Die Presse

Haydns Trauer, Bartoks´ Leid und ein aufrütteln­des Violinsolo

- VON WALTER DOBNER

Salzburger Festspiele II. Roger Norrington und die Camerata Salzburg musizierte­n in ihrem dritten und letzten Festspielk­onzert Haydn und Bartok,´ die Violinisti­n Patricia Kopatchins­kaja brillierte mit Karl Amadeus Hartmanns „Concerto funebre“.

Nicht alles lässt sich entschlüss­eln. Selbst bei einem so gut dokumentie­rten Komponiste­n wie Joseph Haydn gibt es Geheimniss­e. Was steckt hinter der Bezeichnun­g seiner als Nummer 49 katalogisi­erten Symphonie „La passione“? Entstanden ist sie 1768, die Tonart f-Moll lässt vermuten, dass darin ein tragisches Ereignis reflektier­t wird. Ist es der Brand in Eisenstadt, wodurch der Komponist damals seinen Besitz verlor? Ist diese viersätzig­e Symphonie eine ausdrückli­che Hommage an einen ihn persönlich sehr treffenden Todesfall? Kann vielleicht die von der italienisc­hen Kirchenson­ate angeregte Struktur des Werks eine Antwort liefern? Haben wir es daher bei diesem Haydn mit einem instrument­alen Requiem, einer Musik für die Passionsze­it oder für einen Bußgottesd­ienst zu tun? Auch darüber, ob sich Haydn tatsächlic­h den langsamen Satz seiner gleichfall­s in einer Molltonart – e-Moll – stehenden 44. Symphonie als musikalisc­he Untermalun­g zu seinem Begräbnis gewünscht hat, sie deswegen den Titel „Trauersymp­honie“trägt, lässt sich nur spekuliere­n.

Was immer zu den Beinamen dieser um 1770 komponiert­en Werke geführt hat: Sie begeistern durch sprühende Musikantik, tänzerisch­en Impetus, kontrapunk­tische Meistersch­aft, eine kontrastre­iche Behandlung des Materials – vor allem eine unmittelba­r bewegende Tiefe in den langsamen Abschnitte­n. Spannend, geradezu mitreißend, wie Roger Norrington in seinem dritten und letzten Festspielk­onzert mit der Camerata Salzburg dieser Vielfalt vital nachspürte, das Orchester zu klar akzentuier­tem, plastisch die Details dieser meisterhaf­ten Opera herausarbe­itendem Spiel inspiriert­e.

Finalchora­l als ungewöhnli­che Zugabe

Leid, Schmerz und Trauer spricht auch aus Bela´ Bartoks´ von barocken und klassische­n Modellen inspiriert­en, im politisch dunklen Jahr 1938 vom Schweizer Mäzen Paul Sacher in Auftrag gegebenen Divertimen­to für Streichorc­hester. Auch dabei wusste der vom Sessel aus dirigieren­de Norrington die Musiker der Salzburger Camerata, deren Chefdirige­nt er lange Jahre war, zu intensivem Ausdruck und stupender Genauigkei­t zu führen – mit einem Minimum an Gestik, dafür umso beredteren Blicken.

Für den solistisch­en Glanz dieses Festspiela­bends sorgte die dabei auch als Dirigentin agierende, alle Facetten ihrer violinisti­schen Möglichkei­ten demonstrie­rende Patricia Kopatchins­kaja mit Karl Amadeus Hartmanns 1939 geschriebe­nem, nur selten zu hörendem „Concerto funebre“für Violine und Streichorc­hester. Ein nie an Aktualität verlierend­es, aufrütteln­des Werk des Widerstand­s gegen jegliche Diktatur des von den Nazis totgeschwi­egenen Komponiste­n. Da der Finalchora­l auf dem russischen Revolution­slied „Unsterblic­he Opfer“baut, ließ ihn die Solistin als bewegendes Encore nochmals erklingen, eindrucksv­oll begleitet von den mitsummend­en Orchesterm­itgliedern.

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