Tränenreiches Wiedersehen nach mehr als 65 Jahren
Korea. 89 Südkoreaner treffen ihre Familien aus dem Norden, die im Korea-Krieg getrennt wurden. Eine äußerst emotionale Wiederbegegnung. Für viele zum ersten, für die meisten zum letzten Mal.
Die Südkoreanerin Lee Keum-seom ist mittlerweile 92 Jahre alt. Am Montag hat sie zum ersten Mal seit Ende des KoreaKrieges (1950–1953) ihren Sohn Ri Sungchol wiedergesehen. Er ist mittlerweile 71 Jahre alt und lebt im kommunistischen Norden der geteilten Halbinsel. Im Zuge des derzeitigen politischen Tauwetters hatten nun 89 Bürger Südkoreas die Gelegenheit, Verwandte aus Nordkorea zu treffen.
Bevor sich die Türen des Speisesaals des Mount Kumgang Hotel öffneten, waren erst einmal reichlich Papiertaschentücher verteilt worden. Ganze Stapel, jeder der 89 ausgewählten Südkoreaner durfte so viele Pakete greifen, wie er wollte oder tragen konnte. Für die folgenden elf limitierten, kostbaren Stunden ist dies das wichtigste Requisit, um der Glückstränen wenigstens einigermaßen Herr zu werden. Zum ersten Mal nach mehr als drei Jahren Kontaktsperre konnten die Senioren aus dem Süden wieder einmal 180 handverlesene Verwandte aus dem Norden treffen.
Bis Mittwoch herrscht in dem Parteiressort im nordkoreanischen Diamantgebirge streng regulierte Zeit für Erinnerungen und Fragen nach dem vergangenen Leben seit Kriegsende, auch für das Wiederkennenlernen von schon verloren geglaubten Menschen – für viele zum ersten, für die meisten zum letzten Mal. Denn kaum einer ist jünger als 80 Jahre. Unter Schirmherrschaft des Internationalen Roten Kreuzes und umgeben von nordkoreanischen Aufpassern fanden emotionale Szenen statt. „Ich bin es! Kannst du dich noch an mich erinnern?“, war die meistgestellte Frage im Raum. Dazu der Seufzer: „Es ist so ein großes Glück, dass du so alt werden konntest.“
Für Kim Jong Gyu bleibt ein bittersüßes Gefühl. „Einerseits fühle ich mich so glücklich, meinen Bruder noch einmal lebendig zu sehen“, sagte die 83-Jährige. „Aber, dass uns nur ein paar Stunden vergönnt sind nach so vielen Dekaden der Trennung ist wirklich hart. Die Zeit ist zu kurz und zu herzzerreißend.“Andere Veteranen kamen mit dem plötzlichen Wiedersehen naher, aber mental längst weit entfernter Verwandter nicht klar. Eine Südkoreanerin stand mit dem Gesicht zur Wand, schlug sich auf die Brust und murmelte unablässig: „Ich hätte nicht kommen sollen.“Was sie offenbar schockierte, waren die Armut und der schlechte Zustand ihres Bruders Kim Hui Yong, 88 Jahre alt und halbseitig gelähmt.
Der vom Norden mit einem Überfall angezettelte Korea-Krieg von 1950 bis 1953 hat Hunderttausende Familien getrennt. Das Auf und Ab der Kämpfe schickte eine ganze Nation auf die Flucht. Die darauf folgende politische Teilung der Halbinsel in den kommunistisch beherrschten Norden und die kapitalistische Militärdiktatur im Süden hat die Familienbande zerschnitten. Kaum einer wollte damals glauben, dass diese Separation scheinbar ewig währen sollte.
Die Hoffnung der Flüchtenden, ihre alte Heimat bald wiederzusehen, ging im Kalten Krieg unter – als der Eiserne Vorhang auch in Korea herunterrasselte. Von beiden Seiten waren private Kontakte bei hohen Strafen verboten, es gab keinerlei persönliche Kommunika- tion, nicht per Post oder Telefon und schon gar nicht direkt. Legale Familienzusammenführungen waren undenkbar, ebenso natürlich die Flucht über die am strengsten bewachte Grenze der Welt.
Wenn es die politische Großwetterlage einmal wieder zu ermöglichen schien, wurde eine Art Begegnungsshow organisiert. Bisher haben 22 solche Treffen stattgefunden, zum ersten Mal 1985. Dem Regime in Pjöngjang war dies jedoch so suspekt, dass es mehrere ähnliche Verabredungen platzen ließ. Oder damit Geld erpressen wollte, wie es kurz nach seiner Amtseinführung auch der junge Diktator Kim Jong-un praktizierte.
Seit dem politischen Tauwetter zwischen beiden Koreas im Jahr 2000 ließen die Kommunisten jedoch auch immer wieder solche staatlich gelenkten Begegnungen zu. Selbst Südkoreas Präsident, Moon Jae, dessen Eltern im Winter 1951 mit den US-Truppen in den Süden flohen, sah 2006 bei einem solchen Treffen seine in Nordkorea lebende Tante zum ersten Mal.
Nach Angaben des Roten Kreuzes und der südkoreanischen Regierung stellten rund 116.000 Koreaner auf beiden Seiten der Demarkationslinie einen Antrag auf eine Wiederbegegnung. Seit 1985 verstarben 75.000 dieser Antragsteller, ohne ihre Verwandten je wiedergesehen zu haben. Offiziell werden die Menschen, die auf die andere Seite der Grenze fahren dürfen, in einer Lotterie ausgewählt, in der Realität aber wohl aus Gründen politischer Zuverlässigkeit.
Bei ihrem Gipfeltreffen im April am Grenzkontrollpunkt Panmunjom haben Südkoreas Staatschef, Moon, und Nordkoreas Diktator, Kim, diese Kontakte wieder reaktiviert. Von Mittwoch bis Freitag werden sich andere Familien in Südkorea treffen. Es wird dort in etwa dieselben Bilder geben, die vielen Tränen und die anschließend zurückbleibende Leere. Denn jeder, der überhaupt das Glück hatte, einen Verwandten wiederzusehen, weiß: Eine zweite Chance wird es wahrscheinlich in diesem Leben nicht mehr geben.