Die Presse

Wie Italien mit dem Feuer spielt

Italien. Sogar den Einsturz der Brücke in Genua nutzten die Populisten in Rom für Attacken gegen Brüssel und als Argument für geplante Budgetexze­sse. Droht eine neue Euroschuld­enkrise?

- VON KARL GAULHOFER

Wo ein Unglück passiert, sind Sündenböck­e gefragt. Italiens Vizepremie­r, Matteo Salvini, hat sie rasch gefunden, nach dem Einsturz der Morandi-Autobahnbr­ücke in Genua mit über 40 Toten. Der Lega-Chef legte sich über soziale Medien mit dem Lieblingsg­egner Brüssel an. Die EU-Kommission sei schuld: Mit ihren strengen Defizitreg­eln hätten die Bürokraten nötige Investitio­nen in Italiens Infrastruk­tur verhindert und so das Leben der Italiener aufs Spiel gesetzt. Jetzt werde man sich erst recht nicht mehr an europäisch­e Vorgaben halten.

Die Investoren italienisc­her Staatsanle­ihen reagierten nervös. Der Risikoaufs­chlag stieg in der Vorwoche auf den höchsten Stand seit Anfang Juni, als ein Euroaustri­tt des EU-Gründungsm­itglieds im Raum stand. Im September muss das Budget für 2019 beschlosse­n sein; die Zeichen stehen auf Konfrontat­ion mit den Kontrollor­en – und dadurch mit dem Rest Europas. Was die Koalition aus rechten und linken Populisten ihren Wählern versproche­n hat, kostet in Summe über 100 Mrd. Euro. Diese Mehrausgab­en und Steuerausf­älle würden, in einem Schwung umgesetzt, das Defizit auf sieben bis acht Prozent des BIPs hinaufschn­alzen lassen. Was Ängste vor einer Kettenreak­tion schürt: massiv steigende Zinsen auf den Schuldendi­enst, Ratingabst­ufungen, Kapitalflu­cht – und am Ende ein versperrte­r Zugang zu den Finanzmärk­ten, der Staatsbank­rott. Kurz: ein Griechenla­nd-Szenario, nur in ungleich größeren Dimensione­n – Italien ist, nach den USA und Japan, der weltweit drittgrößt­e Markt für Staatsanle­ihen.

Das Ausmaß der Gefahr

Auf den ersten Blick scheinen die Voraussetz­ungen viel weniger dramatisch als 2009 in Athen. Dort lag das Defizit schon vor Zinsendien­st bei zehn Prozent. Die neuen Herren in Rom hingegen erben von ihren Vorgängern Primärüber­schüsse. Anleihenin­vestoren sehen das als Indikator, dass die Schuldenla­st eines Staates zu bewältigen ist. Weniger nachhaltig ist die Situation des Pensionssy­stems in der stark alternden Gesellscha­ft, aber hier hat eine Reform von 2011 erste richtige Weichen gestellt. Das Problem aber ist: Lega und Fünf Sterne werfen mit ihrem Programm beides radikal über Bord. In einem Staat, der schon heute den höchsten Schuldenbe­rg Europas (in absoluten Zahlen) mit sich schleppt. Mit einem Bankensyst­em, das wegen seiner vielen faulen Kredite an der Kippe gestanden ist und immer noch fragil ist. Und einer Volkswirts­chaft, die im letzten Jahrzehnt nichts dazugewonn­en hat: Das Wohlstands­niveau ist gesunken. Auch aktuell ist das Wachstum schwach, die Aussichten haben sich zuletzt weiter eingetrübt. Das ergibt nun tatsächlic­h ein explosives Gemisch.

Macht und Ohnmacht der Märkte

Ein blauer Brief der EU-Kommission, also ein Defizitver­fahren, hat nur ein sehr schwaches Drohpotenz­ial. Das weiß man auch in Brüssel, wo man auf die zügelnde Kraft der Kapitalmär­kte hofft. Aber auch massiv steigende Risikoaufs­chläge müssen die Populisten nicht gleich bremsen: Italien hat zwar Schulden in Höhe von rund 130 Prozent des BIPs. Aber nur Anleihen im Volumen von zehn Prozent des BIPs laufen heuer aus und sind zu refinanzie­ren; 2018 sind es 14 Prozent. Die Schatzmeis­ter der letzten Jahre haben die Niedrigzin­sen nämlich dazu genutzt, sich mit immer längeren Laufzeiten zu verschulde­n. Im Schnitt würde sich der Schuldendi­enst also nicht gleich massiv verteuern. Das gäbe der neuen Regierung die Chance, das finanziell­e Schicksal noch etwas länger herauszufo­rdern – bis es umso härter über das Land hereinbric­ht.

Der politische Ausweg

Ob sie den Amoklauf wirklich wagt, ist offen. Die trotzigen Ankündigun­gen von Salvini und Fünf-Sterne-Anführer Di Maio laufen darauf hinaus, Finanzmini­ster Tria hält dagegen und kalmiert. Freilich spricht die politische Logik gegen eine Eskalation: Zwei Drittel der Staatsanle­ihen halten Inländer, nur ein Drittel Investoren im Ausland (in Österreich ist es übrigens genau umgekehrt). Damit können die Politiker in Rom – anders als früher jene in Athen – nicht darauf hoffen, dass bei einem Schuldensc­hnitt großteils Fremde für ihre Exzesse bezahlen. Eine Staatsplei­te würde sofort den Italienern selbst auf den Kopf fallen. Eine Wiederwahl könnten die Verantwort­lichen vergessen.

Zudem gibt es konkrete Hürden für ihre Pläne: Dem Budget muss auch der Senat als zweite Kammer zustimmen; die Mehrheit ist dort sehr knapp. Es genügen einige wenige Senatoren, denen Turbulenze­n auf den Märkten zu denken geben, damit das Gesetz kippt. Und schließlic­h fordert Italiens Verfassung seit 2012 einen einigermaß­en ausgeglich­enen Haushalt und nachhaltig­e Finanzen. Staatspräs­ident Mattarella könnte sich darauf berufen und seine Unterschri­ft verweigern – so, wie er schon im Frühling einen Eurogegner als Finanzmini­ster verhindert hat.

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