Letzte Lehren aus der Hellas-Krise
Griechenland. Athen braucht keine Hilfen mehr. Aber hat die Eurozone aus ihren Fehlern gelernt?
Ein Abschied, der leichtfällt: Am Montag läuft das dritte und letzte Hilfsprogramm für Griechenland aus. Über acht Jahre lang hingen die Griechen am Tropf der Rettungspakete mit einem Gesamtvolumen von 274 Mrd. Euro. Sie durchlitten die tiefste und längste Rezession eines europäischen Landes seit dem Zweiten Weltkrieg. Aber nun steht der Staat wieder auf eigenen Beinen, erzielt Überschüsse und kann sich selbst auf dem Kapitalmarkt finanzieren. Die Wirtschaft wächst. Das Joch der Geldgeber, die Sparund Reformvorgaben diktieren, ist weniger drückend. Es lässt sich also ein Schlussstrich unter eine Krise ziehen, die auch die Eurozone erschüttert hat. Hat man die richtigen Lehren gezogen? Oder kann sich die Misere wiederholen? Hier drei mögliche Antworten.
Der Optimist
Ausgerechnet eine von Radikallinken angeführte Regierung, die 2015 mit einem Referendum gegen die Sparpolitik fast den völligen Kollaps provoziert hat, hat seither mehr Reformen umgesetzt als alle ihre Vorgänger. Das zeigt: Wenn die Not groß genug ist, siegt die ökonomische Vernunft. Auch Europa war 2010 vom Ausbruch der Krise überrumpelt. Aber dann hat man die nötigen Werkzeuge geschaffen, um sich vor solchen Gefahren künftig zu wappnen. Der Schutzschirm ESM soll sich zu einem Europäischen Währungsfonds entwickeln, der wie das Vorbild in Washington Hilfen gegen strenge Auflagen erteilt. Das Regelwerk der Bankenunion bietet die Möglichkeit, strauchelnde Geldinstitute ohne Steuergelder abzuwickeln und ihre privaten Gläubiger in die Pflicht zu nehmen. Schon beim griechischen Teilschuldenschnitt von 2012 muss- ten private Halter von Staatsanleihen auf über 100 Mrd. Euro verzichten. Auch das hat dazu beigetragen, dass Investoren die Risken von Eurostaaten nicht mehr ignorieren. Der Finanzmarkt sendet nun Signale, wie im Fall Italien, die krasse Fehlentwicklungen aufhalten. Für andere Opfer der Euroschuldenkrise war das Schicksal Griechenlands eine wirksame Mahnung. In Spanien und Portugal brauchte die Erholung länger als in Irland und im Baltikum mit ihren sehr offenen Volkswirtschaften. Umso erstaunlicher ist, wie stark auch in den beiden iberischen Staaten die Wirtschaft wächst und die Arbeitslosigkeit zurückgeht. Die Sanierung war so offensichtlich erfolgreich, dass nun auch neue Regierungen, die in der Opposition noch gegen Reformen und Haushaltsdisziplin gewettert haben, den Kurs beibehalten.
Schwächere Volkswirtschaften können sich aber in der Eurozone nicht mehr durch Abwertungen einer nationalen Währung scheinsanieren. Sie müssen zu hohe Löhne senken, die Produktivität steigern, was schmerzhaft ist und länger dauert. Aber es macht das Land dauerhaft wettbewerbsfähiger. So kann aus dem eingebauten Nachteil dieser disparaten Währungsunion sogar eine Chance erwachsen. Entscheidend war freilich die Rolle der EZB: Sie hat mit ihren Anleihenkäufen für eine allgemeine Beruhigung gesorgt. Die Staaten verschulden sich deutlich langfristiger, um länger von den jetzt noch geltenden Niedrigzinsen profitieren zu können. Damit sollten sie auch einen konjunkturellen Abschwung in den kommenden Jahren leichter verkraften.
Der Pessimist
Gerade die langen Laufzeiten von Staatsanleihen in der Eurozone bergen eine große Gefahr: Regierungen können unverantwortlich wirtschaften, ohne dass sich Ausgabenexzesse sofort in höheren Zinskosten niederschlagen. Zumindest bis zum nächsten Wahltermin machen sich Politiker so beliebt. Damit enthält die EZB-Geldpolitik eine bis jetzt fast übersehene Bombe, die in Rom hochgehen könnte. Die Möglichkeiten von Brüssel, durch Mahnen und Strafen einen Riegel vorzuschieben, sind durch die Griechenland-Krise weiter geschwächt worden. Denn das wesentliche Signal war doch dieses: Wenn ein Eurostaat strauchelt, springen die Steuerzahler aller anderen ein, um eine Ansteckung zu vermeiden. Das Bail-out-Verbot hat dem Praxistest nicht standgehalten.
Auch die neuen Schutzinstrumente sind, selbst wenn sie formal an Vorgaben gebunden sind, weitere Schritte zu einer Vergemeinschaftung der Schulden. Die Bankenunion war gut gedacht, aber auch gegen ihre Regeln wurde schon bei der zweiten Bewährungsprobe verstoßen – in Italien, weil bei der Abwicklung mehrerer Regionalbanken auch Kleinsparer betroffen gewesen wären. Und die Griechen selbst? Sie stehen de facto weiter unter Kuratel. Denn damit sie die Hilfen überhaupt zurückzahlen können, wurden die Fristen über Jahrzehnte gestreckt. So lang müssen die Geldgeber kontrollieren, ob die in Angriff genommenen Reformen auch wirklich abgeschlossen werden.
Sonst rächt sich hier wieder der Geburtsfehler dieser Währungsunion: Die Geldpolitik gilt für alle, aber bei der Fiskalund Wirtschaftspolitik kann jedes Mitglied agieren, wie es will. Das geht nur so lang gut, wie es in einer kräftigen Aufschwungphase allen Mitgliedsländern gut geht. Das Platzen der Blase in Hellas hat nicht nur das Land massiv geschwächt, sondern auch die Eurozone – weil ihre Konstruktionsmängel sichtbar, aber nicht behoben wurden.
Der realist
Nein, die Wahrheit liegt nicht in der Mitte (das tut sie fast nie). Die Zukunft ist offen, und sie hängt davon ab, wie verantwortungsvoll nationale Politiker mit ihren Spielräumen umgehen. In Paris stimmt die Richtung: Die Regierung von Präsident Macron hält seit dem Vorjahr – fast eine Premiere für Frankreich – die Drei-Prozent-Grenze für das Haushaltsdefizit ein. Als Nagelprobe dürfte sich tatsächlich die populistische Rechts-Links-Koalition in Italien erweisen.
Die Signale sind widersprüchlich: Die Anführer Salvini und Di Maio halten an ihren kaum finanzierbaren Wahlversprechen fest, Tria, ihr Finanzminister, verspricht budgetäre Disziplin. Im Herbst kommt es zum „Showdown“mit der EU-Kommission. Wie konsequent tritt Brüssel dann auf, wie reagieren die Märkte, was bedeutet das für den Schuldendienst? Davon kann tatsächlich das Schicksal der Eurozone abhängen. Denn eine Hellas-Krise kann sie gerade noch verkraften. Einen Bankrott Italiens nicht.