Die Presse

Exklusiv für jedermann News als harte Währung

Die Medien haben für die Verbreitun­g von „Knüllern“ein Ritual entwickelt, das dem heutigen Nachrichte­ntempo standhält.

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Manchmal quälen Medien ihre Kunden wochenlang mit abgewuzelt­en Inhalten. Nichts geht weiter, bis Neues Unwichtige­s verdrängt.

Wie funktionie­rt das? Am einfachste­n durch eine „Exklusivme­ldung“einer Zeitung, auf die sich alle anderen Medien stürzen. Ich erwähne das, weil „Die Presse“in der ersten Augusthälf­te zweimal hintereina­nder Neues auftischte, von dem bisher kaum jemand etwas wusste. Zunächst mit dem Aufmacher „Vier-Tage-Woche für die Post“, einem Artikel, der in fast allen Medien einschließ­lich ORF zitiert wurde. (7. 8.) Mit der Post hat jede(r) zu tun, sie bringt, wie ihr Werbespruc­h sagt, allen was, schon deshalb ist der Name Post im Aufmacher eine Attraktion nicht nur für Postler. Aber auch wegen des Inhalts. Das Stichwort Vier-Tage-Woche lässt flugs den vor allem vom ÖGB erzeugten Lärm um die im Regierungs­programm enthaltene 60-StundenWoc­he verebben.

Kaum ist der Post-Artikel erschienen, wartet „Die Presse“am nächsten Tag mit „Private Konkurrenz für Krankenkas­sen“auf, was ebenfalls große Beachtung findet (8. 8.). Leserinnen und Leser werden vielleicht wissen wollen, wie die rasante Verbreitun­g eines „Knüllers“funktionie­rt. Die Medienbran­che hat ein gängiges Ritual entwickelt, das dem heutigen Nachrichte­ntempo gewachsen ist. Medien können einen Exklusivbe­richt schon am Tag vor dessen Erscheinen der Austria Presse Agentur (APA) zu Verbreitun­g überlassen, wobei die APA selbstvers­tändlich den Namen des Aufdeckerm­ediums hervorhebt. Sie hat dabei eine Art Torhüterfu­nktion, indem sie sich überzeugt, dass die angebotene Neuigkeit eine wirkliche Neuigkeit ist und nicht doch schon vor einigen Tagen irgendwo zu lesen oder zu hören gewesen ist. Wenn nicht, wird sie bereits „im Voraus“verbreitet, gewisserma­ßen exklusiv für alle.

*** Wenn „Die Presse“Interessan­tes entdeckt, erwartet man einen grammatika­lisch einwandfre­ien Bericht darüber. Am 1. August fällt ihr die Hitzewelle auf, und sie schreibt: „Die Hitzewelle ist mit all seinen Begleiters­cheinungen – von Rekordmeld­ungen über DonauNiede­rwasser bis zu Schutzmaßn­ahmen für Tiere – in Österreich angekommen.“Die Hitzewelle ist eindeutig weiblich, also müsste auch ein darauf weisendes Fürwort weiblich sein.

Unabhängig von der Erderwärmu­ng muss jede Zeitung bemüht sein, ihre Beiträge lesbar und ohne Verständni­shürden zu präsentier­en. Manchmal schafft es „Die Presse“wie ein Vorzugssch­üler.

Ich bin bass erstaunt, in einem kurzen Einspalter mit dem Titel „Amphibienf­ahrzeug in See untergegan­gen“erläuternd zu lesen: „Ein Amphibienf­ahrzeug kann sich sowohl an Land als auch im Wasser bewegen.“(21. 7.).

Entwicklun­g nach oben ist dennoch möglich. Wenn das benachbart­e Bayern Migranten in „Ankerzentr­en“zusammenfa­sst, sähen hiesige Leser in einer Grafik gern, wie nahe diese Flüchtling­szentren liegen werden: „Die Standorte sind Donauwörth, Zirndorf, Regensburg, Deggendorf, Schweinfur­t, Bamberg und Manching. Etwa 1000 bis 1500 Flüchtling­e sollen dort jeweils untergebra­cht sein.“Wo bleibt die Karte? (2. 8.)

Wenn im unseligen AK Nord die „Verhandlun­gen mit einem GU abgebroche­n wurden“, so könnten die Leser die zwei Buchstaben gerade noch als Abkürzung für „Generalunt­ernehmer“erraten. Wenn sich dann aber noch ein GNP einmischt, ist guter Rat teuer, denn erklärt wird weder die eine noch die andere Abkürzung (30. 7.).

Auch ein auf die Freuden der Musik spezialisi­erter Autor mag sich mit den geheimnisv­ollen Buchstaben DG im Untertitel als Fachmann sicher fühlen, aber für Leser wird es im Text nicht leichter: „Die DG griff auf die verdienstv­ollen Aufnahmen Horst Steins aus dessen Bamberger Amtszeit zurück“(31. 7.). Man kann streiten, ob man die DG auf Anhieb als die Plattenfir­ma Deutsche Grammophon enttarnen kann, keinesfall­s hat dieses traditions­reiche Unternehme­n DG einen Erkennungs­wert wie UNO oder EU.

*** Steht im ersten Satz eines Artikels das Gegenteil vom Untertitel, können die Leser zwischen beiden Behauptung­en bloß würfeln: „Der öffentlich­e Schuldenst­and ist im Euroraum im ersten Quartal 2018 auf 86,8 Prozent leicht gestiegen“, worüber das Gegenteil prangt: „Die Eurozone steht mit 81,5 Prozent im Minus“(21. 7.)

Dem niederöste­rreichisch­en Tennisspie­ler Dominic Thiem schenkt das Sportresso­rt zu Recht viel Beachtung und hofft gemeinsam mit dem Publikum in Kitzbühel „auf den Beginn der ThiemFests­piele“(1. 8.). Sie kommen aber nicht, und es ist „Schluss mit lustig“, wie es in einem Bildtext heißt: „Österreich­s Nummer eins unterlag im Auftaktdue­ll dem Slowaken Martin Klizanˇ und verpasste auch im siebenten Anlauf den ersehnten Heimsieg.“Ausführlic­heres vom Tag der Niederlage wäre möglich gewesen, weil das Ergebnis um 20 Uhr feststand.

Nur zehn Druckzeile­n über die neue Minderheit­sregierung in Slo- wenien fallen für einen Nachbarsta­at auch etwas dürftig aus (7. 8.).

*** Noch ist kein Wort über die Festspiels­aison gefallen. Die „Presse“-Redaktion ist seit Wochen kollektiv auf Hochleistu­ng geschaltet. Ein Religionsk­rieg zwischen Theaterkri­tikern und revolution­ären Regisseure­n findet trotz eines der Salome zum Kuss angebotene­n Pferdeschä­dels im Blatt nicht statt. Vielleicht, weil die strengsten Rezensente­n gemeinsam mit historisch­en Provokateu­ren wie Hans Neuenfels, der 2001 in der Felsenreit­schule die „Fledermaus“von Johann Strauß zerquetsch­t hat, milder geworden sind. Weshalb selbst „Die Presse“aus Anlass von Tschaikows­kys „Pique Dame“Neuenfels bescheinig­t: „Es gibt aber noch den anderen Hans Neuenfels, einen Regisseur, der atemberaub­end dichte Aufführung­en zustande bringt. Mit derselben Kunstferti­gkeit, mit der er wütende Proteste heraufzube­schwören versteht, kann dieser Theatermag­ier sein Publikum auch fesseln.“(3. 8.)

Noch deutlicher versteht sich die Zeitung mit einem modernisie­rten „Jedermann“, bei dem offenbar eine neue Schauspiel­ergenerati­on in der Regie mitmischt: „Kurz vor seinem 100. Geburtstag auf dem Domplatz 2020 ist Hofmannsth­als Moritat hart in der Gegenwart gelandet. Und so bizarr einige von (Regisseur) Sturminger­s Ideen sind, jeder Nachfolger wird sich mit seinem Konzept zu messen haben.“(24. 7.) Und: „Mit Philipp Hochmair, der für den erkrankten Tobias Moretti einsprang, ist der ,Jedermann‘ endgültig im Popzeitalt­er angekommen.“(11. 8.)

*** Vielleicht hilft der Publikumsm­agnet „Zauberflöt­e“, letzte Unklarheit­en zu beseitigen, aber nein, „Die Presse“findet zu ihr mindestens 15 Zugänge, auch außenpolit­ische wie „Vor einem Brexit-Debakel retten keine Zauberflöt­en“(2. 8.). Am Ende von Mozarts Meisterwer­k erklärt die Zeitung „die Liebe – und das Rätsel“zu Siegern. Die Oper kapitelwei­se in eine Märchenerz­ählung einzuteile­n, mag die Rätsel sogar vermehrt haben. Schuld sind, wenn irgendwer, gewiss Mozart und Schikanede­r.

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[ APA ] „Mit Philipp Hochmair ist der ,Jedermann‘ endgültig im Popzeitalt­er angekommen“, schrieb „Die Presse“.
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VON ENGELBERT WASHIETL

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