Der Guerillero als Büchernarr
Film. In „The Equalizer 2“übt Denzel Washington als Ein-Mann-Bürgerwehr Selbstjustiz. Aber kann jemand, der Proust liest, einen zweifelhaften Charakter haben?
In der Moralpsychologie unterscheidet man zwischen heißen und kalten Gerechtigkeitsfanatikern. Die einen verleihen ihrer Entrüstung durch hitzige Auftritte körperlichen Ausdruck. Die kalten verbergen ihren Groll hinter einem kühl-kontrollierten Gestus, wie er sich an Robert McCall beobachten lässt, der in „The Equalizer 2“erneut von Denzel Washington verkörpert wird. Im zivilen Leben als Mummelgreis getarnt, bestraft er im Verborgenen böse Buben und rettet wehrlose, zumeist weibliche Opfer aus ihren Fängen.
Als kalter Gerechtigkeitsfanatiker handelt er dabei nicht aus blindwütigem Vergeltungsdrang, wird einem suggeriert, sondern aus rationalen Erwägungen heraus. Weswegen er als vergrübelter Bücherwurm dargestellt wird. Jemand, der Proust liest, kann kein Mensch mit zweifelhaftem Charakter sein, lautet die Botschaft. Selbst wenn er das staatliche Gewaltmonopol missachtet und seine Welt- anschauung dieselbe ist wie die von cholerischen oder pathologischen Moral-Guerilleros.
Und so vermöbelt er diesmal zwielichtige Araber, die sich als Kindesentführer entpuppen. Mischt die Gang des künstlerisch begabten Nachbarsjungen auf, um ihn von der schiefen Bahn abzubringen. Zeigt einer verwöhnten CollegeClique, die eine junge Frau vergewaltigt hat, wo der Hammer hängt. Und kommt dahinter, wer seine Kollegin aus seiner Zeit beim Geheimdienst ermordet hat. Alles ironiefrei und ohne die geringste Kritik am eigenmächtigen Vorgehen der Ein-Mann-Bürgerwehr.
Auf der Plusseite: die angenehm altmodische Machart. In den Prügelszenen, die im eingängigen Zack-Wusch-Pow-Rhythmus geschnitten sind, geht es so handgreiflich und körperlich zur Sache wie im Actionkino schon lange nicht mehr. Und während zeitgenössische Blockbuster fast nur noch mit einem unnötig undurch- sichtigen Geflecht aus zahllosen Beziehungskonstellationen und Verschwörungen aufwarten, erweisen sich hier die Figuren als überraschend durchschaubar und die im Handlungszentrum stehende Intrige als erfrischend simpel.
Wirklich atemberaubend ist indes der Showdown, in dem Regisseur Antoine Fuqua („Training Day“) sein Können als GenreHandwerker unter Beweis stellt. In einer kleinen Küstenstadt, die wegen eines Sturms evakuiert wurde und deshalb an die menschenleeren Wüstenkaffs aus alten Wildwest-Filmen denken lässt, bezieht der Bösewicht (ein übler Nihilist) auf einem Aussichtsturm Stellung, während seine hartgesottenen Vasallen unten um die Häuser schleichen und der Reihe nach der List des wendigen Ex-Marines zum Opfer fallen.
Keine ungewöhnliche Sequenz in einem Action-Thriller. Aber clever choreografiert und atmosphärisch in die Länge gezogen, dass sie – zumindest ein bisschen – für die seltsame Botschaft entschädigt.