Maria Vassilakous schweres Erbe und Wiens strauchelnde Grüne
Das Comeback der Bundesgrünen hängt an den Wiener Grünen. Sie versenken sich aber mit eigenen Fehlern und einem harten Nachfolgekampf.
Das nennt man einen Frühstart. Noch bevor ab dem heutigen Montag Bewerbungen für die Spitzenkandidatur der strauchelnden Wiener Grünen offiziell angenommen werden (es geht um die nächste Wien-Wahl 2020), preschte Peter Kraus am Sonntag vor. „Ich kandidiere, weil Wien meine große Liebe ist“, erklärte der frühere Büroleiter von Maria Vassilakou, der seit 2015 im Wiener Gemeinderat sitzt und als Vertreter des grünen Realo-Flügels gilt. Damit beginnt das Rennen um die Nachfolge von Maria Vassilakou, der Vizebürgermeisterin der ersten rot-grünen Landesregierung Österreichs, mit einer Auffälligkeit: Kraus hatte eine Erklärung erst für Dienstag angekündigt.
Das erinnert an die alte Weisheit: „Kleine Geschenke erhalten die Feindschaft.“Denn Klubchef David Ellensohn, Vertreter des gegnerischen linken Flügels, wollte eigentlich am heutigen Montag seine Kandidatur bekannt geben. Kraus preschte vor und schoss ihm diesen Moment ab. Das zeigt, wie die Stimmung zwischen beiden grünen Lagern ist. Nämlich nicht besonders. Da kommt noch einiges auf die Wiener zu.
Damit ist es de facto fix, dass die grüne Frontfrau nicht mehr in den Ring steigen wird, um ihre Partei in die Gemeinderatswahl 2020 zu führen. Denn als Vassilakous engster Vertrauter würde Kraus nie gegen sie kandidieren – womit es ab sofort um das Erbe der grünen Vizebürgermeisterin geht. Damit kocht der schwelende Konflikt zwischen der sogenannten Realo-Fraktion und dem linken Flügel wieder auf. Im Kern geht es um die Frage, wie kompromissbereit Grüne in einer Koalition mit der Wiener SPÖ sein müssen, ohne die eigenen Ideale zu verraten.
Wie derartige Meinungsfindungsprozesse ablaufen, die umgangssprachlich Flügelkämpfe genannt werden, durfte man monatelang bei der Wiener SPÖ beobachten: nämlich ziemlich tief.
Zynisch formuliert müssten die Wiener Grünen dankbar sein, wenn der Kampf um Vassilakous Nachfolge öffentlichkeitswirksam und rustikal austragen wird – überdeckt das doch gnädig die wahren Probleme der Wiener Grünen. Zumindest für einige Zeit. Ein paar Beispiele: Dass sich die Korruptionsstaatsan- waltschaft für einen grünen Gemeinderat interessiert, der als heimlicher Planungsstadtrat gilt, ist, sagen wir, bemerkenswert. Da hilft es wenig, dass dieser die Anschuldigungen energisch zurückweist und die Vorwürfe womöglich falsch sind. Allein die Optik, das Hochhausprojekt eines Immobilieninvestors am Heumarkt gegen den erbitterten Widerstand der eigenen Basis durchzuziehen, gewinnt keinen Schönheitspreis. Dass derselbe Immobilieninvestor gleich danach in die Schlagzeilen gerät, weil er sich 3000 Sozialwohnungen von der Stadt Wien zum Diskontpreis sichern will (etwa 2000 Euro pro Wohnung), wirft Fragen nach den moralischen Standards auf, mit wem die Grünen grundsätzlich eng kooperieren. D as Dilemma um die VassilakouNachfolge ist dazu hausgemacht. In der angeblich jungen, hippen Partei geben seit rund 20 Jahren immer dieselben Funktionäre die Linie vor. Erneuerung sieht anders aus. Denn durch Seilschaften und interne Querelen sind bei den Wiener Grünen nur das alte Establishment und die junge Generation wie der 31-jährige Kraus übrig geblieben. Die zweite Generation, die nach Maria Vassilakou hätte übernehmen sollen, wurde aus der Partei vertrieben. Vor allem junge, politisch und fachlich kompetente Frauen wie die früheren Gemeinderätinnen Sabine Gretner und Marie Ringler, Vassilakous logische Nachfolgerinnen, haben aufgegeben und sind in die Privatwirtschaft gewechselt. Diese Generation fehlt nun.
Nebenbei: Dass Vassilakou vor der Wien-Wahl 2015 ihren Rücktritt im Fall von Verlusten ankündigte und dann trotzdem blieb, half den Wiener Grünen ebenso wenig wie der Wechsel von Eva Glawischnig zu dem Glücksspielkonzern Novomatic – die damalige grüne Bundessprecherin stammt aus der Wiener Partei. Mit einer derartigen Anzahl von Einzelfällen wird die Frage nach der politischen Glaubwürdigkeit gestellt – vor allem bei einer Partei, die diese Werte laufend betont.