analysiert wurde. Der emeritierte Konstanzer Jurist und Althistoriker Wolfgang Schuller untersuchte die dabei angewendeten Methoden in seinem jüngsten Buch („Anatomie einer Kampagne. Hans Robert Jauß und die Öffentlichkeit“, Leipzig 2017).
Statt unhaltbare Behauptungen zu korrigieren, schreibt Wolfgang Schuller, wurde ihre Widerlegung heruntergespielt, woraus sich „ein selbstständiges kritikloses Weiterwirken und Erweitern der Beschuldigungen“ergeben habe. Individuelle Schuld sei im Falle Hans Robert Jauß nicht bewiesen, sondern aus der bloßen Mitgliedschaft in einer verbrecherischen Organisation abgeleitet worden. Wie erfolgreich diese Kampagne war, zeigte sich nicht zuletzt daran, dass der Autor große Mühe hatte, einen Verleger für sein Buch zu finden.