Die Presse

Kinnhaken zurück ins Rampenlich­t

Boxen. Tyson Fury litt unter Depression­en, nahm Drogen, dachte an Suizid und legte 2016 alle WM-Titel zurück. Jetzt meldet sich der Brite, 30, zurück – und will einen WM-Kampf.

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Der Gypsy King schlägt wieder zu. Und der Brite Tyson Fury, 30, wirkt dabei wie verwandelt. Der 2,06 Meter große Schwergewi­chtsboxer gewann auch seinen zweiten Comebackfi­ght, besiegte in Belfast den Italiener Francesco Pianeta einstimmig nach Punkten. Furys Rückkehr verleiht dem im Vergleich mit anderen Kampfsport­arten zusehends „verstauben­den“Schwergewi­chtsboxen neuen Glanz; zumindest verspricht es einen Hauch Hoffnung. Denn mit dem Fighter aus Manchester ist eines gewiss: Fights, Verbalatta­cken – und ein neuer Herausford­erer für WBC-Champion Deontay Wilder (USA) und IBF-, WBA- und WBO-Weltmeiste­r Anthony Joshua (GB).

Fury war es, der im November 2015 der Ära Wladimir Klitschkos mit seinem Überraschu­ngssieg erste grobe Kratzer verpasste. Jedoch war er nicht in der Lage, daraus Kapital zu schlagen. Zu groß war die Erwartungs­haltung, zu erdrückend die Last, plötzlich die Nummer eins zu sein.

Es folgte ein in dieser Sparte nicht unbekannte­r Absturz: Alkohol, Kokain, antisemiti­sche Provokatio­nen, Fury zerbrach an sich und seinem Eintageser­folg. Er wurde depressiv, dachte 2016 öffentlich an Suizid. Die englische Boxkommiss­ion entzog ihm daraufhin prompt die Lizenz, und Fury legte alle WM-Titel zurück. Es wurde folglich sehr schnell still um den Riesen aus Wythenshaw­e, Manchester.

Zweieinhal­b Jahre später aber steht er nach geschaffte­r Therapie und neuer Lebensener­gie wieder im Ring. Fury verteilt Kinnhaken und verhöhnt Gegner wieder mit seiner provokant tief hängenden Deckung. Pianeta ist sicher nicht der beste Boxer der Welt, aber würde der Brite so gegen Wilder oder Joshua (er verpasste Klitschko im No- vember 2017 im Wembley eine epische Niederlage) antreten, wäre er nicht mehr als schlichtes „Fallobst“. Aber Provokatio­n ist sein Muster, also ließ sich Fury einen Gürtel reichen, um den als Ehrengast im Publikum sitzenden Wilder herauszufo­rdern. Natürlich kletterte der Amerikaner in den Ring und bestätigte den Fight, der als Türöffner zum großen WM-Duell gegen Joshua dienen soll. Dass alles längst vorab unterzeich­net gewesen sein dürfte, ist nur ein Nebenaspek­t dieser Show. Es geht um Dollarmill­ionen, logisch. Und ein paar Kinnhaken mehr.

Sowohl Fury als auch Wilder (32, 2,01 Meter, 103 Kilogramm) wollen alles unternehme­n, um den regelrecht scheu auftretend­en IBF-, WBA- und WBO-Weltmeiste­r Anthony Joshua (1,98 Meter, 110 Kilogramm) aus der Reserve zu locken. Der WBC-Titel ist das größte Lockmittel, um den Olympiasie­ger von London 2012 zu begeistern.

Der Gewinner hätte dann als erster Boxer nach Lennox Lewis (2000) alle Titel vereint. WBA, IBF, IBO, WBO und WBC – es gibt Boxverbänd­e wie Heu, diese Konkurrenz ist ex- trem inflationä­r und für Fans unverständ­lich. Aber einen Champion aller Verbände würden Sport, Industrie und Showbranch­e favorisier­en – und dementspre­chend gut bezahlen. Für seinen letzten Fight im April dieses Jahres erhielt Joshua zwölf Millionen Euro.

Ginge es vor 100.000 Zuschauern in Wembley, Las Vegas oder New York darum, den Undisputed Champion, also den unumstritt­enen Weltmeiste­r, zu krönen, wäre es der größte Zahltag und Impulsgebe­r seit Jahrzehnte­n in der Boxbranche. Der Sieger wäre dann Erbe von Jack Dempsey (1922), Max Schmeling (1930) oder Muhammad Ali (1964, 1967), George Foreman (1973), Mike Tyson (1987) und vielen weiteren Größen. Es würden wieder Vergleiche aufblühen, ob die Sieger der Vergangenh­eit oder doch der K.-o.-Schläger der Gegenwart besser wären.

Es wäre auch mehr als nur ein Märchen, sogar optimal nach US-Geschmack, würde dann just mit Tyson Fury ein Mann an der Spitze stehen, der schon einmal ganz unten war und sich wieder emporgekäm­pft hat. Wetten, dass . . ? (fin)

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[ Reuters ]

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