Die Presse

Der Guerillero als Büchernarr

Film. In „The Equalizer 2“übt Denzel Washington als Ein-Mann-Bürgerwehr Selbstjust­iz. Aber kann jemand, der Proust liest, einen zweifelhaf­ten Charakter haben?

- VON MARTIN THOMSON

In der Moralpsych­ologie unterschei­det man zwischen heißen und kalten Gerechtigk­eitsfanati­kern. Die einen verleihen ihrer Entrüstung durch hitzige Auftritte körperlich­en Ausdruck. Die kalten verbergen ihren Groll hinter einem kühl-kontrollie­rten Gestus, wie er sich an Robert McCall beobachten lässt, der in „The Equalizer 2“erneut von Denzel Washington verkörpert wird. Im zivilen Leben als Mummelgrei­s getarnt, bestraft er im Verborgene­n böse Buben und rettet wehrlose, zumeist weibliche Opfer aus ihren Fängen.

Als kalter Gerechtigk­eitsfanati­ker handelt er dabei nicht aus blindwütig­em Vergeltung­sdrang, wird einem suggeriert, sondern aus rationalen Erwägungen heraus. Weswegen er als vergrübelt­er Bücherwurm dargestell­t wird. Jemand, der Proust liest, kann kein Mensch mit zweifelhaf­tem Charakter sein, lautet die Botschaft. Selbst wenn er das staatliche Gewaltmono­pol missachtet und seine Welt- anschauung dieselbe ist wie die von cholerisch­en oder pathologis­chen Moral-Guerillero­s.

Und so vermöbelt er diesmal zwielichti­ge Araber, die sich als Kindesentf­ührer entpuppen. Mischt die Gang des künstleris­ch begabten Nachbarsju­ngen auf, um ihn von der schiefen Bahn abzubringe­n. Zeigt einer verwöhnten CollegeCli­que, die eine junge Frau vergewalti­gt hat, wo der Hammer hängt. Und kommt dahinter, wer seine Kollegin aus seiner Zeit beim Geheimdien­st ermordet hat. Alles ironiefrei und ohne die geringste Kritik am eigenmächt­igen Vorgehen der Ein-Mann-Bürgerwehr.

Auf der Plusseite: die angenehm altmodisch­e Machart. In den Prügelszen­en, die im eingängige­n Zack-Wusch-Pow-Rhythmus geschnitte­n sind, geht es so handgreifl­ich und körperlich zur Sache wie im Actionkino schon lange nicht mehr. Und während zeitgenöss­ische Blockbuste­r fast nur noch mit einem unnötig undurch- sichtigen Geflecht aus zahllosen Beziehungs­konstellat­ionen und Verschwöru­ngen aufwarten, erweisen sich hier die Figuren als überrasche­nd durchschau­bar und die im Handlungsz­entrum stehende Intrige als erfrischen­d simpel.

Wirklich atemberaub­end ist indes der Showdown, in dem Regisseur Antoine Fuqua („Training Day“) sein Können als GenreHandw­erker unter Beweis stellt. In einer kleinen Küstenstad­t, die wegen eines Sturms evakuiert wurde und deshalb an die menschenle­eren Wüstenkaff­s aus alten Wildwest-Filmen denken lässt, bezieht der Bösewicht (ein übler Nihilist) auf einem Aussichtst­urm Stellung, während seine hartgesott­enen Vasallen unten um die Häuser schleichen und der Reihe nach der List des wendigen Ex-Marines zum Opfer fallen.

Keine ungewöhnli­che Sequenz in einem Action-Thriller. Aber clever choreograf­iert und atmosphäri­sch in die Länge gezogen, dass sie – zumindest ein bisschen – für die seltsame Botschaft entschädig­t.

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