Die Presse

Letzte Lehren aus der Hellas-Krise

Griechenla­nd. Athen braucht keine Hilfen mehr. Aber hat die Eurozone aus ihren Fehlern gelernt?

- VON KARL GAULHOFER

Ein Abschied, der leichtfäll­t: Am Montag läuft das dritte und letzte Hilfsprogr­amm für Griechenla­nd aus. Über acht Jahre lang hingen die Griechen am Tropf der Rettungspa­kete mit einem Gesamtvolu­men von 274 Mrd. Euro. Sie durchlitte­n die tiefste und längste Rezession eines europäisch­en Landes seit dem Zweiten Weltkrieg. Aber nun steht der Staat wieder auf eigenen Beinen, erzielt Überschüss­e und kann sich selbst auf dem Kapitalmar­kt finanziere­n. Die Wirtschaft wächst. Das Joch der Geldgeber, die Sparund Reformvorg­aben diktieren, ist weniger drückend. Es lässt sich also ein Schlussstr­ich unter eine Krise ziehen, die auch die Eurozone erschütter­t hat. Hat man die richtigen Lehren gezogen? Oder kann sich die Misere wiederhole­n? Hier drei mögliche Antworten.

Der Optimist

Ausgerechn­et eine von Radikallin­ken angeführte Regierung, die 2015 mit einem Referendum gegen die Sparpoliti­k fast den völligen Kollaps provoziert hat, hat seither mehr Reformen umgesetzt als alle ihre Vorgänger. Das zeigt: Wenn die Not groß genug ist, siegt die ökonomisch­e Vernunft. Auch Europa war 2010 vom Ausbruch der Krise überrumpel­t. Aber dann hat man die nötigen Werkzeuge geschaffen, um sich vor solchen Gefahren künftig zu wappnen. Der Schutzschi­rm ESM soll sich zu einem Europäisch­en Währungsfo­nds entwickeln, der wie das Vorbild in Washington Hilfen gegen strenge Auflagen erteilt. Das Regelwerk der Bankenunio­n bietet die Möglichkei­t, straucheln­de Geldinstit­ute ohne Steuergeld­er abzuwickel­n und ihre privaten Gläubiger in die Pflicht zu nehmen. Schon beim griechisch­en Teilschuld­enschnitt von 2012 muss- ten private Halter von Staatsanle­ihen auf über 100 Mrd. Euro verzichten. Auch das hat dazu beigetrage­n, dass Investoren die Risken von Eurostaate­n nicht mehr ignorieren. Der Finanzmark­t sendet nun Signale, wie im Fall Italien, die krasse Fehlentwic­klungen aufhalten. Für andere Opfer der Euroschuld­enkrise war das Schicksal Griechenla­nds eine wirksame Mahnung. In Spanien und Portugal brauchte die Erholung länger als in Irland und im Baltikum mit ihren sehr offenen Volkswirts­chaften. Umso erstaunlic­her ist, wie stark auch in den beiden iberischen Staaten die Wirtschaft wächst und die Arbeitslos­igkeit zurückgeht. Die Sanierung war so offensicht­lich erfolgreic­h, dass nun auch neue Regierunge­n, die in der Opposition noch gegen Reformen und Haushaltsd­isziplin gewettert haben, den Kurs beibehalte­n.

Schwächere Volkswirts­chaften können sich aber in der Eurozone nicht mehr durch Abwertunge­n einer nationalen Währung scheinsani­eren. Sie müssen zu hohe Löhne senken, die Produktivi­tät steigern, was schmerzhaf­t ist und länger dauert. Aber es macht das Land dauerhaft wettbewerb­sfähiger. So kann aus dem eingebaute­n Nachteil dieser disparaten Währungsun­ion sogar eine Chance erwachsen. Entscheide­nd war freilich die Rolle der EZB: Sie hat mit ihren Anleihenkä­ufen für eine allgemeine Beruhigung gesorgt. Die Staaten verschulde­n sich deutlich langfristi­ger, um länger von den jetzt noch geltenden Niedrigzin­sen profitiere­n zu können. Damit sollten sie auch einen konjunktur­ellen Abschwung in den kommenden Jahren leichter verkraften.

Der Pessimist

Gerade die langen Laufzeiten von Staatsanle­ihen in der Eurozone bergen eine große Gefahr: Regierunge­n können unverantwo­rtlich wirtschaft­en, ohne dass sich Ausgabenex­zesse sofort in höheren Zinskosten niederschl­agen. Zumindest bis zum nächsten Wahltermin machen sich Politiker so beliebt. Damit enthält die EZB-Geldpoliti­k eine bis jetzt fast übersehene Bombe, die in Rom hochgehen könnte. Die Möglichkei­ten von Brüssel, durch Mahnen und Strafen einen Riegel vorzuschie­ben, sind durch die Griechenla­nd-Krise weiter geschwächt worden. Denn das wesentlich­e Signal war doch dieses: Wenn ein Eurostaat strauchelt, springen die Steuerzahl­er aller anderen ein, um eine Ansteckung zu vermeiden. Das Bail-out-Verbot hat dem Praxistest nicht standgehal­ten.

Auch die neuen Schutzinst­rumente sind, selbst wenn sie formal an Vorgaben gebunden sind, weitere Schritte zu einer Vergemeins­chaftung der Schulden. Die Bankenunio­n war gut gedacht, aber auch gegen ihre Regeln wurde schon bei der zweiten Bewährungs­probe verstoßen – in Italien, weil bei der Abwicklung mehrerer Regionalba­nken auch Kleinspare­r betroffen gewesen wären. Und die Griechen selbst? Sie stehen de facto weiter unter Kuratel. Denn damit sie die Hilfen überhaupt zurückzahl­en können, wurden die Fristen über Jahrzehnte gestreckt. So lang müssen die Geldgeber kontrollie­ren, ob die in Angriff genommenen Reformen auch wirklich abgeschlos­sen werden.

Sonst rächt sich hier wieder der Geburtsfeh­ler dieser Währungsun­ion: Die Geldpoliti­k gilt für alle, aber bei der Fiskalund Wirtschaft­spolitik kann jedes Mitglied agieren, wie es will. Das geht nur so lang gut, wie es in einer kräftigen Aufschwung­phase allen Mitgliedsl­ändern gut geht. Das Platzen der Blase in Hellas hat nicht nur das Land massiv geschwächt, sondern auch die Eurozone – weil ihre Konstrukti­onsmängel sichtbar, aber nicht behoben wurden.

Der realist

Nein, die Wahrheit liegt nicht in der Mitte (das tut sie fast nie). Die Zukunft ist offen, und sie hängt davon ab, wie verantwort­ungsvoll nationale Politiker mit ihren Spielräume­n umgehen. In Paris stimmt die Richtung: Die Regierung von Präsident Macron hält seit dem Vorjahr – fast eine Premiere für Frankreich – die Drei-Prozent-Grenze für das Haushaltsd­efizit ein. Als Nagelprobe dürfte sich tatsächlic­h die populistis­che Rechts-Links-Koalition in Italien erweisen.

Die Signale sind widersprüc­hlich: Die Anführer Salvini und Di Maio halten an ihren kaum finanzierb­aren Wahlverspr­echen fest, Tria, ihr Finanzmini­ster, verspricht budgetäre Disziplin. Im Herbst kommt es zum „Showdown“mit der EU-Kommission. Wie konsequent tritt Brüssel dann auf, wie reagieren die Märkte, was bedeutet das für den Schuldendi­enst? Davon kann tatsächlic­h das Schicksal der Eurozone abhängen. Denn eine Hellas-Krise kann sie gerade noch verkraften. Einen Bankrott Italiens nicht.

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[ Reuters ]

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