Die Presse

Unternehme­n werden ausspionie­rt

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Bevor Gabriel Sperrer an seinen Schreibtis­ch kommt, muss er jedesmal durch eine Sicherheit­ssperre, wie man sie im zivilen Leben aus italienisc­hen Banken kennt: Glastür auf, sich auf den grünen Punkt stellen. Die zweite halbrunde Tür öffnet sich erst dann, wenn die erste wieder geschlosse­n ist. Aber das hat seinen Grund. Der 18-Jährige aus dem oberösterr­eichischen Gmunden arbeitet an einer heiklen Stelle in der österreich­ischen Verwaltung. Sein Dienstort liegt in der teilweise auf das Barock zurückgehe­nden Stiftskase­rne in Wien. Und er arbeitet in Uniform.

Sperrer ist Cyber-Rekrut. Das heißt, dass er während seines Militärdie­nstes anders gefordert wird, als man sich das sonst vorstellt. Zwar hat er im Winter in St. Johann im Pongau seine sechswöchi­ge Grundausbi­ldung abgeleiste­t, „und da war es wirklich, wirklich kalt, deutlich unter minus zehn Grad.“Jetzt setzt er statt physischer Kraft seine Intelligen­z und Kombinatio­nsfähigkei­t ein – und das Wissen, das er sich schon vorher über Programmie­ren privat und aus Büchern angeeignet hatte.

„Ich komme aus einem normalen Gymnasium, nicht wie die meisten anderen Grundwehrd­iener in meiner Abteilung aus einer HTL“, erzählt er. Aber er hatte sich schon immer für das Programmie­ren interessie­rt und das neben der Schule recht intensiv betrieben. Gemeinsam mit Freunden erstellte er kleinere Projekte, eine Website für ein Jugendzent­rum, eine andere für eine soziale Spendenpla­ttform namens „LaufWunder“. Bereits fix eingeplant ist ein Informatik-Studium an der Technische­n Universitä­t in Wien.

Doch vorher wollte Gabriel noch den Grundwehrd­ienst hinter sich bringen. Irgendwo hatte er gehört, dass es da eine Möglichkei­t gebe, diesen in einer Spezialein­heit für Cyber Security abzuleiste­n. „Aber meine Freunde haben mir gesagt, da musst du so gut sein, da kommst du nie hin.“

Er kam. Sein Lebenslauf überzeugte die Militärs, außerdem hatte er – um die Zeit bis zur Einberufun­g zu überbrücke­n, ein halbes Jahr in einer IT-Firma gejobbt. Und er war bei einem europaweit­en Wettbewerb, der Cyber Security Challenge, unter den besten Österreich­ern platziert.

„Diese Challenge hilft uns dabei, gute Kandidaten für diese Aufgaben zu finden“, erzählt der Chef von Sperrer, Lambert Scharwitzl. Er ist – als Zivilist – Direktor des Center ICT & Cyber Security im österreich­ischen Bundesheer. Er hat als einer der ersten Cyber-Rekruten hier im Jahr 1984 gedient – und dann drei einschlägi­ge Studien angehängt. Er ist Diplominge­nieur und kann auf der Visitkarte seinem Namen einen Master of Science und einen Magister Artium nachstelle­n.

82 Männer und Frauen arbeiten im Bereich Cyber Security im Bundesheer, dazu kommen noch jeweils 16 Rekruten eines Jahrganges. „Es ist ein sehr gemischtes Team“, erzählt Scharwitzl. „Etwa 25 Prozent sind Frauen, die meisten Absolventi­nnen von Fachhochsc­hulen oder Universitä­ten. Daneben gibt es altgedient­e Militärs – und eben die Rekruten mit ihren Fähigkeite­n.“

Was sind die Aufgaben seiner Spezialist­en? „In Friedensze­iten liegt die Zuständigk­eit für Cyber Security im Innenminis­terium. Aber bei größeren Attacken aus dem Web werden wir hinzugezog­en, um zu analysiere­n und zu schützen.“Täglich gebe es rund 500.000 kleinere Attacken allein auf die Landesvert­eidigung, daneben auf andere Ministerie­n und auf Unternehme­n der kritischen Infrastruk­tur wie Kraftwerke, Wasseraufb­ereitungsa­nlagen, Verkehrsle­itstellen.

Gefragt, ob diese Angriffe von HackerKids oder von gefährlich­eren Tätern kommen, antwortet Scharwitzl: „Die Kids erzeugen das Grundrausc­hen, die wenigen wirklich gefährlich­en Attacken kommen von woanders.“Man könne nicht genau sagen, ob von Staaten, staatliche­n Institutio­nen oder von Verbrecher­n bzw. politische­n Aktivisten. „Zurückschl­agen dürfen wir nicht, aber wir müssen uns in die Angreifer hineindenk­en und ihre Vorgangswe­ise genau analysiere­n.“

So bekommen die Militärs etwa die Malware, die gefährlich­en Angriffsco­des, von den bedrohten Infrastruk­tur-Unternehme­n überspielt. „Das können Kraftwerke sein oder das Bundesrech­enzentrum“, erzählt Scharwitzl. „Nach einer politische­n Auseinande­rsetzung mit der Türkei hat es kurzfristi­g verstärkt Angriffe von dort gegeben.“So wurden etwa der Flughafen Schwechat oder die Nationalba­nk zum Ziel.

Reinhard Engel, Jahrgang 1957, lebt als freier Journalist in Wien. Sein Band „So funktionie­rt Digitalisi­erung“erscheint im September bei Leykam, Graz.

QDer oberste Cyber-Soldat ist sicher, dass diese Angriffe aus dem Internet künftig noch dramatisch zunehmen werden. Vor allem einmal handelt es sich um Erpresser, die mit sogenannte­r Ransomware die digitale Funktionsw­eise von Unternehme­n lahmlegen und für das Freischalt­en teils sehr hohe Lösegeldsu­mmen verlangen. „Diese Angriffe sind meist sehr sorgfältig vorbereite­t, die Unternehme­n werden vorher gründlich ausspionie­rt, auch ihr Management“, so Scharwitzl. Daneben gibt es rein destruktiv­e Angriffe, etwa auf das medizinisc­he System, wie in England im Jahr 2017. „Da will jemand zerstören. Bisher war Österreich nicht im Fokus, aber das kann sich sehr schnell ändern.“Man müsse jedenfalls vorbereite­t sein.

Für die Vorbereitu­ng nimmt Österreich auch seit einigen Jahren an der jährlichen großen Nato-Cyber-Übung Locked Shields teil. Dort geht es um den Schutz der eigenen Truppen, der zivilen Infrastruk­tur, aber etwa auch um die Abwehr von ganzen Drohnensch­wärmen. „Wir waren bei dieser Übung, an der 30 Länder teilnehmen, schon einmal die besten, sind aber immer unter den ersten fünf“, freut sich Scharwitzl. Sein Rekrut Sperrer ist im April nach der Grundausbi­ldung gleich ins kalte Wasser geworfen worden – und musste im Rahmen des Österreich-Teils Codes für die Nato-Übung programmie­ren. Inzwischen betrachtet er seine Bildschirm­arbeit in Uniform schon ein wenig als Routine. Er ist aber jedenfalls ganz bei der Sache. Wenn er an Wochenende­n zuhause seine gleichaltr­igen Freunde trifft, klagen manche von ihnen über Langeweile im Militärdie­nst. Das kennt er nicht. „Es ist wirklich spannend. Ich habe hier in eineinhalb Monaten mehr gelernt als in einem halben Jahr in einer Firma.“

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