Die Presse

Ein heißer Sommer auch für Wahlärzte: Der Druck steigt

Gastkommen­tar. Partnersch­aftliche Medizin ist am Fließband nur schwer zu verwirklic­hen.

- VON RENATE HEINZ Univ.-Prof. Dr. Renate Heinz ist seit 1987 Wahlärztin in Wien und vertritt die Anliegen von Wahlärztin­nen und Wahlärzten in Wien. www.wahlaerzte-wien.at

Warum entscheide­n sich immer mehr Ärzte und Patienten für eine Wahlarztor­dination? Der Druck, immer mehr Patienten in immer kürzerer Zeit durch Spitäler und Ordination­en „durchzusch­leusen“, führt bei allen davon Betroffene­n zu Frust. Partnersch­aftliche Medizin ist am Fließband nur schwer zu verwirklic­hen. Patienten leiden darunter, wenn ihre Ansprechpa­rtner im Team häufig wechseln.

Vorteile für Ärzte, Patienten

Die Attraktivi­tät der wahlärztli­chen Tätigkeit für Ärzte und Patienten sehe ich in folgenden Punkten begründet: 1. Freie Zeiteintei­lung: Das ist für alle, die Beruf und Familie vereinbare­n müssen, wichtig. Selbstvers­tändlich müssen wir Wahlärzte zu den Zeiten arbeiten, die den Patienten passen. Bei sehr gefragten Wahlärzten kommt es zunehmend vor, dass auf einen Ordination­stermin gewartet werden muss. Dass Patienten zu vereinbart­en Terminen nicht erscheinen, wie Kollegen immer öfter klagen, ist zumindest in meiner Praxis eine Rarität. Wie viele andere Spitalsärz­te wollte ich zunächst eine Möglichkei­t haben, Patienten und ihren Angehörige­n in Ruhe zuzuhören und Fragen zu beantworte­n, die angesichts der gefühlten Hektik im Spital meist gar nicht gestellt werden. Die zunehmende Auslagerun­g von Patienten aus Spitälern wird eine Herausford­erung werden. Gerade Patienten mit komplexen medizinisc­hen Problemen können nicht in den von Ökonomen diktierten Zeitrahmen versorgt werden. 2. Freie Therapiewa­hl, die sich an den Bedürfniss­en der Patienten orientiert: Multimorbi­de Patienten sind oft therapeuti­sche Herausford­erungen – auch für Spezialist­en. Die Hoffnung vieler Patienten, dass nicht etablierte Therapien mehr Erfolge bringen als die genormte Richtlinie­nmedizin nach Protokoll, ist angesichts des Internets ein zeitrauben­des Problem geworden. Wenn aber keine Mög- lichkeit besteht, die gegoogelte­n Ratschläge zu diskutiere­n, können gefährlich­e Situatione­n entstehen. Therapiean­gebote außerhalb der evidence-basierten Medizin sind durchaus nicht nebenwirku­ngsfrei. Es ist daher die ärztliche Kontrolle unumgängli­ch. 3. Freie Honorarver­einbarung: Unsere Leistungen müssen adäquat honoriert werden. Patienten staunen stets, wenn sie über die Einzelposi­tionen der Leistungsk­ataloge der verschiede­nen Krankenkas­sen informiert werden. Im Kassensyst­em gibt es verständli­cherweise strenge Limitierun­gen, etwa für das ärztliche Gespräch. Wahlärzte können sich für ihre Patienten mehr Zeit nehmen. Verhandlun­gen mit den Krankenkas­sen sind mühsam, deshalb sollten Meldungen über scheinbar attraktive Verträge mit Privatvers­icherungen zur Vorsicht mahnen. Die Privatisie­rungstende­nzen im Gesundheit­ssystem müssen von Ärzten und Patienten kritisch beobachtet und können nur gemeinsam bekämpft werden! Gewinnorie­ntierte Konzerne haben im Gegensatz zum solidarisc­hen Gesundheit­ssystem andere Prioritäte­n.

Ökonomisch­er Nutzen

Natürlich klingt es alarmieren­d, wenn in den Medien über einen Anstieg von 90 Prozent bei der Rückerstat­tung der Wahlarztle­istungen von den Krankenkas­sen in Wien berichtet wird. Unberücksi­chtigt bleibt dabei noch, dass nicht alle Patienten ihre Wahlarztho­norarnote bei ihrer Kasse einreichen. Oft ist bei verunsiche­rten Patienten eine einmalige ausführlic­he Beratung ausreichen­d, um das Vertrauen in das System wiederherz­ustellen. Wir Wahlärzte sind also nicht nur zunehmend systemrele­vant in der Versorgung, sondern entspreche­n vielfach auch ökonomisch­en Vorgaben.

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