Wie Italien mit dem Feuer spielt
Italien. Sogar den Einsturz der Brücke in Genua nutzten die Populisten in Rom für Attacken gegen Brüssel und als Argument für geplante Budgetexzesse. Droht eine neue Euroschuldenkrise?
Wo ein Unglück passiert, sind Sündenböcke gefragt. Italiens Vizepremier, Matteo Salvini, hat sie rasch gefunden, nach dem Einsturz der Morandi-Autobahnbrücke in Genua mit über 40 Toten. Der Lega-Chef legte sich über soziale Medien mit dem Lieblingsgegner Brüssel an. Die EU-Kommission sei schuld: Mit ihren strengen Defizitregeln hätten die Bürokraten nötige Investitionen in Italiens Infrastruktur verhindert und so das Leben der Italiener aufs Spiel gesetzt. Jetzt werde man sich erst recht nicht mehr an europäische Vorgaben halten.
Die Investoren italienischer Staatsanleihen reagierten nervös. Der Risikoaufschlag stieg in der Vorwoche auf den höchsten Stand seit Anfang Juni, als ein Euroaustritt des EU-Gründungsmitglieds im Raum stand. Im September muss das Budget für 2019 beschlossen sein; die Zeichen stehen auf Konfrontation mit den Kontrolloren – und dadurch mit dem Rest Europas. Was die Koalition aus rechten und linken Populisten ihren Wählern versprochen hat, kostet in Summe über 100 Mrd. Euro. Diese Mehrausgaben und Steuerausfälle würden, in einem Schwung umgesetzt, das Defizit auf sieben bis acht Prozent des BIPs hinaufschnalzen lassen. Was Ängste vor einer Kettenreaktion schürt: massiv steigende Zinsen auf den Schuldendienst, Ratingabstufungen, Kapitalflucht – und am Ende ein versperrter Zugang zu den Finanzmärkten, der Staatsbankrott. Kurz: ein Griechenland-Szenario, nur in ungleich größeren Dimensionen – Italien ist, nach den USA und Japan, der weltweit drittgrößte Markt für Staatsanleihen.
Das Ausmaß der Gefahr
Auf den ersten Blick scheinen die Voraussetzungen viel weniger dramatisch als 2009 in Athen. Dort lag das Defizit schon vor Zinsendienst bei zehn Prozent. Die neuen Herren in Rom hingegen erben von ihren Vorgängern Primärüberschüsse. Anleiheninvestoren sehen das als Indikator, dass die Schuldenlast eines Staates zu bewältigen ist. Weniger nachhaltig ist die Situation des Pensionssystems in der stark alternden Gesellschaft, aber hier hat eine Reform von 2011 erste richtige Weichen gestellt. Das Problem aber ist: Lega und Fünf Sterne werfen mit ihrem Programm beides radikal über Bord. In einem Staat, der schon heute den höchsten Schuldenberg Europas (in absoluten Zahlen) mit sich schleppt. Mit einem Bankensystem, das wegen seiner vielen faulen Kredite an der Kippe gestanden ist und immer noch fragil ist. Und einer Volkswirtschaft, die im letzten Jahrzehnt nichts dazugewonnen hat: Das Wohlstandsniveau ist gesunken. Auch aktuell ist das Wachstum schwach, die Aussichten haben sich zuletzt weiter eingetrübt. Das ergibt nun tatsächlich ein explosives Gemisch.
Macht und Ohnmacht der Märkte
Ein blauer Brief der EU-Kommission, also ein Defizitverfahren, hat nur ein sehr schwaches Drohpotenzial. Das weiß man auch in Brüssel, wo man auf die zügelnde Kraft der Kapitalmärkte hofft. Aber auch massiv steigende Risikoaufschläge müssen die Populisten nicht gleich bremsen: Italien hat zwar Schulden in Höhe von rund 130 Prozent des BIPs. Aber nur Anleihen im Volumen von zehn Prozent des BIPs laufen heuer aus und sind zu refinanzieren; 2018 sind es 14 Prozent. Die Schatzmeister der letzten Jahre haben die Niedrigzinsen nämlich dazu genutzt, sich mit immer längeren Laufzeiten zu verschulden. Im Schnitt würde sich der Schuldendienst also nicht gleich massiv verteuern. Das gäbe der neuen Regierung die Chance, das finanzielle Schicksal noch etwas länger herauszufordern – bis es umso härter über das Land hereinbricht.
Der politische Ausweg
Ob sie den Amoklauf wirklich wagt, ist offen. Die trotzigen Ankündigungen von Salvini und Fünf-Sterne-Anführer Di Maio laufen darauf hinaus, Finanzminister Tria hält dagegen und kalmiert. Freilich spricht die politische Logik gegen eine Eskalation: Zwei Drittel der Staatsanleihen halten Inländer, nur ein Drittel Investoren im Ausland (in Österreich ist es übrigens genau umgekehrt). Damit können die Politiker in Rom – anders als früher jene in Athen – nicht darauf hoffen, dass bei einem Schuldenschnitt großteils Fremde für ihre Exzesse bezahlen. Eine Staatspleite würde sofort den Italienern selbst auf den Kopf fallen. Eine Wiederwahl könnten die Verantwortlichen vergessen.
Zudem gibt es konkrete Hürden für ihre Pläne: Dem Budget muss auch der Senat als zweite Kammer zustimmen; die Mehrheit ist dort sehr knapp. Es genügen einige wenige Senatoren, denen Turbulenzen auf den Märkten zu denken geben, damit das Gesetz kippt. Und schließlich fordert Italiens Verfassung seit 2012 einen einigermaßen ausgeglichenen Haushalt und nachhaltige Finanzen. Staatspräsident Mattarella könnte sich darauf berufen und seine Unterschrift verweigern – so, wie er schon im Frühling einen Eurogegner als Finanzminister verhindert hat.