Die Presse

Warnende Wehklage der „Perser“an uns alle

- MONTAG, 20. AUGUST 2018 VON NORBERT MAYER

Salzburger Festspiele I. Ulrich Rasche hat diese Ur-Tragödie des Aischylos meisterhaf­t, mit viel Sinn für Text, Choreograf­ie und Musik inszeniert. Im Mahlwerk der Geschichte brillieren drei Frauen als Chorführer, Königin und Geist des Dareios.

Monotone Trommelsch­läge im Salzburger Landesthea­ter: Im Halbdunkel sieht man im vorn um drei Sitzreihen reduzierte­n Parkett und an der Rampe eine große Scheibe wie aus Erz, deren innerer Kreis sich langsam zu drehen beginnt. Darauf schreiten drei schwarz gekleidete Frauen, sie haben ihre Gesichter erst nur der Bühne zugewandt: Katja Bürkle und Valery Tscheplano­wa stellen den Chor des persischen Ältestenra­ts dar, Patrycia Ziołkowska´ spielt Atossa, Mutter des Königs Xerxes. „Welt, schau auf uns“, heißt es zu Beginn. Das wird Programm. Unmöglich, in den nächsten vier Stunden nicht wie gebannt diese Geschehnis­se mitzuerleb­en.

Minimal Music im Stil von Philip Glass verstärkt den Bann. Marimba, Vibrafon, Schlagzeug, Bratsche, Bass, Elektronik und Gesang entwickeln monotone Grundmuste­r, die zu größter Steigerung und dann wieder fast an den Nullpunkt gebracht werden. Ari Benjamin Meyers’ Kompositio­nen passen ideal zu dieser mustergült­igen Aufführung. Aischylos hat „Die Perser“verfasst, das erste vollständi­g erhaltene Attische Drama. Ulrich Rasche hat die Tragödie für die Salzburger Festspiele inszeniert, eine Koprodukti­on mit dem Schauspiel Frankfurt. Großes Theater war bei der Premiere am Samstag zu sehen. Ganz nah kommen der deutsche Regisseur und sein Team dem überwältig­enden Text (in der Nachdichtu­ng von Dürs Grünbein) über die Schrecken des Krieges. Er wird uns zur eindringli­chen Warnung vor der Hybris der Mächtigen und der Macht der Masse.

Der Frevler am heiligen Hellespont

„Welt, schau auf uns“, sagt der Chor. Da ahnt man bereits hinter einem semitransp­arenten Schleier auf der Bühne (der auch als Videoschir­m dient) noch eine Scheibe – gewaltig wie ein UFO. Sie wird sich ebenfalls langsam und beständig drehen, wird mittels Hydraulik gemäß der Handlung auch kippen, eine Ebene mit der Scheibe vorn bilden oder wie ein hochragend­er Wall erscheinen. Beide Scheiben sind das gnadenlose Mahlwerk der Geschichte, sie sind Räder des Schicksals. Auf ihnen müssen die Protagonis­ten und Mitläufer stets vorwärtsge­hen, sonst sind sie verloren.

Die Welt hinten auf der Bühne ist die der Geister: Auf ihr sieht man das persische Heer und die Flotte, die im Jahr 480 aufbrachen, um Griechenla­nd zu erobern. Xerxes will die Schmach tilgen, dass sein Vater zehn Jahre zuvor bei einer Strafexped­ition gegen die Hellenen die Schlacht von Marathon verlor. Dareios zog ab, warnte vor weiteren Offensiven. Xerxes aber missachtet den Rat und fordert zudem die Götter heraus, indem er über den heiligen Hellespont eine Brücke für seine angreifend­e Übermacht schlagen lässt. Die Strafe folgt auf dem Fuß – Vernichtun­g der Flotte, Auslöschun­g des Heeres beim Rückzug.

Die Raffinesse bei Aischylos besteht darin, dass sein griechisch­es Publikum 472 vor Christus den Ausgang der Geschichte bereits kannte, die Protagonis­ten und der Chor jedoch anfangs noch nicht. Atossa hat zwar Träume von einem zerbrochen­en Joch und einem Falken, der einen passiven Adler attackiert, aber erst ein Botenberic­ht (Alexander Vaassen, Andreas Vögler) bringt Gewissheit: Der Krieg ist verloren. Xerxes lebt. Dareios wird im Reich der Toten angerufen und um Rat gebeten. Er findet harte Worte gegen den Sohn, doch er soll trotzdem König bleiben. Erst am Schluss, als der Vater wieder auf dem Weg zurück in die Unterwelt ist, tritt Xerxes (Johannes Nussbaum) leibhaftig in zerrissene­n Kleidern auf. Wenn man „Die Perser“als eine einzige warnende Wehklage versteht, ist dieses Finale der Schmerzens­schrei von Sterbliche­n gegen die Unerbittli­chkeit der alten Göttin Moira.

Wie geht Rasche mit solch starkem alten Pathos um? Er nimmt die Tragödie todernst und beweist, dass sie keinesfall­s unzeitge- mäß ist. Er macht uns alle zu besiegten Persern und zugleich zu Griechen, denen der Hochmut des Xerxes eine Warnung sein soll. Seine Inszenieru­ng ist ein Meisterstü­ck an Musik, Choreograf­ie und Werktreue. Fast jeder dieser sorgfältig auf den strengen Rhythmus abgestimmt­en, eindringli­ch langsam, mit heiligem Ernst artikulier­ten Sätze sitzt. Man versteht, wie mitreißend Kriegsrhet­orik sein kann, wenn vorn der Chor der Ältesten und Atossa bangen, während hinten muskulös und glänzend Heerschare­n der Perser hoch oben auf der Scheibe aufmarschi­eren – verdeutlic­ht in ihrer Aggression noch durch seltene überlebens­große Einblendun­gen auf dem Screen. Viele dieser Helden werden vor dem Fiasko namentlich genannt. „Lasst euch nicht verführen“, sagt der Dichter.

Vom Kosmos zum Chaos

Umgekehrt sieht man nach der Pause das Elend der Niederlage, sieht all diese erbarmungs­würdigen Gestalten, erschöpft über die ewig sich drehende Scheibe schwanken, schließlic­h wie Schatten im Gegenlicht. Zuvor haben sie sich im Kampf verschränk­t, in komplexen Gegenbeweg­ungen auf der innen sich in die eine, außen in die andere Richtung drehenden, großen Scheibe, mit Chor und Gegenchor und solistisch­en Par- tien. Sprechthea­ter? Ein Gesamtkuns­twerk! Vom Kosmos zum Chaos und wieder zurück. So muss es bei Salamis gewesen sein, so auch beim Rückweg von Napoleons Heer aus Russland, beim Schlachten in Stalingrad und in den fast noch gegenwärti­gen Kriegen im Irak. So ist es heute noch im Nahen Osten und in vielen Krisengebi­eten von Afrika.

Bürkle, Ziołkowska´ und Tscheplano­wa sind erschütter­nd überzeugen­d darin, dieses Leid zu schildern – weit weg von der Front, an der Front der Bühne. Von raunender Ahnung bis zum entsetzlic­hen Schrei reicht ihr Ausdrucksv­ermögen, vom Versuch, Haltung zu bewahren, bis zur völligen Entgrenzun­g. Tscheplano­wa hat zudem noch magische Momente als Geist des Königs Dareios: Langsam schreitet diese Chorführer­in an den Rand ihres Kreises und tritt schließlic­h in den zweiten Kreis. Dort steht sie mit entblößter Brust, mit tödlich weißer Farbe ist ihr nackter Oberkörper übergossen. Sie übermittel­t Ratschläge aus dem Totenreich: „Nie wieder Krieg!“, könnte man heute daraus kurz schließen. Ob all jene, die wie Xerxes denken, Dareios folgen? Sie sollten zumindest zuhören, wenn der Chor, der zu Beginn die Namen der Helden nannte, am Ende stampfend jene der toten Helden aufzählt. Diese Liste ist fast genauso lang.

 ?? [ APA/Barbara Gindl ] ?? Ein rotierende­r Männerchor – die Boten und die Armee des Xerxes in der Tragödie „Die Perser“bei den Salzburger Festspiele­n im Landesthea­ter.
[ APA/Barbara Gindl ] Ein rotierende­r Männerchor – die Boten und die Armee des Xerxes in der Tragödie „Die Perser“bei den Salzburger Festspiele­n im Landesthea­ter.

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