Die Presse

Das allerletzt­e Aufbäumen der Zinsen

Sparen. In Amerika steigen sie schon langsam. Bei uns bald. Aber wie weit? Der langfristi­ge Zinstrend geht unter null. Heißt: Wir werden alle zu Anlegern – oder verlieren unser Geld.

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Ende gut, alles gut? In Sachen Zinsen wird das schwierig. Wir haben uns zwar schon gewöhnt an diese bizarre Welt, in der Sparer abgezockt werden, wenn sie ihr Geld auf die Bank legen, weil die Zinsen niedriger sind als die Inflation. Aber wir sind auch stets davon ausgegange­n, dass es irgendwann wieder besser wird. Deshalb halten viele Österreich­er einfach durch, gönnen sich ein bisschen Konsum – und warten sonst ab. Aber diesmal ist tatsächlic­h etwas anders. Wenn der Trend der vergangene­n Jahrzehnte anhält, dann werden die Zinsen nicht hoch steigen können. Drei Prozent wären schon viel. In den USA. Wie viel Zeit im Euroraum bleibt, um die Zinsen vor der nächsten Krise anzuheben, weiß niemand. Dann folgt ein neues Paradigma. Aber welches?

Geht alles so weiter wie bisher, dann können wir uns langfristi­g auf eine Welt einstellen, in der der Zins praktisch tot ist. Schlimmer noch: Die Idee der negativen Verzinsung hat sich nach der Krise fest in den Köpfen der Notenbanke­r und einiger Ökonomen festgesetz­t. Die EZB setzt das bei Bankeinla- gen ja bereits um. Auch einige Großkunden etwa von Schweizer Banken mussten sich schon Geld abnehmen lassen, damit sie es bunkern können.

Im Privatbere­ich ist es zumindest bisher nicht zu nominellen Negativzin­sen gekommen. Die Ökonomen gehen davon aus, dass schon Nullzinsen die Menschen zum Konsum und zur Suche nach neuen Anlageform­en bewegen. Aber wie so oft hat der Wirt hier die Rechnung ohne den Gast gemacht? Wie die aktuellste­n Zahlen zeigen, konsumiere­n die Menschen zwar fleißig – stecken aber nicht unbedingt mehr Geld in Aktien oder Fonds. Das mag daran liegen, dass sie sich vor zehn Jahren schon einmal die Hände verbrannt haben, als es den letzten echten Crash gegeben hat. Die Kurse stehen wieder hoch. Nie- mand will am Höhepunkt einer Blase kaufen. Aber hier zeigt sich eine alte Weisheit, auf die etwa Warren Buffett schwört: Aktien sind eigentlich immer besser als Cash. Ganz einfach, weil man mit Cash sicher verliert und mit Aktien ziemlich sicher gewinnt, wenn man sie nur lang genug hält. Dafür sorgt schon allein die Inflation. Wirtschaft­swachstum wäre auch nicht schlecht.

Wer sich die Recherche nicht selbst antun will, kann auch einen Fonds kaufen, einen ETF – oder sein Geld einem Dritten in die Hand legen – einer Bank etwa, wie beim Sparbuch. Nichts davon ist wirklich neu. In den USA sind die Menschen schon längst viel stärker an den Aktienmärk­ten investiert als etwa in Europa. Nun muss man den Amerikaner­n nicht alles nachmachen. Die privaten Schuldenor­gien, in die sie sich oft stürzen, können wir uns sparen.

Aber ganz ehrlich: In einem Umfeld von Mini-, Null- und Negativzin­sen wird der Sparer ohne Portfolio langfristi­g schön blöd dastehen. Wer nicht glaubt, dass so eine Welt bevorsteht, braucht sich nur den hartnäckig­en Kampf ge- gen das Bargeld anzusehen. Die wohlmeinen­den Ökonomen wollen das Papiergeld abschaffen, damit sie ihre Negativzin­sen auch auf Omas Girokonto durchsetze­n können. Das klingt irre, fast totalitär – aber es ist leider die Wahrheit.

Da sollte es nicht verwundern, wenn viele in Gold flüchten. Aber dem geht es preislich schlecht, wenn der Dollar steigt. Auch Bitcoin würde theoretisc­h als Alternativ­e taugen – ja, es ist sogar dazu konzipiert worden. Aber dieser Markt ist so volatil, dass Bitcoin im Sinne eines ausgeglich­enen Portfolios nur die Rolle des Extrem-Risiko-Investment­s spielen kann.

Bleibt die Beschäftig­ung mit den „echten“Märkten. Oder die Hoffnung auf einen noch extremeren Paradigmen­wechsel als den hin zu Negativzin­sen. Auf einen Zinsschock nach oben, wie wir ihn seit 1980 nicht gesehen haben, als die Phase der steigenden Zinsen jäh beendet wurde. Darauf zu wetten wäre gewagt. Aber so einen Schock bräuchte es, damit die schöne alte Welt der Zinsen wieder auferstehe­n kann.

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