Warnende Wehklage der „Perser“an uns alle
Salzburger Festspiele I. Ulrich Rasche hat diese Ur-Tragödie des Aischylos meisterhaft, mit viel Sinn für Text, Choreografie und Musik inszeniert. Im Mahlwerk der Geschichte brillieren drei Frauen als Chorführer, Königin und Geist des Dareios.
Monotone Trommelschläge im Salzburger Landestheater: Im Halbdunkel sieht man im vorn um drei Sitzreihen reduzierten Parkett und an der Rampe eine große Scheibe wie aus Erz, deren innerer Kreis sich langsam zu drehen beginnt. Darauf schreiten drei schwarz gekleidete Frauen, sie haben ihre Gesichter erst nur der Bühne zugewandt: Katja Bürkle und Valery Tscheplanowa stellen den Chor des persischen Ältestenrats dar, Patrycia Ziołkowska´ spielt Atossa, Mutter des Königs Xerxes. „Welt, schau auf uns“, heißt es zu Beginn. Das wird Programm. Unmöglich, in den nächsten vier Stunden nicht wie gebannt diese Geschehnisse mitzuerleben.
Minimal Music im Stil von Philip Glass verstärkt den Bann. Marimba, Vibrafon, Schlagzeug, Bratsche, Bass, Elektronik und Gesang entwickeln monotone Grundmuster, die zu größter Steigerung und dann wieder fast an den Nullpunkt gebracht werden. Ari Benjamin Meyers’ Kompositionen passen ideal zu dieser mustergültigen Aufführung. Aischylos hat „Die Perser“verfasst, das erste vollständig erhaltene Attische Drama. Ulrich Rasche hat die Tragödie für die Salzburger Festspiele inszeniert, eine Koproduktion mit dem Schauspiel Frankfurt. Großes Theater war bei der Premiere am Samstag zu sehen. Ganz nah kommen der deutsche Regisseur und sein Team dem überwältigenden Text (in der Nachdichtung von Dürs Grünbein) über die Schrecken des Krieges. Er wird uns zur eindringlichen Warnung vor der Hybris der Mächtigen und der Macht der Masse.
Der Frevler am heiligen Hellespont
„Welt, schau auf uns“, sagt der Chor. Da ahnt man bereits hinter einem semitransparenten Schleier auf der Bühne (der auch als Videoschirm dient) noch eine Scheibe – gewaltig wie ein UFO. Sie wird sich ebenfalls langsam und beständig drehen, wird mittels Hydraulik gemäß der Handlung auch kippen, eine Ebene mit der Scheibe vorn bilden oder wie ein hochragender Wall erscheinen. Beide Scheiben sind das gnadenlose Mahlwerk der Geschichte, sie sind Räder des Schicksals. Auf ihnen müssen die Protagonisten und Mitläufer stets vorwärtsgehen, sonst sind sie verloren.
Die Welt hinten auf der Bühne ist die der Geister: Auf ihr sieht man das persische Heer und die Flotte, die im Jahr 480 aufbrachen, um Griechenland zu erobern. Xerxes will die Schmach tilgen, dass sein Vater zehn Jahre zuvor bei einer Strafexpedition gegen die Hellenen die Schlacht von Marathon verlor. Dareios zog ab, warnte vor weiteren Offensiven. Xerxes aber missachtet den Rat und fordert zudem die Götter heraus, indem er über den heiligen Hellespont eine Brücke für seine angreifende Übermacht schlagen lässt. Die Strafe folgt auf dem Fuß – Vernichtung der Flotte, Auslöschung des Heeres beim Rückzug.
Die Raffinesse bei Aischylos besteht darin, dass sein griechisches Publikum 472 vor Christus den Ausgang der Geschichte bereits kannte, die Protagonisten und der Chor jedoch anfangs noch nicht. Atossa hat zwar Träume von einem zerbrochenen Joch und einem Falken, der einen passiven Adler attackiert, aber erst ein Botenbericht (Alexander Vaassen, Andreas Vögler) bringt Gewissheit: Der Krieg ist verloren. Xerxes lebt. Dareios wird im Reich der Toten angerufen und um Rat gebeten. Er findet harte Worte gegen den Sohn, doch er soll trotzdem König bleiben. Erst am Schluss, als der Vater wieder auf dem Weg zurück in die Unterwelt ist, tritt Xerxes (Johannes Nussbaum) leibhaftig in zerrissenen Kleidern auf. Wenn man „Die Perser“als eine einzige warnende Wehklage versteht, ist dieses Finale der Schmerzensschrei von Sterblichen gegen die Unerbittlichkeit der alten Göttin Moira.
Wie geht Rasche mit solch starkem alten Pathos um? Er nimmt die Tragödie todernst und beweist, dass sie keinesfalls unzeitge- mäß ist. Er macht uns alle zu besiegten Persern und zugleich zu Griechen, denen der Hochmut des Xerxes eine Warnung sein soll. Seine Inszenierung ist ein Meisterstück an Musik, Choreografie und Werktreue. Fast jeder dieser sorgfältig auf den strengen Rhythmus abgestimmten, eindringlich langsam, mit heiligem Ernst artikulierten Sätze sitzt. Man versteht, wie mitreißend Kriegsrhetorik sein kann, wenn vorn der Chor der Ältesten und Atossa bangen, während hinten muskulös und glänzend Heerscharen der Perser hoch oben auf der Scheibe aufmarschieren – verdeutlicht in ihrer Aggression noch durch seltene überlebensgroße Einblendungen auf dem Screen. Viele dieser Helden werden vor dem Fiasko namentlich genannt. „Lasst euch nicht verführen“, sagt der Dichter.
Vom Kosmos zum Chaos
Umgekehrt sieht man nach der Pause das Elend der Niederlage, sieht all diese erbarmungswürdigen Gestalten, erschöpft über die ewig sich drehende Scheibe schwanken, schließlich wie Schatten im Gegenlicht. Zuvor haben sie sich im Kampf verschränkt, in komplexen Gegenbewegungen auf der innen sich in die eine, außen in die andere Richtung drehenden, großen Scheibe, mit Chor und Gegenchor und solistischen Par- tien. Sprechtheater? Ein Gesamtkunstwerk! Vom Kosmos zum Chaos und wieder zurück. So muss es bei Salamis gewesen sein, so auch beim Rückweg von Napoleons Heer aus Russland, beim Schlachten in Stalingrad und in den fast noch gegenwärtigen Kriegen im Irak. So ist es heute noch im Nahen Osten und in vielen Krisengebieten von Afrika.
Bürkle, Ziołkowska´ und Tscheplanowa sind erschütternd überzeugend darin, dieses Leid zu schildern – weit weg von der Front, an der Front der Bühne. Von raunender Ahnung bis zum entsetzlichen Schrei reicht ihr Ausdrucksvermögen, vom Versuch, Haltung zu bewahren, bis zur völligen Entgrenzung. Tscheplanowa hat zudem noch magische Momente als Geist des Königs Dareios: Langsam schreitet diese Chorführerin an den Rand ihres Kreises und tritt schließlich in den zweiten Kreis. Dort steht sie mit entblößter Brust, mit tödlich weißer Farbe ist ihr nackter Oberkörper übergossen. Sie übermittelt Ratschläge aus dem Totenreich: „Nie wieder Krieg!“, könnte man heute daraus kurz schließen. Ob all jene, die wie Xerxes denken, Dareios folgen? Sie sollten zumindest zuhören, wenn der Chor, der zu Beginn die Namen der Helden nannte, am Ende stampfend jene der toten Helden aufzählt. Diese Liste ist fast genauso lang.